Kontext: Wortprotokoll über die 49. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 5. November 2020 (16.03 Uhr bis 19.57 Uhr), TOP 5, Kampf gegen Corona.
Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren!
Zunächst einmal ein Wort zu der Kritik zur Anmeldung unseres Tagesordnungspunktes, Nils Kößler, Sebastian Popp. Ich finde es zutiefst undemokratisch, wenn so etwas kritisiert wird, denn gerade in einer Krise ist Wohnen existenziell, deswegen ist es wichtig, …
(Beifall)
… dass es heute auf der Tagesordnung behandelt wird.
Am 29. April antwortete der Magistrat auf unsere kleine Frage mit der Nummer 2548, dass entgegen den Empfehlungen der Bundesregierung keine fünf Personen pro 100.000 Einwohnerinnen im Gesundheitsamt zur Nachverfolgung vorgehalten werden, also keine 187 Personen. Die Antwort des Magistrats liest sich so, dass Überkapazitäten vermieden werden sollen. Kapazitäten sollen flexibel angepasst werden, was aber nicht gelingen kann, wenn allein 23 Planstellen im Gesundheitsamt unbesetzt sind.
Zu jeder Zeit soll die zur Nachverfolgung erforderliche Personalkapazität zur Verfügung gestellt werden, und jetzt lesen wir in der Antwort auf unsere kleine Anfrage heute, dass der Magistrat dazu, was er Ende April angekündigt hat, am 19. Oktober, also gerade einmal vor Kurzem, einen Magistratsbeschluss getroffen hat, dass Personen aus anderen Ämtern dem Gesundheitsamt für die Nachverfolgung zugeordnet werden können. Vorrangig gegenüber anderen Dienstleistungen sei dies, und es gäbe ein mehrstufiges Konzept.
Und dann muss ich in der Zeitung lesen, dass der Oberbürgermeister Peter Feldmann auf einmal die Bundeswehr zur Amtshilfe ruft, weil die Kapazitäten des Gesundheitsamtes offenbar doch nicht ausreichen, weil man nicht genügend vorgeplant hat. Es konnte ja keiner ahnen, dass eine zweite Welle kommt und dass die Bundesregierung, so leid mir das tut, das eingestehen zu müssen, vielleicht doch recht hatte mit den 187 Personen zur Nachverfolgung. Das Gesundheitsamt kann derzeit längst nicht mehr alle Fälle nachverfolgen. Aus dem Gesundheitsdezernat heißt es auf die Anfrage, wie es denn stünde mit der Situation in den Schulen, dass man aus den Erfahrungen vergangener Monate wisse, dass Schulen keine Hotspots sind.
Meine Kollegin sagt gleich noch etwas dazu. Aber wo sollen dann also bitte schön aus den wenigen Monaten die Erfahrungen mit den Hotspots herkommen? Peter Feldmann hat die Situation in Israel genannt, wo die Schulen übrigens offen waren. Das Gesundheitsministerium von Israel sagt, Kinder haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, das Virus zu bekommen, geben es auch weiter. Zwar verläuft die Krankheit bei den Kindern unter zehn Jahren schwächer, aber bei den Kindern über zehn Jahren und den Jugendlichen eigentlich genauso schlimm wie bei den Erwachsenen. Und sie tragen es weiter in die Familie und zu den Großeltern. Daher, die Schulen zu vernachlässigen und dann zu sagen, wie es aus dem Gesundheitsdezernat heißt: Wenn man den Infektiologen des Gesundheitsamtes nicht trauen würde, dann könne das ja jede Schule für sich entscheiden. Da lassen Sie die Schulen und die Schulleitungen alleine. Das darf nicht geschehen in so einer Krise.
Ich habe eine E-Mail, die Eltern von einer Grundschulleiterin bekommen haben. Da steht als Mitteilung an die Eltern darin: Ich verstehe absolut, dass Sie viele Fragen haben, aber die kann ich Ihnen leider auch nicht beantworten, da wir auf das Gesundheitsamt angewiesen sind. Ich melde mich, sobald ich Neuigkeiten habe.
Sie hat nämlich das Gesundheitsamt leider auch nicht erreicht. Also, da sehen wir die tatsächlichen Auswirkungen, die wir Ende April angekündigt haben, dass das Gesundheitsamt nicht genügend Kapazitäten hat, dass dort eine Personalunterversorgung besteht, die wir dringend ausräumen müssen.
