Digitales Kulturerbe

Kontext: Wortprotokoll über die 24. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 24. Mai 2018 (16.00 Uhr bis 00:10 Uhr), TOP 9, Stand der Digitalisierung in Frankfurter Einrichtungen des Kulturerbes.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir reden über nichts weniger als über unser digitales Kulturerbe. Das muss man sich vor Augen führen: Wir haben gerade gehört, im Stadtarchiv sind es 30 Regalkilometer, 2,5 Millionen Bilder. Und wenn Sie sich anschauen, was Sie gerade im Stadtarchiv an Fotos zurzeit recherchieren können, dann sind das vielleicht knapp 30.000 Thumbnails im Briefmarkenformat, das macht nicht wirklich Spaß. Ich habe es neulich für unsere Veranstaltung am 8. Mai gemacht, wo ich Fotos von den Amerikanern in Frankfurt benötigt habe. Das sind teilweise sehr alte Seiten, und es ist nur ein Bruchteil von den wirklich hervorragenden Quellen, die wir dort haben, digitalisiert.

Der Magistratsbericht dazu war sehr ausführlich, dafür bin ich dankbar. Wir haben darin gelesen, dass die Digitalisierung in den Kultureinrichtungen unserer Stadt unterschiedlich weit fortgeschritten ist. Nichts anderes war zu erwarten.

Sie wird geprägt von einem großen Ressourcenmangel, sowohl an qualifiziertem Personal, aber auch an finanziellen Mitteln. Die Speicherkapazität ist meines Erachtens das geringste Problem. Wir haben quasi jährlich eine Verdoppelung der Speicherkapazität, und es wird immer günstiger. Es ist nicht das Problem, wo man es speichert, sondern wer es speichert, und wie man es nachher wiederfindet. Die Auffindbarkeit ist essenziell. Das heißt, wenn dort etwas digitalisiert wird, muss es auch katalogisiert und verschlagwortet werden, sodass man eine Chance hat, es zu finden. Dann muss es auch öffentlich zugänglich sein. Es nützt nichts, wenn dort irgendwelche abgeschlossenen Systeme sind. Das nützt vielleicht für die interne Nutzung. Darüber haben wir in dem Magistratsbericht auch einiges gelesen: für die Ausstellungsplanung, Provenienzforschung, die Inventarverwaltung. Die Auffindbarkeit intern ist natürlich sehr praktisch, aber man muss es auch nach außen tragen.

Ich finde es sehr gut, dass seit November ein Austausch über eine Arbeitsgruppe stattfindet, denn wegen der unterschiedlichen Erfahrungen von unterschiedlichen Häusern ist es sehr wichtig, dass man sich austauscht – sowohl technisch als auch inhaltlich, was zum Beispiel Bedenken bezüglich des Urheberrechts angeht.

Mit dem Urheberrecht ist es so eine Sache. Das dauert in Deutschland sehr lange, aber dann fängt man eben mit den niedrig hängenden Früchten an, nämlich bei diesen Werken, bei denen kein Urheberrecht mehr besteht. Die scannt man dann zuerst ein.

Die Zugänglichkeit, gerade nach außen, ist wichtig. In dem Magistratsbericht steht, der Austausch, der Diskurs mit der Community ist enorm wichtig, gerade um neue Dinge zu erfahren, die dort nicht verschlagwortet werden können. So zum Beispiel als neulich Renata Harris im Zuge des Besuchsprogramms hier war: Sie hat das Archiv im Zoo besucht und erst einmal erzählt, was auf diesen Fotos alles zu sehen ist. Teilweise gibt es dann auch Zeitzeugen. Es ist nicht damit gedient, wenn am Ende diese Informationen, weil sie vielleicht von Family Search gesponsert werden, hinter einer Paywall verschwinden. Wenn dort also Archivalien eingescannt werden für genealogische Recherchen, dann müssen sie am Ende auch öffentlich zugänglich sein. Was Family Search sponsort, ist schön, aber im Endeffekt muss es auch frei zugänglich sein.

