Rede zum Nova-Festival

Geiseln vom Nova-Festival
Eden Yerushalmi, Hersh Goldberg-Polin, Ori Danino, Carmel Gat, Alexander Lobanov und Almog Sarusi (von oben links nach unten rechts). Quelle: Hostages and Missing Families Forum

Kontext: Rede auf der Fuckparade in Berlin am Samstag, den 14. September 2024, bei der ich Anmelder und verantwortlicher Leiter war.

Die Fuckparade hat 2003 demonstriert vor der Französischen Botschaft gegen den Polizeieinsatz beim Teknival in der Bretagne, bei dem 28 Personen verletzt wurden, vier von ihnen schwer. Einem Raver wurde die Hand abgerissen durch eine Offensivgranate der Polizei. Wir haben damals gefordert: Keine Knüppel und Granaten gegen tanzende Jugendliche, nicht in Frankreich oder anderswo!

Die Fuckparade hat 2005 demonstriert vor der Tschechischen Botschaft gegen den Polizeieinsatz bei CzechTek, bei dem es hunderte Verletzte gab, viele von ihnen wurden schwer verletzt. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, Räumpanzer, Helikopter im Tiefflug und ging mit unglaublicher Brutalität vor. Wir haben dagegen demonstriert.

Vor bald einem Jahr haben Terroristen der Hamas das Supernova-Festival in Israel angegriffen. Sie haben dabei 364 Raver:innen ermordet, gefoltert und setzten gezielt sexualisierte Gewalt ein. Vierzig von ihnen wurden als Geiseln entführt. Und jetzt höre ich Relativierungen wie Israel ist doch so weit weg, was geht uns das an oder aber man muss doch beide Seiten sehen!.

Warum soll eigentlich unsere Solidarität bei israelischen Raver:innen anders sein als bei französischen und tschechischen?

Wir können auf der Fuckparade in einer Rede von fünf Minuten Länge nicht den Nahost-Konflikt lösen und wir können da unterschiedlicher Meinung sein. Darum werde ich mich ausschließlich auf das Nova-Festival beziehen. Aber…

  • Ich erwarte, dass auf der Fuckparade Konsens besteht, dass es scheiße ist, Tanzende abzuschlachten! Tanzende zu ermorden ist kein Freiheitskampf!
  • Ich erwarte von linken Menschen, die auf Demos gegen das iranische Regime Jin, Jiyan, Azadi! – Frau, Leben, Freiheit! – rufen, dass sie die Rechte von Frauen überall anerkennen und sexualisierte Gewalt grundsätzlich ablehnen!
  • Ich erwarte von feministischen Menschen, dass sie allen Opfern von sexualisierter Gewalt Glauben schenken und keine Täter-Opfer-Umkehr betreiben! Kein me too, unless you are a Jew!
  • Ich erwarte von Menschen, die sich gegen Rassismus einsetzen, dass sie auch nicht pauschal alle Jüdinnen und Juden verantwortlich machen für die Politik in Israel, denn das ist einfach antisemitisch! Zur Zeit vergeht keine Woche ohne Anschlag auf jüdisches Leben in Deutschland!

In Israel demonstrieren zur Zeit Hunderttausende gegen die Politik von Ministerpräsident Netanjahu. Das Wort, das man dabei gerade am häufigsten hört, ist „slicha“ – Entschuldigung.

  • Entschuldigt, dass der Rave einen Tag länger ging als geplant.
  • Entschuldigt, dass die korrupte Rechts-Regierung die meisten Soldat:innen von der Grenze zu Gaza abgezogen hat, um die Sukkot-Feiern von Siedlern im Westjordanland zu schützen.
  • Entschuldigt, dass Militär, Polizei und Geheimdienst versagt haben, Euch zu schützen oder zu warnen. Obwohl sie von Anschlagsplänen schon mehrere Stunden zuvor wussten, haben sie den Organisatoren des Festivals nicht Bescheid gegeben.
  • Entschuldigt, dass es 330 Tage nach Eurer Geiselnahme noch immer nicht zu einem Deal zu Eurer Befreiung kam.

Aber wer Geiseln nach 330 Tagen während Verhandlungen erschießt, möchte vielleicht gar keinen Deal…

Die Hamas hat vor wenigen Tagen sechs Geiseln erschossen, fünf davon waren auf dem Nova-Festival:

Slicha, Eden Yerushalmi, 24. Du verbrachtest die Sommertage am liebsten am Strand, gingst Tanzen und machtest eine Ausbildung zur Pilates-Trainerin. Als Du am 31. August erschossen aufgefunden wurdest, wogst Du nur noch 36 Kilo.

Slicha, Hersh-Goldberg-Polin, 23. Während des Massakers auf dem Nova-Festival wurde Dein Arm verletzt und später im Gaza amputiert. Aber Du lebtest noch! Bis Ende August. Du wurdest in Kalifornien geboren, lebtest in Jerusalem und setztest Dich stets für den Frieden ein und dass Jerusalem eine Stadt für alle Menschen sei! Das hat die Hamas nicht interessiert.

Slicha, Ori Danino, 25. Du warst schon entkommen, bist aber nochmal zum Nova-Gelände zurückgekehrt, um Deine drei Freunde zu retten. Ihr alle wurdet von Hamas-Terroristen entführt. Du wolltest Deine Freundin Liel heiraten und Elektrotechnik studieren. Ende August wurdest Du aus nächster Nähe erschossen, als Du Deine Mitgefangenen schützen wolltest, darunter auch Carmel Gat, 40, Beschäftigungstherapeutin aus Tel Aviv.

Slicha, Alexander Lobanov, 32. Du hast als Bar-Manager auf dem Nova-Festival gearbeitet und wirst Deinen fünf Monate alten Sohn Kai und Deinen zweijährigen Sohn Tom nie wieder sehen.

Slicha, Almog Sarusi, 27. Du warst ein lebhafter, positiver Mensch, der es liebte, im Jeep mit seiner Gitarre durch Israel zu reisen. Du warst mit Deiner großen Liebe, Shachar, zum Tanzen auf dem Nova-Rave. Als Shachar bei dem Überfall von Hamas-Terroristen angeschossen wurde, bliebst Du an ihrer Seite und versuchtest, ihr Leben zu retten, bis die Hamas Dich verschleppten.

Stand heute sind noch 101 Geiseln, darunter 18 Geiseln vom Nova-Festival, in der Hand der Hamas. Slicha.

Am Israel Chai.

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Bilanz der Politik der CDU in der Stadtregierung

Kontext: Wortprotokoll über die 52. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 4. März 2021 (16.01 Uhr bis 19:32 Uhr), TOP 5, Erweiterte Fortschreibung 2021 zum Haushalt 2020/2021.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Für mich war das zentrale Merkmal der Politik der CDU in der Regierung der letzten fünf Jahre, dass Sie nach unten treten. Das hat sich schon in dem Wahlkampf von Bernadette Weyland gezeigt, die gegen Obdachlose Front gemacht hat. Das hat sich fortgesetzt in der Politik von Markus Frank, der ebenso gegen Obdachlose, gegen Drogenabhängige und sogar gegen Eisenbahn‑Rainer vorgehen und ihm die Eisenbahn wegnehmen wollte. Das klingt jetzt lustig, ist aber echt dramatisch und es ist bezeichnend für diese Koalition. Andere Städte haben die Politik „Housing first“, Obdachlose von der Straße holen. Die Koalition feiert sich dafür, dass sie im Winter einmal eine B‑Ebene aufmacht. Wann immer wir fordern, dass es beispielsweise ein Boarding‑House geben soll oder dass die Seebrücke unterstützt wird, dass Frankfurt sich zum sicheren Hafen erklärt, dass Projekt Shelter Angebote machen kann, spricht die CDU davon, dass das angeblich eine Sogwirkung ergeben soll.