Und dann gibt es da noch diese Doppelstandards. Seit dem 9. Oktober gilt die Maskenpflicht innerhalb des Anlagenrings, die Zuwiderhandlung ist eine Ordnungswidrigkeit. Es wurde gerade schon angesprochen, dass dies nicht für Corona-Leugnerinnen am Goetheplatz zu gelten scheint, die sich mit 500 Menschen versammelt haben, ohne Masken zu tragen. Okay, ich muss eingestehen, heute bei den gleichen Corona-Leugnern hat die Polizei die Maskenpflicht durchgesetzt beziehungsweise hat Anzeige erhoben, was ich gut finde, denn wir können das so nicht durchgehen lassen.
Was geschaffen wird, sind Doppelstandards. So auch mit der Corona-Party von Ordnungsdezernent Markus Frank am 10. Oktober im Frischezentrum, wo er ein Video postet. Ich habe es aus einer kleinen Anfrage erfahren: 231 Menschen haben sich dort ohne Abstand, ohne Maske, weil sie ja gegessen haben, zusammengefunden und haben geklatscht, zu – ironischerweise – dem Song „I will survive“. Da waren anwesend die Oberbürgermeisterin a. D. Petra Roth, Stadtrat Schneider, der Polizeivizepräsident Dr. Seubert, ebenfalls CDU-Funktionär, sowie Thomas Feda, der Geschäftsführer der Tourismus und Congress GmbH.
Wie möchten Sie den Menschen auf der Straße wie beispielsweise der Zeil sagen, ihr müsst Maske tragen, ihr müsst Verantwortung zeigen, wenn dann auf der einen Seite die Corona-Leugner keine tragen müssen und die CDU-Elite ihre Feiern macht. Zu dem damaligen Zeitpunkt durften Veranstaltungen bis 250 Personen stattfinden. Theoretisch haben Sie recht, aber ich halte es trotzdem für verantwortungslos.
(Beifall)
Und wie Sebastian Popp schon sagte, wie sollen wir für Akzeptanz und Solidarität werben, wenn Corona-Leugnerinnen und die CDU-Elite diese Regeln missachten, die für alle anderen offenbar gelten? Sie können sich hier umschauen. In jeder Kantine gelten diese Abstandsregelungen. Sie sehen hier diese kleinen Punkte auf die Tische geklebt. In jeder Kantine gilt das, aber wenn die CDU einmal eine Sause feiert, dann gelten diese Abstandsregeln auf einmal nicht mehr, und das kann ja wohl nicht wahr sein. Das sind Doppelstandards.
Ab Mai hatten Sie noch andere Doppelstandards:
Ab Mai gab es diese massive Präsenz auf dem Opernplatz, ab Juli war der gesperrt, aber erst ab dem 9. Oktober gab es das Alkoholverbot und die Maskenpflicht in der Innenstadt. Erst ab dem 9. Oktober sind Sie gegen diese Corona‑Partys an der Kleinmarkthalle vorgegangen. Wie möchten Sie das den Menschen vermitteln? Und dann stellt sich Peter Feldmann hin und ruft nach der Bundespolizei. Aber hätte er im Juli am Opernplatz nicht nur in die Kameras gegrinst, sondern hätte sich einmal zur Hauptwache begeben, dann hätte er sehen können, wie an einem Wochenende die Bundespolizei 635 Menschen kontrolliert. 2.000 Personen wurden insgesamt kontrolliert, überwiegend migrantischer Zuschreibung, und dann wundern Sie sich, wenn auf einmal Leute Flaschen werfen?
Die FAZ, die ja nun wahrlich kein linkes Kampfblatt ist, hat es so ausgedrückt, dass man vielleicht einmal nach den Ursachen fragen müsse. Und ich verkürze es, man muss doch einmal fragen: Warum hasst Frankfurt die Polizei? Und da können Sie nicht damit kommen, Markus Frank, das sei ja ein Bildungsproblem. Die Polizei in Kampfmontur und Sturmhaube ist vielleicht, das stelle ich einmal in den Raum, der falsche Ansprechpartner, um Menschen darauf anzusprechen, einmal eine Maske zu tragen. Da können Sie niemand hinschicken, der aussieht wie die GSG 9 und der dann sagt: Bitte tragt eine Maske und seid doch aber ansonsten friedlich.
Das ist nicht wie ich ein solidarisches Frankfurt sehe. Wir müssen Frankfurt solidarisch machen, wir dürfen keine Menschen ausgrenzen, wir dürfen sie nicht diskriminieren. Und die Polizei ist nicht die Lösung für jedes Problem, lieber Peter Feldmann.
Vielen Dank!