Wir haben davon gehört, dass dort Dinge digitalisiert werden, eingescannt werden, und am Ende hat man irgendwelche schönen Seiten. Das Museum für Moderne Kunst zum Beispiel hat fast alle seiner 5.000 Objekte eingescannt, teilweise nicht hochauflösend wegen des Urheberrechts, aber damit ist noch nicht alles getan.

Es ist schön, wenn wir bunte Bilder haben, es ist schön, wenn wir diese Objekte vom Museum für Moderne Kunst sehen können, es ist schön, wenn wir auch eine digitale Enzyklopädie zum Beispiel durch Wikimedia haben, aber das reicht eben noch nicht. Der Zugang zu unserem Kulturerbe ist mehr als nur diese Präsentation auf digitalen Plattformen zum Anschauen. Es ist mehr als Europeana oder die Deutsche Digitale Bibliothek, es ist mehr als nur eine Enzyklopädie.

Was nämlich dabei wichtig ist, dass es auch nachnutzbar ist! Zum Beispiel über freie Lizenzen, die maschinenlesbar sind, dass es technisch zugänglich ist, dass auch die Werke, die in unseren Museen sind, zugänglich sind. Es gibt eine Kampagne „Fotografieren, bitte“, dass alle Museen letzten Endes erlauben, dass man die Ausstellungsobjekte fotografiert, sodass sie dann auch bei Wikipedia unter einer freien Lizenz veröffentlicht werden können. Es ist wichtig, dass diese Objekte zugänglich sind, damit Künstlerinnen und Künstler – ich verwende jetzt Gendersterne für das Protokoll –, Spieleentwickler*innen, Wissenschaftler*innen, Bürger*innen damit spielen und arbeiten und mit digitalen Derivaten arbeiten können.

Es gibt einige Beispiele dafür, was man machen kann. Zum Beispiel gibt es ein Projekt Coding da Vinci von Wikimedia. Da arbeiten Kulturinstitutionen zwei, drei Monate zusammen mit Menschen, die damit digital etwas Kreatives schaffen.

Zum Beispiel wurde dadurch aufgespürt, dass in manchen Datensätzen Inkonsistenzen enthalten sind. Es wurde in Berlin aus Archivmaterialien aus verschiedenen Quellen, die kombiniert wurden, die Perspektive der DDR-Führung von Berlin als Hauptstadt nachvollzogen. Es genügt nicht, wenn wir nur eine Quelle nehmen, wir brauchen mehrere Quellen, die wir kombinieren können. Es gab Projekte mit Augmented Reality, also mit Brillen, dass in der Echtwelt Dinge eingespielt werden. Es gab einen robotischen Nachbau eines Atlaskäfers, den man jetzt im Naturkundemuseum Berlin begutachten kann.  Oder es wurde zum Beispiel ein Spiel entwickelt, bei dem es um Insekten ging, wo Bertuchs Kinderenzyklopädie des 18. Jahrhunderts genommen wurde, um spielerisch eine Brücke zu schlagen zu den Kids des 21. Jahrhunderts, damit diese dann in einem Spiel etwas über Insekten, über Glyphosat und all diese Dinge lernen.

Es ist wichtig, dass diese Dinge zugänglich sind, dass sie frei sind, damit das Kulturerbe der Vergangenheit die Grundlage bilden kann für das Kulturerbe der Zukunft. Es ist wichtig, dass es frei zugänglich ist, damit aus Kulturbetrachtenden Kulturschaffende werden. Darum ist es wichtig, und nicht nur, damit wir bunte Bilder anschauen können. Insofern muss die Stadt Frankfurt deutlich mehr an Finanzen in die Hand nehmen. Es müssen noch deutlich mehr Anstrengungen unternommen werden, um auch den unterschiedlichen Wissensstand zu beheben.

Wir haben in dem Magistratsbericht gelesen, dass es am guten Willen der Kulturinstitute nicht fehlt. Es fehlt der politische Wille, und den müssen wir schaffen.

Vielen Dank!

(Beifall)

 

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