Was wir sehen, ist, dass Sie Gentrifizierung fördern. Sie verdrängen marginalisierte Menschen und wollen sie unsichtbar machen. Das wird Ihnen aber nicht gelingen. Sie können das nicht einfach wegdiskutieren. Wir haben es jetzt im Ausschuss für Recht, Verwaltung und Sicherheit gesehen, Markus Frank sprach über Sexarbeiter. Ja, wir haben doch gerade eine Pandemie. Die sind aber da, sie sind auf der Straße. Dadurch, dass Sie leugnen, dass sie auf der Straße sind, können Sie sie nicht unsichtbar machen.

Ich darf auch daran erinnern, dass Markus Frank beispielsweise monatelang nichts gegen religiöse Fundamentalisten vor Pro Familia unternommen hat. Diese antifeministische Politik zieht sich durch die letzten fünf Jahre. Das zeigt sich aber auch teilweise in Rassismen, die sich in den langen Schlangen vor der Ausländerbehörde manifestieren, oder in der Kriminalisierung von migrantisch zugeschriebenen Jugendlichen. Ich erinnere mich an letzten Sommer: Hände an die Wand. Wenn Sie mal in der Innenstadt unterwegs waren, war das das übliche Bild. Markus Frank fällt nichts anderes dazu ein, als zu sagen: Racial Profiling ist Bullshit. Damit brüskiert er Tausende von Menschen, die für Black Lives Matter auf die Straße gegangen sind. Er lässt sich „gerne kontrollieren“, aber es passiert ihm auch nicht mehrmals in der Woche.

Die CDU streitet das im Ausschuss für Recht, Verwaltung und Sicherheit ab und das Ergebnis ist, dass sich der Polizeipräsident nach zwei Jahren endlich bei Herrn Wevelsiep entschuldigt. Die Polizeibeamten werden verurteilt, die den Eintracht‑Fan über die Bande geschubst haben, und Peter Beuth, gegen den demonstriert wurde, der verschweigt monatelang die NSU 2.0‑Vorfälle. Das ist der Unterschied unserer Politik. Die LINKEN. treten für marginalisierte Menschen, für eine soziale Politik ein. Sie können sich nicht herausreden, auch nicht die SPD und die GRÜNEN, dass die CDU alles blockiert hat. Sie haben da fünf Jahre lang mitgemacht.

Die GRÜNEN träumen von Schwarz‑Grün und das können wir nicht zulassen. Die CDU muss raus aus der nächsten Regierung.

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1700 Jahre jüdisches Leben und jüdische Geschichte in Deutschland

Kontext: Wortprotokoll über die 51. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 28. Januar 2021 (16.01 Uhr bis 21.34 Uhr), TOP 3, 47. Fragestunde.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Menschen!

Jüdisches Leben in Deutschland ist geprägt von Unkenntnis der Mehrheitsgesellschaft. Warum fand die letzte Plenarsitzung am ersten Chanukkaabend statt? Wer von Ihnen weiß eigentlich, worum es beim erwähnten Laubhüttenfest geht? Hand aufs Herz: Wer von Ihnen wusste vor dem Anschlag in Halle, dass Jom Kippur der höchste jüdische Feiertag ist?

Aber jüdisches Leben in Deutschland ist auch geprägt vom Othering, der Ausgrenzung. Die Juden waren zu arm oder zu reich, zu assimiliert oder nicht integrationswillig, Schuld am „Gottesmord“, an Pornografie, am Kapitalismus und Kommunismus, beschreibt Dariusz Libionka den Schlamassel. Und selbst im Jahr 2019 greift Der Spiegel in seiner Ausgabe über jüdisches Leben in Deutschland auf das Klischee der Juden mit den Schläfenlocken zurück und übernimmt die Sprache der Täter mit der Titelzeile „Jud, bittersüß“.

Mit Judentum in Deutschland verbunden waren auch immer wieder Verleumdungen, Vertreibungen, Pogrome, wie Rabbiner Soussan beschreibt. Mit der jüdischen Emanzipation in Frankfurt kamen dann auch die modernen Antisemiten. Es gründeten sich in Reaktion darauf anti-antisemitische Abwehrvereine wie der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ oder der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“, die auf juristischer und journalistischer Ebene gegen Antisemitismus vorgingen, oder zusammen mit dem Reichsbanner der SPD Aufmärsche und Veranstaltungen der Nazis sprengten. Dennoch hält sich bis heute der Glaube, die Juden hätten einfach zu wenig getan gegen die Nazis oder hätten die Gefahr durch den Nationalsozialismus verkannt, weil sie selbst „zu deutsch“ gewesen seien. Selbst hier ist wieder der Vorwurf, zu passiv oder zu angepasst gewesen zu sein.

Dr. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, kritisiert zu Recht, dass viele Menschen mit Judentum ausgerechnet nur jene zwölf Jahre assoziieren, in denen kein normales jüdisches Leben mehr stattfinden konnte und die europäischen Juden fast vollständig ausgerottet wurden. Jüdisches Leben ist aber mehr als mit trauriger Klarinettenmusik untermalte Schwarz‑Weiß-Bilder.

Und doch gibt es normales jüdisches Leben in Deutschland bis heute nicht. Meine gute Freundin Marina Weisband beschrieb gestern im Bundestag: Heute gehe ich zum Gebet durch Sicherheitskontrollen. Ich lese aufmerksam die Zeitung und ich beobachte angespannt die Stimmung im Land. Wo andere gedenken, erinnern sich Jüdinnen und Juden, was ihren eigenen Familien widerfahren ist. Das Trauma vererbt sich über die Generationen.

Der Kampf gegen Antisemitismus geschieht noch zu zaghaft. Polizei und Militär sind unterwandert von Rechtsextremen. Antisemitismus wird externalisiert statt als urdeutsches Problem begriffen. Vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestufte Parteien wollen einen Schlussstrich ziehen und die Frankfurter FDP verteidigt den Boykott gegen israelische Waren, Kultur und Dialoge. Marina Weisband sagt: „Erst, wenn wir dies überwunden haben, erst dann kann irgendwann eine jüdische Kultur gelebt werden, die mit einer schlichten Selbstverständlichkeit behandelt wird. Erst dann kann jüdisches Leben zur Normalität werden.“ Das wünsche ich mir für die nächsten 1700 Jahre.


[weitere Redebeiträge anderer Stadtverordneter, siehe Wortprotokoll]

Ja, Herr Dr. Schulz, da hätten Sie mir zuhören müssen. Ich habe nicht gesagt, dass Sie sich die Themen zu eigen machen, sondern ich sagte, die FDP verteidigt BDS, und das haben Sie auch gerade wieder getan.

Und, lieber Bernhard Ochs, auch Charlotte Knobloch hat gestern im Bundestag angesprochen, dass dschihadistischer Antisemitismus ein Problem darstellt, aber verlieren wir doch das eigentliche Problem nicht aus dem Fokus: Deutschland ist die Mutter des Antisemitismus. Wir brauchen ihn nicht zu importieren, er war schon immer hier, der moderne Antisemitismus wurde hier erfunden und über 20 Prozent der Bevölkerung stimmt antisemitischen Klischees heute noch zu.

Und auch, wenn jetzt vielleicht Peter Feldmann wieder sagt, Frankfurt hat eine alte Tradition, andere Völker hier leben zu lassen. Auch in Frankfurt gab es Pogrome, 1241 und 1349 die Judenschlachten, 1614 gab es die Fettmilch‑Pogrome. Erst unter Napoleon haben sie gleiche Rechte bekommen, die dann Jahre später wieder zurückgenommen wurden. 1848 kam die erste Emanzipation, dann wurde sie wieder zurückgenommen. Und dann erst 1864 kam es in Frankfurt zur Gleichstellung.

Das heißt auch, wir dürfen es nicht externalisieren. Antisemitismus ist ein deutsches Problem, und wir müssen es benennen. Auch wenn es unbequem ist, auch wenn es bei der Polizei vorkommt, was manche hier nicht hören möchten. Und auch, das gebe ich zu, wenn es bei dem eigenen Studierendenverband vorkommt: auch das müssen wir benennen, wenn es auch unbequem ist. Denn was nicht funktioniert, ist, dass wir es externalisieren auf „die“ Ausländer oder „die“ Geflüchteten. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Und wenn wir eines aus der Geschichte gelernt haben, lieber Bernhard, dann ist es, dass die Ausgrenzung von einer Minderheit nicht durch die Ausgrenzung einer anderen aufgehoben wird.

Danke sehr!

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Kampf gegen Corona

Kontext: Wortprotokoll über die 49. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 5. November 2020 (16.03 Uhr bis 19.57 Uhr), TOP 5, Kampf gegen Corona.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren!

Zunächst einmal ein Wort zu der Kritik zur Anmeldung unseres Tagesordnungspunktes, Nils Kößler, Sebastian Popp. Ich finde es zutiefst undemokratisch, wenn so etwas kritisiert wird, denn gerade in einer Krise ist Wohnen existenziell, deswegen ist es wichtig, …

(Beifall)

… dass es heute auf der Tagesordnung behandelt wird.

Am 29. April antwortete der Magistrat auf unsere kleine Frage mit der Nummer 2548, dass entgegen den Empfehlungen der Bundesregierung keine fünf Personen pro 100.000 Einwohnerinnen im Gesundheitsamt zur Nachverfolgung vorgehalten werden, also keine 187 Personen. Die Antwort des Magistrats liest sich so, dass Überkapazitäten vermieden werden sollen. Kapazitäten sollen flexibel angepasst werden, was aber nicht gelingen kann, wenn allein 23 Planstellen im Gesundheitsamt unbesetzt sind.

Zu jeder Zeit soll die zur Nachverfolgung erforderliche Personalkapazität zur Verfügung gestellt werden, und jetzt lesen wir in der Antwort auf unsere kleine Anfrage heute, dass der Magistrat dazu, was er Ende April angekündigt hat, am 19. Oktober, also gerade einmal vor Kurzem, einen Magistratsbeschluss getroffen hat, dass Personen aus anderen Ämtern dem Gesundheitsamt für die Nachverfolgung zugeordnet werden können. Vorrangig gegenüber anderen Dienstleistungen sei dies, und es gäbe ein mehrstufiges Konzept.

Und dann muss ich in der Zeitung lesen, dass der Oberbürgermeister Peter Feldmann auf einmal die Bundeswehr zur Amtshilfe ruft, weil die Kapazitäten des Gesundheitsamtes offenbar doch nicht ausreichen, weil man nicht genügend vorgeplant hat. Es konnte ja keiner ahnen, dass eine zweite Welle kommt und dass die Bundesregierung, so leid mir das tut, das eingestehen zu müssen, vielleicht doch recht hatte mit den 187 Personen zur Nachverfolgung. Das Gesundheitsamt kann derzeit längst nicht mehr alle Fälle nachverfolgen. Aus dem Gesundheitsdezernat heißt es auf die Anfrage, wie es denn stünde mit der Situation in den Schulen, dass man aus den Erfahrungen vergangener Monate wisse, dass Schulen keine Hotspots sind.

Meine Kollegin sagt gleich noch etwas dazu. Aber wo sollen dann also bitte schön aus den wenigen Monaten die Erfahrungen mit den Hotspots herkommen? Peter Feldmann hat die Situation in Israel genannt, wo die Schulen übrigens offen waren. Das Gesundheitsministerium von Israel sagt, Kinder haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, das Virus zu bekommen, geben es auch weiter. Zwar verläuft die Krankheit bei den Kindern unter zehn Jahren schwächer, aber bei den Kindern über zehn Jahren und den Jugendlichen eigentlich genauso schlimm wie bei den Erwachsenen. Und sie tragen es weiter in die Familie und zu den Großeltern. Daher, die Schulen zu vernachlässigen und dann zu sagen, wie es aus dem Gesundheitsdezernat heißt: Wenn man den Infektiologen des Gesundheitsamtes nicht trauen würde, dann könne das ja jede Schule für sich entscheiden. Da lassen Sie die Schulen und die Schulleitungen alleine. Das darf nicht geschehen in so einer Krise.

Ich habe eine E-Mail, die Eltern von einer Grundschulleiterin bekommen haben. Da steht als Mitteilung an die Eltern darin: Ich verstehe absolut, dass Sie viele Fragen haben, aber die kann ich Ihnen leider auch nicht beantworten, da wir auf das Gesundheitsamt angewiesen sind. Ich melde mich, sobald ich Neuigkeiten habe. Sie hat nämlich das Gesundheitsamt leider auch nicht erreicht. Also, da sehen wir die tatsächlichen Auswirkungen, die wir Ende April angekündigt haben, dass das Gesundheitsamt nicht genügend Kapazitäten hat, dass dort eine Personalunterversorgung besteht, die wir dringend ausräumen müssen.

Und dann gibt es da noch diese Doppelstandards. Seit dem 9. Oktober gilt die Maskenpflicht innerhalb des Anlagenrings, die Zuwiderhandlung ist eine Ordnungswidrigkeit. Es wurde gerade schon angesprochen, dass dies nicht für Corona-Leugnerinnen am Goetheplatz zu gelten scheint, die sich mit 500 Menschen versammelt haben, ohne Masken zu tragen. Okay, ich muss eingestehen, heute bei den gleichen Corona-Leugnern hat die Polizei die Maskenpflicht durchgesetzt beziehungsweise hat Anzeige erhoben, was ich gut finde, denn wir können das so nicht durchgehen lassen.

Was geschaffen wird, sind Doppelstandards. So auch mit der Corona-Party von Ordnungsdezernent Markus Frank am 10. Oktober im Frischezentrum, wo er ein Video postet. Ich habe es aus einer kleinen Anfrage erfahren: 231 Menschen haben sich dort ohne Abstand, ohne Maske, weil sie ja gegessen haben, zusammengefunden und haben geklatscht, zu – ironischerweise – dem Song „I will survive“. Da waren anwesend die Oberbürgermeisterin a. D. Petra Roth, Stadtrat Schneider, der Polizeivizepräsident Dr. Seubert, ebenfalls CDU-Funktionär, sowie Thomas Feda, der Geschäftsführer der Tourismus und Congress GmbH.

Wie möchten Sie den Menschen auf der Straße wie beispielsweise der Zeil sagen, ihr müsst Maske tragen, ihr müsst Verantwortung zeigen, wenn dann auf der einen Seite die Corona-Leugner keine tragen müssen und die CDU-Elite ihre Feiern macht. Zu dem damaligen Zeitpunkt durften Veranstaltungen bis 250 Personen stattfinden. Theoretisch haben Sie recht, aber ich halte es trotzdem für verantwortungslos.

(Beifall)

Und wie Sebastian Popp schon sagte, wie sollen wir für Akzeptanz und Solidarität werben, wenn Corona-Leugnerinnen und die CDU-Elite diese Regeln missachten, die für alle anderen offenbar gelten? Sie können sich hier umschauen. In jeder Kantine gelten diese Abstandsregelungen. Sie sehen hier diese kleinen Punkte auf die Tische geklebt. In jeder Kantine gilt das, aber wenn die CDU einmal eine Sause feiert, dann gelten diese Abstandsregeln auf einmal nicht mehr, und das kann ja wohl nicht wahr sein. Das sind Doppelstandards.

Ab Mai hatten Sie noch andere Doppelstandards:

Ab Mai gab es diese massive Präsenz auf dem Opernplatz, ab Juli war der gesperrt, aber erst ab dem 9. Oktober gab es das Alkoholverbot und die Maskenpflicht in der Innenstadt. Erst ab dem 9. Oktober sind Sie gegen diese Corona‑Partys an der Kleinmarkthalle vorgegangen. Wie möchten Sie das den Menschen vermitteln? Und dann stellt sich Peter Feldmann hin und ruft nach der Bundespolizei. Aber hätte er im Juli am Opernplatz nicht nur in die Kameras gegrinst, sondern hätte sich einmal zur Hauptwache begeben, dann hätte er sehen können, wie an einem Wochenende die Bundespolizei 635 Menschen kontrolliert. 2.000 Personen wurden insgesamt kontrolliert, überwiegend migrantischer Zuschreibung, und dann wundern Sie sich, wenn auf einmal Leute Flaschen werfen?

Die FAZ, die ja nun wahrlich kein linkes Kampfblatt ist, hat es so ausgedrückt, dass man vielleicht einmal nach den Ursachen fragen müsse. Und ich verkürze es, man muss doch einmal fragen: Warum hasst Frankfurt die Polizei? Und da können Sie nicht damit kommen, Markus Frank, das sei ja ein Bildungsproblem. Die Polizei in Kampfmontur und Sturmhaube ist vielleicht, das stelle ich einmal in den Raum, der falsche Ansprechpartner, um Menschen darauf anzusprechen, einmal eine Maske zu tragen. Da können Sie niemand hinschicken, der aussieht wie die GSG 9 und der dann sagt: Bitte tragt eine Maske und seid doch aber ansonsten friedlich.

Das ist nicht wie ich ein solidarisches Frankfurt sehe. Wir müssen Frankfurt solidarisch machen, wir dürfen keine Menschen ausgrenzen, wir dürfen sie nicht diskriminieren. Und die Polizei ist nicht die Lösung für jedes Problem, lieber Peter Feldmann.

Vielen Dank!

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Aufnahme von Geflüchteten aus Moria

Kontext: Wortprotokoll über die 48. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 1. Oktober 2020 (16.02 Uhr bis 23.33 Uhr), TOP 3, 44. Fragestunde.

Schriftliche Anfrage an den Magistrat:

Frankfurt muss sicherer Hafen sein, denn der Zustand auf den griechischen Inseln, vor allem nach dem Brand in Moria, ist untragbar.

Ich frage den Magistrat:

Was wird die Stadt über die Unterzeichnung eines offenen Briefs hinaus tun?

Mündliche Antwort von Oberbürgermeister Peter Feldmann in der Plenarsitzung:

Sehr geehrter Herr Kliehm, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Stadtverordnete, Herr Vorsteher!

Mit der Unterzeichnung des offenen Briefes an Frau Kanzlerin Merkel signalisiert der Magistrat der Stadt Frankfurt die Bereitschaft, Geflüchteten aus dem Lager Moria Zuflucht zu gewähren. Bundesweit sollen nach dem aktuellen Stand rund 1.500 Menschen aufgenommen werden. Nach den gängigen Verteilungsschlüsseln würde das für Frankfurt bedeuten, dass nur eine sehr geringe Zahl an Geflüchteten zusätzlich versorgt werden müsste. Der Magistrat berät daher darüber, auch über dieses Bundeskontingent hinaus Menschen in Not aufzunehmen. Für die Aufnahme von Geflüchteten sind durch die Stadtverwaltung alle Vorkehrungen getroffen, um die Menschen in beiden Erstaufnahmeeinrichtungen, die vorgehalten werden, aufzunehmen. Je nach aufenthaltsrechtlichem Status werden dann die regulären Hilfen in die Wege geleitet, zum Beispiel die Antragstellung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, dem Sozialgesetzbuch II, beispielsweise auch Sprach- und Integrationskurse und die Vermittlung in Arbeit oder Qualifizierungsmaßnahmen.

Nachfrage des Anfragestellers Martin Kliehm:

Gemäß Königsteiner Schlüssel müssen von den 150 unbegleiteten Minderjährigen, die gerade gestern zum Teil angekommen sind, 0,7 in Frankfurt aufgenommen werden und von den 1.500, die Sie genannt haben, 7,6 Personen. Das finde ich für eine Stadt wie Frankfurt sehr wenig. Welche Größenordnung stellt sich der Magistrat vor? Es sind derzeit insgesamt 23.700 Geflüchtete von den griechischen Inseln, die auf Europa verteilt werden müssten. Selbst wenn Deutschland komplett alle 23.700 Geflüchtete aufnehmen würde, würden nach dem Königsteiner Schlüssel für Frankfurt nur 130 Menschen herauskommen. Wie viele Menschen möchte der Magistrat in Frankfurt konkret aufnehmen?

Oberbürgermeister Peter Feldmann:

(fortfahrend)

Ich will es erst einmal grundsätzlich zuspitzen. Wir müssen in dieser Frage klar Position beziehen und die Bereitschaft signalisieren, Menschen in Not aufzunehmen. Wir müssen uns dazu auch noch enger mit dem Land abstimmen, und – ich sage es sehr deutlich – der Friedensnobelpreis für die Europäische Union ist ein schönes Symbol, aber es darf kein Symbol bleiben.

Wir sind eine Stadt, die international ausgerichtet ist, die von ihrer Internationalität lebt. Wir erleben alle – von der Steuer bis hin zu den Messegästen, bis zu den Touristen, den Gastwirten, den Taxifahrern, bis zu allen kleinen Dienstleistungsgewerben, großen Dienstleistungsgewerben und den Betrieben -, was es heißt, wenn Internationalität nicht mehr funktioniert, wenn Menschen nur noch mit einem negativen Corona-Test nach Deutschland kommen können oder eben gar nicht.

Sie haben die Zahl angesprochen. Es sind bundesweit 1.500 Geflüchtete. Hessen versorgt rund sieben Prozent aller Geflüchteten im Bundesgebiet, Frankfurt wiederum sieben Prozent von Hessen. Das würde, wenn man es umrechnet, rechnerisch nur sieben Personen ergeben, die Frankfurt aufnehmen müsste. Sie haben gefragt, inwiefern Frankfurt darüber hinaus Geflüchtete aufnehmen kann. Ich will ehrlich mit Ihnen sein, darüber beraten wir noch. Ich bin allerdings – und das möchte ich hier klarmachen – der Auffassung, dass wir mehr tun können, als sieben Geflüchtete zusätzlich aufzunehmen.

(Beifall)

Wir sind die Experten in Internationalität. Wir werben bundesweit, europaweit und international damit, dass wir in einer Stadt mit 179 Nationen friedlich miteinander umgehen, dass wir in vielen Bereichen sogar rückläufige Deliktzahlen haben, und Frankfurt hat gut funktionierende Strukturen für die Versorgung von Geflüchteten. Auch dort ist sich die Koalition – die Leitung für diesen Bereich hat Frau Professor Birkenfeld – einig, dass wir diese Strukturen schützen, und mit diesen gut funktionierenden Strukturen verkraften wir es, wenn wir einige Personen zusätzlich aufnehmen. Das ist meine Auffassung, und ich hoffe, dafür viel Unterstützung zu bekommen.

(Beifall)

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Oberbürgermeister Peter Feldmann, von dem wir jetzt viel gehört haben, sprach vorhin den Friedensnobelpreis der Europäischen Union an – die gleiche Europäische Union, die die Festung Europa ausgebaut hat. Allein seit 2016 sind über 12.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Was macht der Friedensnobelpreisträger Europäische Union? Über Frontex werden Flüchtlingsboote abgedrängt. Es finden verbotene Push-Backs statt. Menschen werden ohne Asylprüfungsverfahren einfach abgeschoben, zivile Seenotrettung wird behindert. Es berichten Menschenrechtsorganisationen von systematischen Menschenrechtsverletzungen. Frontex duldet Gewaltexzesse an den EU-Außengrenzen. Das ist die Europäische Union, der Friedensnobelpreisträger.

Dann kommen wir zu einer anderen Union, der CDU. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat letzte Woche gesagt, Dublin III muss endlich abgeschafft werden. Da stimme ich ihr voll zu. Aber sie sagt auch, stattdessen sollen mehr Zurückweisungen an den Außengrenzen und Abschiebungen sowie Schnellverfahren mit dem Ziel, noch mehr Menschen abzuschieben, die Lösung sein. Ich sehe da – wie viele andere – eine Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gewahrt. Dabei gibt es doch genügend Kommunen in Deutschland, in Europa, die bereit wären, Menschen aufzunehmen.

Die Süddeutsche Zeitung hat im Frühjahr berichtet, dass allein in Deutschland die Kommunen 25.000 bis 65.000 Menschen sofort aufnehmen könnten. Ich habe es vorhin gesagt: Laut der Flüchtlingsorganisation der UN befinden sich derzeit im gesamten griechischen Mittelmeerraum 23.700 Geflüchtete. Allein die Kommunen in Deutschland könnten all diese Menschen freiwillig aufnehmen. Stattdessen sehen wir was? Nachdem Peter Feldmann zwei Wochen lang gesagt hat, oh, da brauchen wir noch einen neuen Beschluss, hat er endlich herausgefunden, dass wir gar keinen neuen Beschluss brauchten, denn wir haben schon am 7. Mai beschlossen, dass sich Frankfurt auf allen Ebenen dafür einsetzt, dass mehr Geflüchtete aufgenommen werden. Dann hat er am 18. September endlich den offenen Brief der anderen Oberbürgermeister mitunterzeichnet. Ich erwarte, dass das in Zukunft sofort geschieht, dass Sie da zu den Erstunterzeichnern gehören.

Nach dem Brand in Moria werden Geflüchtete in neuen Lagern zwangsinterniert, ohne fließend Wasser, kein Essen, 35 dreckige Toiletten für 9.000 Menschen. Die Menschen müssen da herausgeholt werden – dringend. Lippenbekenntnisse – wie bisher die letzten zwei Jahre – können wir uns nicht mehr leisten. Frankfurt kann und muss mehr als die nach Schlüssel vorgesehenen sieben Geflüchteten und ein unbegleitetes minderjähriges Kind aufnehmen. Wir erwarten, dass jetzt etwas geschieht. Leave no one behind – wird auch endlich Zeit!

Danke!

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Polizeigewalt in Alt-Sachsenhausen

Kontext: Wortprotokoll über die 47. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 3. September 2020 (16.01 Uhr bis 23.50 Uhr), TOP 4, 43. Fragestunde.

Schriftliche Anfrage an den Magistrat:

Innerhalb der Frankfurter Polizei gibt es nicht nur Probleme mit rassistischen Strukturen. Die veröffentlichten Videos zeigen: Die Polizei hat ein Gewaltproblem. Rassismus, Gewaltbereitschaft und staatliches Gewaltmonopol bilden ein gefährliches Gemisch. Niemand kann davor sicher sein, während eines Einsatzes Opfer von Polizeigewalt zu werden. Inzwischen scheuen sich viele Menschen davor, die Polizei zu rufen.

Ich frage den Magistrat:

Welche Maßnahmen wird der Magistrat ergreifen, um die Frankfurter Bevölkerung vor Polizeigewalt zu schützen?

Mündliche Antwort von Ordnungsdezernent Markus Frank, CDU, in der Plenarsitzung:

Sehr geehrter Herr Vorsteher, sehr geehrter Herr Kliehm,

ich muss sagen, die Bilder, die Videos, die wir alle gesehen haben am Rande des Polizeieinsatzes, die waren nicht schön. Das waren verstörende Bilder, deswegen sage ich das hier auch. Ich bin unserem Polizeipräsidenten sehr dankbar, dass er den Polizeibeamten, die dort eingesetzt waren, die auf den Videos erkannt worden sind, direkt ein Verbot der Ausübung der Dienstgeschäfte, auch mit sofortiger Wirkung, ausgesprochen hat. Ich glaube, das zeigt, wie unsere Polizei arbeitet und dass, wenn einzelne Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamte sich nicht an Recht und Gesetz halten, es direkt auch eine Konsequenz hat. Aber ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass die Polizei in unserer Stadt, in unserem Land eine Gefahr für die Bevölkerung unserer Stadt ist. Ganz Im Gegenteil, gerade in dieser ganz schwierigen Corona‑Zeit leisten die Bediensteten der Landes-, Bundes- und auch der Stadtpolizei einen beeindruckenden Dienst für unsere Stadt und für unser Land.

(Beifall)

Ich glaube, wenn wir wollen, dass in unserem Land Recht und Gesetz durchgesetzt wird, müssen wir unsere Polizei insgesamt stärken. Da nützt es nichts, ihnen pauschal vorzuwerfen, sie wären gewalttätig gegen Menschen. Es nützt auch nichts, ihnen vorzuwerfen, dass sie allesamt irgendwie rassistische Gedanken hätten. Nein, dem ist nicht so, das wissen wir. Wenn es Einzelfälle gibt, muss dem nachgegangen werden. Deswegen noch einmal: Wir haben am Montag im Ausschuss für Recht, Verwaltung und Sicherheit, wie ich finde, einen beeindruckenden Polizeipräsidenten erlebt, der sich sehr viel Zeit genommen hat, auch für die Stadtverordneten. Der Dienstherr des Polizeipräsidenten ist nicht der Magistrat der Stadt Frankfurt, das ist die Landesregierung. Normalerweise gibt ein Polizeipräsident dem Landesparlament Auskunft. Ich fand das sehr eindrucksvoll. Er hat auch dargelegt, wie unsere Polizei aufgestellt ist, wie sie arbeitet. Aber noch einmal, ich glaube, in unserer Zeit haben wir eher ein Problem mit Gewalt gegen Polizeibeamte, Gewalt gegen Einsatzkräfte.

(Beifall)

Deshalb ist es wichtig, egal wo wir sind, an jeder Stelle, an der wir sind, deutlich zu machen, wie wichtig die Arbeit unserer Polizei ist. Ich will Ihnen noch einmal ein Bild senden, was mich beeindruckt hat. Am Wochenende, als die Rechten versucht haben, das Herz der Demokratie, unser Parlament, anzugreifen, da standen dort drei Polizeibeamte und konnten das abwenden. Ich fand, das waren wunderbare Bilder. Ich verneige mich vor dieser Leistung.

(Beifall)

Nachfrage des Anfragestellers Martin Kliehm:

Wenn Sie Berlin schon erwähnen, muss man auch noch sagen, dass zur selben Zeit drei Polizeibeamte auf den Bühnen von Verschwörungsideologen genau das Gegenteil gemacht haben und sich nicht demokratisch verhalten haben. Ich halte es eigentlich für selbstverständlich, dass Menschen professionell ihren Job tun, und dies schaffen, ohne dabei schwarze Menschen anzuzünden.

Ich muss mich fragen: Wie kommt so etwas wie diese verstörenden Bilder, die Sie genannt haben, zustande? Das ist noch nicht einmal eine Frage, das ist rhetorisch: Wie kann sich jemand in der Polizei so sicher fühlen, dass er so ausrastet und jemanden ins Gesicht tritt? Da sehe ich Sie auch als Teil des Problems.

Das ist meine Frage: Streiten Sie immer noch die Existenz von Rassismus und Racial Profiling bei Polizei und Behörden als Bullshit ab, und welche Botschaft sendet das eigentlich an die von Rassismus Betroffenen?

Ordnungsdezernent Markus Frank:

(fortfahrend)

Da, wo ich bin, und wo ich auftrete und gefragt werde, erkläre ich den Menschen, dass Racial Profiling zum Beispiel bei der hessischen Polizei kein Thema ist. Das ist verboten. Es ist auch polizeitaktisch unklug, wenn sie den Auftrag hätten, nach äußeren Merkmalen Menschen zu kontrollieren. Das würde eine ganze Reihe von Menschen verstören. Was wir als Gesellschaft brauchen ist doch der gesellschaftliche Zusammenhalt. Wir müssen doch dafür sorgen, dass egal welche Hautfarbe jemand hat, egal wo er herkommt, welche Religion er hat, er sich für die Gesellschaft engagiert und einsetzt. Wir kennen unser Grundgesetz. Wir wissen, wie die Polizei Aufträge bekommt, welche Aufgaben sie hat. Dieses ständige Behaupten, dass Menschen nur wegen äußerer Merkmale kontrolliert werden, das ist nicht richtig. Das ist falsch. Das ist in unserem Land verboten.

Wenn Sie dieses Wort ansprechen, das ich ausgesprochen habe. Ich war auf dem Opernplatz und gerade im Interview für das ZDF. Da kam eine aufgebrachte Menge, die das Interview gestört hat. Der Journalist war dann auch sehr aufgebracht. Ich habe dann zielgruppengerecht geantwortet, mehr auch nicht. Ich würde das hier in dem Rahmen nicht so machen. Aber noch einmal: Wir haben bei unserer hessischen Polizei kein strukturelles Problem mit Rassismus. Wer das Gegenteil sagt, der verunglimpft unsere Polizei.

(Beifall)

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Mit großer Regelmäßigkeit lesen wir inzwischen negative Schlagzeilen von der hessischen Polizei und zwar nicht nur in der Frankfurter Rundschau, auch in der FAZ, in der Neuen Presse, in der Zeit, in der Süddeutschen. Wir lesen von Polizeigewalt in Alt‑Sachsenhausen, im Gallus, in Eschborn und in Ingelheim, von rechten Netzwerken bei der Polizei, von Drohbriefen aus den Reihen der Polizei, von illegalen Abfragen vertraulicher Daten aus Revieren in Frankfurt, Wiesbaden, Hamburg und Berlin, und das über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren hinweg, wo uns der Polizeipräsident im Februar 2019 versprochen hat, dass dies nicht mehr vorkommen wird. Wir lesen von schlampigen Ermittlungen im Mordfall Lübcke und bei Brandanschlägen eines Spenders der AfD auf linke Zentren in Frankfurt. Und in letzter Zeit lesen wir auch von Bedrohungen von Zeuginnen und Zeugen. Und Herr Frank will uns immer noch klarmachen, dass es alles nur Einzelfälle sind. Damit kommen Sie nicht mehr durch.

(Beifall)

Immer häufiger werden diese Übergriffe auf Video dokumentiert, und zwar nicht auf den offiziellen Polizeivideos, die seit 2013 Bodycams mit sich führt. Das heißt, sie hatten sieben Jahre Zeit festzustellen, dass der Akku, wie uns der Polizeipräsident gesagt hat, nur sechs bis acht Stunden hält, das heißt, um vier Uhr ist Sense, die Batterie ist leer und ausgerechnet dann zu der Zeit um fünf Uhr, wenn die ganzen Kneipen geräumt werden, dann ist der Akku gerade leer. Das kann doch nicht sein. Da muss man doch damit rechnen als Polizistin und Polizist und einen entsprechenden Ersatzakku oder eine zweite Kamera mit sich führen.

Das alles wird aber nur privat dokumentiert, wenn am Boden fixierte Menschen in Nieren und Gesicht getreten werden von Leuten, die eine Kampfausbildung haben und Springerstiefel tragen. Im normalen Leben wäre das versuchter Totschlag. Und dann stellen Sie sich hier hin, und die CDU wird dies wieder machen, wir haben die übliche Liste von Verdächtigen auf der Redeliste. Die CDU betreibt dann eine Täter-Opfer-Umkehr. Auf einmal ist nicht mehr die Polizeigewalt das Thema, sondern Gewalt gegen Polizei, und da übersehen Sie zum Beispiel, dass 2017 die §§ 113 und 114 Strafgesetzbuch verschärft wurden, sodass inzwischen etwas ganz anderes als Gewalt gegen Polizei gilt. Die bayerische Polizei zählt Beleidigungen dazu, Widerstand, tätlichen Angriff. Das alles ist angeblich alles Gewalt gegen die Polizei. Da wird noch nicht einmal differenziert zwischen versuchtem und vollendetem Widerstand.

Wir haben ein Polizeiproblem, und Aufgabe der Demokratie ist die Kontrolle der Exekutive, wie Sie das mit Peter Feldmann machen und nicht etwa, wie Sie das gegenüber der Polizei betreiben. Sie könnten vielleicht den Betroffenen etwas besser zuhören und diese Fälle von Polizeigewalt sehen, wenn Sie nicht permanent bis zum Hals im Hintern der Polizei stecken würden.

(Beifall)

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Situation der Drogenabhängigen während des Corona-Lockdowns

Kontext: Wortprotokoll über die 46. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 2. Juli 2020 (16.03 Uhr bis 23.15 Uhr), TOP 4, 43. Fragestunde.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Meine Damen und Herren!

Nicht der Frankfurter Weg ist gescheitert, die AfD ist gescheitert. Wo ist denn Ihr Fraktionsvorsitzender? Was machen Sie denn im Landtag? Der Frankfurter Weg ist nicht gescheitert. Ich werde darauf auch gleich noch einmal eingehen.

Im Ausschuss für Recht und Sicherheit haben wir vor allem zwei Dinge gehört, die mich sehr überrascht haben. Das eine war Markus Frank, der gesagt hat, die Drogenabhängigen und die Obdachlosen sind nun sichtbarer. Markus Frank hat nicht gesagt, dass es jetzt mehr sind. Er sagte, sie sind sichtbarer, weil zu Corona-Zeiten alles geschlossen hatte, weil dort weniger Leute arbeiten, weil die Bordelle geschlossen haben, weil die Gastronomie geschlossen hatte. Man sieht die Menschen mehr. Es sind nicht mehr geworden. Stefan Majer sagte, er würde sich wünschen, dass die Drogenabhängigen wegen den tollen Hilfsangeboten nach Frankfurt kämen. Aber sie kommen nach Frankfurt, weil hier der Stoff ist. Da muss man ansetzen und nicht sagen, oh, der Frankfurter Weg mit den Hilfsangeboten sei gescheitert.

Herr Schenk, Sie haben auch Unrecht. Die Kriminalitätsrate in Frankfurt sinkt seit Jahren. Wir haben wesentlich weniger Drogentote. Wir haben jetzt 20 bis 30 Drogentote pro Jahr. In den Neunzigerjahren waren es 150 Drogentote pro Jahr. Das haben wir heute noch in Berlin, das eine gleich große Drogenszene wie in Frankfurt hat, weil sie diesen Weg nicht gegangen sind. Und wir haben die Zahl der Drogenabhängigen in Frankfurt konstant. Ich sehe auch keine sehr große offene Drogenszene, wenn man die Taunusanlage einmal gewöhnt war. Da waren es teilweise über 1.000 Menschen. Ich weiß nicht, wo Sie aufgewachsen sind, aber anscheinend nicht in Frankfurt.

Wenn dann selbst von der SPD ein Oliver Strank sagt, die Leute sollen doch in ihre Heimatkommune gehen, dann frage ich mich, wie realitätsfremd das denn ist. Sie haben gehört, die Leute kommen nach Frankfurt wegen des Stoffs und nicht wegen den Hilfsangeboten. Aber in Frankfurt sind die Hilfsangebote, weil hier die Menschen sind. Das kann eine kleine Heimatkommune auf gar keinen Fall leisten.

Die Drogenabhängigen und Obdachlosen wurden in der Corona-Krise alleingelassen. Man muss sich schon fragen, warum in einer Stadt wie Frankfurt Menschen im Müll schlafen und auf die Straße kacken müssen, weil Herr Schneider es nicht hinkriegt, Toiletten zu schaffen. Die Gastronomen beschweren sich dann über die Drogenabhängigen. Da haben wir ein Phänomen, das wir hier sehr oft sehen, weil Sie eigentlich nur nach unten treten können. Ich erwarte eine Gleichbehandlung. Auf der einen Seite will Markus Frank immer ein Alkoholverbot im Kaisersack und auf der anderen Seite sagt niemand etwas, wenn Corona-Partys mit 3.000 Menschen auf dem Opernplatz oder an der Kleinmarkthalle stattfinden. Oder Sie heulen herum, dass die armen Ordnungshüter nicht ernst genommen werden. Sie handeln mit zweierlei Maßstab. Sie können nur nach unten treten. Das muss aufhören. Den Frankfurter Weg müssen wir weiterhin unterstützen.

Danke!

(Beifall)

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Dauerhafte Öffnung des Mainkais für Fuß- und Radverkehr

Kontext: Wortprotokoll über die 46. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 2. Juli 2020 (16.03 Uhr bis 23.15 Uhr), TOP 3, 42. Fragestunde und TOP 6, „Sperrung Mainkai“.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Jetzt haben schon viele erwähnt, dass aus Darmstadt oder aus dem Verkehrsministerium dieser Verkehrsversuch für ein Jahr begrenzt werden soll oder das gesagt wird, länger als ein Jahr geht ein Verkehrsversuch aus städteplanerischen Gründen nicht. Wolfgang Siefert sagte, hier ist das Formular, wir können verlängern. Wir haben eine parlamentarische Mehrheit hier in diesem Haus. Außer der CDU möchte niemand den Mainkai für Autos wieder öffnen. Wir haben diese Mehrheit – also der relevanten Parteien.

(Beifall)

Wir haben eine Mehrheit, wir können das Formular ausfüllen, und wir können einen Beschluss fassen, dass der Mainkai dauerhaft gesperrt bleiben soll. Er wird, im Gegensatz zu dem, was die CDU gesagt hat, heutzutage stark genutzt. Fast jedes Wochenende sind dort Veranstaltungen, Kinderradfahren, es sind Nutzungen von diesem Raum. Dass es immer noch so trist aussieht, ist eben auch Teil der Schuld der CDU, die sich vehement dagegen gewehrt hat, dass dieser Raum begrünt und lebenswert gemacht wird. Paris wurde angesprochen. Dort wurde erkannt, dass es nur geht, wenn man den Verkehr reduziert und gleichzeitig den Lebensraum für alle aufwertet. Genau das vermisse ich bei Klaus Oesterling, aber auch bei dem Konzept der CDU. Dort wurde der Verkehr reduziert, aber der Lebensraum wurde nicht aufgewertet. Das ist für diese Räume aber essenziell.

Wir haben inzwischen Initiativen für einen autofreien Mainkai. Die Initiativen aus Sachsenhausen sind inzwischen komplett verstummt, und sie kommen auch nicht mehr in den Ausschuss. Selbst die CDU hat in ihrem Verkehrskonzept erkannt, dass man etwas dagegen tun muss, dass mehr und mehr Frankfurter Haushalte sich überlegen, ein Auto anzuschaffen. Dem muss man entgegensteuern, und das macht man nicht, indem man mehr Straßen baut. Das heißt, was wir erreichen müssen ist, dass wir eine Stadt der kurzen Wege haben, wie das die LINKEN. seit Jahren im Programm stehen haben. In Paris wird es „die Stadt der 15 Minuten“ genannt, dass alles erreicht werden kann, was man im Alltag braucht, fußläufig oder mit dem Fahrrad. Was wir dazu brauchen, ist als ersten Schritt, den Mainkai dauerhaft zu sperren.

Wir werden einen Antrag dafür schreiben, dann wird der Mainkai am 1. September für die Autos wieder geöffnet, und wenn wir es beschließen, wird er am 4. September wieder geschlossen.

Danke!


(fortfahrend später zu TOP 6, „Sperrung Mainkai“)

Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Stammwitz, ich verrate Ihnen einmal eines: Eine künstliche Intelligenz von Ampeln kann die mangelnde Intelligenz von Autofahrern leider nicht ausgleichen.

(Beifall)

Das ist so typisch, wir haben ein Problem, ein gesellschaftliches, ein Umweltproblem und dann kommen so Technokraten und glauben, sie hätten hier eine Lösung, wir brauchen nur ein paar Computer und das löst sich alles in Luft auf. Nein, die Gesellschaft muss sich ändern. Ich dachte schon, als Herr Kößler hier stand und sagte, wir müssen einmal auf die Initiativen von draußen hören, er meint „Mainkai für alle“. Das ist eine sehr starke Initiative, aber nein, dann kommt er mit der IHK und der Handwerkskammer, die bekannt sind aus solchen Hits wie IHK will keine Radfahrer auf Hauptstraßen oder ein anderer Vorschlag von ihnen war, Parkgebühren zu senken, damit Kunden ihre Geschäfte mit dem Auto erledigen können. Ich bin immer wieder sprachlos wegen des Aufschreis über die Pläne zur sogenannten autofreien Innenstadt, als wäre der Boden außerhalb eines Autos Lava und man würde beim Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Radfahren und Spazierengehen sofort in Flammen aufgehen. Das ist nicht der Fall. Das kann ich auch der IHK und der Handwerkskammer versichern.

Die CDU hat vor ein paar Tagen ein vierseitiges Konzept vorgestellt, da ist nicht viel zu lesen, wo sie wortgleich mit den GRÜNEN – habt ihr euch da abgesprochen? – von einer autoarmen Innenstadt reden. Liebe GRÜNE, es würde mir schon zu denken geben, wenn ich von Mike Josef getoppt werde, der von einer autofreien Innenstadt wagt zu reden. Bei der Vorstellung von diesem Verkehrskonzept rudert Nils Kößler auch schon gleich zurück. Auf der einen Seite sprechen Sie von einer autoarmen Innenstadt, auf der anderen Seite sagt er aber, ich will freie Wahl der Verkehrsmittel. Das ist so: wasch mich, mach mich aber nicht nass. Auf der einen Seite fordern Sie mehr Raum für Fuß- und Radverkehr, auf der anderen Seite wollen Sie aber auch mehr Garagen bauen. Da würde ich mir vielleicht einmal überlegen, warum möchten Bewohner in Frankfurt lieber ein Auto haben? Warum überlegen so viele, sich ein Auto zu kaufen? Da sollte man vielleicht noch einmal rangehen, dass wir in der Stellplatzsatzung immer noch stehen haben, dass bei jedem Neubau Stellplätze gebaut werden. Zugegeben, es sind inzwischen schon ein paar weniger. Aber dieser Automatismus, dass Leute kommen, um hier zu wohnen, also brauchen sie auch Parkplätze, den würde ich einmal stark hinterfragen. Paris macht es uns vor, dass es auch anders geht.

Auf der anderen Seite, wenn wir dann vorschlagen, die Innenstadtparkhäuser, am Gericht zum Beispiel oder hinter der Zeil, unter die Erde zu verlegen, damit dort oben ein bisschen Lebendigkeit sein kann und Leute vielleicht wohnen können, dann sagen Sie, nein, das geht nicht. Wir brauchen die ganz unbedingt und wir können die nicht abschaffen. Aber wie wollen Sie dann anregen, dass die Leute umsteigen, wenn Sie immer mehr Parkplätze bauen? Oh, einen Anreiz wollen Sie machen. Sie sagen, dass der ÖPNV zuverlässiger, sicherer und sauberer werden soll. Was Sie aber nicht sagen, dass er auch billiger werden muss. Das ist aber doch essenziell.

Dann ein Wort an Peter Feldmann, den ich gerade nicht im Saal sehe. Peter, du bist im Aufsichtsrat des RMV. Der RMV sagt, dass er natürlich die vom Bund beschlossene Mehrwertsteuersenkung an die Kundinnen und Kunden weiterreicht. Er sagt aber auch, dass er das aber erst ein halbes Jahr später macht. Welchen Sinn hat das denn? 2018 hat der RMV noch gesagt, eine niedrigere Besteuerung sieht er als Beitrag, um die Fahrgastnachfrage weiter zu steigern. Eine Mehrwertsteuersenkung, also unmittelbar drei Prozent niedrigere Fahrpreise in Frankfurt, würde ein sehr guter Anreiz sein, dass die Leute umsteigen im Gegensatz zu: „Wir senken die Fahrpreise jetzt nicht, aber wir versprechen euch: Im Dezember erhöhen wir sie nicht.“ Das ist ja richtig attraktiv.

In Paris ist das Konzept nicht nur, 60.000 Parkplätze wegzunehmen, sondern das Auto zum langsamsten Verkehrsmittel von allen zu machen. Das ist ein Anreiz, wenn ich nämlich mit dem Fahrrad oder zu Fuß schneller bin. Dann kommt die IHK und sagt, wir brauchen aber Parkhäuser für den stationären Einzelhandel. Das ist falsch. Das ist ein Trugschluss. Tatsächlich sind die Umsätze im Einzelhandel viel größer in Fußgängerzonen oder da, wo acht Fahrräder anstelle von einem Auto parken können.

Das heißt also, eine Verkehrswende bedeutet, weniger Autos, nicht mehr wie Sie es am Mainkai haben wollen, und mehr Lebensqualität. Das Gegenteil von dem, was Klaus Oesterling am Mainkai gemacht hat. Mehr Lebensqualität heißt, jede Straße, wie in Paris, braucht Radwege. Wir brauchen tatsächlich eine autofreie oder meinetwegen autoarme Innenstadt. Lasst uns damit anfangen. Wir haben schon Anträge dazu. Anträge, den Bereich um das Salzhaus im Großen Hirschgraben autofrei und dort eine große Fußgängerzone zu machen. Die FRANKFURTER hatten schon einmal vorgeschlagen, und wir auch, den Autoverkehr aus der Braubachstraße herauszunehmen. Wenn Sie sich da einmal umgucken, rechts und links sind jetzt Cafés. Da gibt es keine Autos mehr, die da parken. Warum sollen die da noch durchfahren? Die Goethestraße endlich einmal zu einer richtigen Fahrradstraße zu machen. Die Große Friedberger Straße, ich habe noch nie verstanden, warum da noch Autos langfahren sollen. Wie wir jetzt letztes Wochenende gesehen haben, zum Beispiel könnte man auch im Anlagen- und Cityring vernünftige Radwege machen, eine richtig breite Spur vom Autoverkehr wegnehmen und dem Radverkehr zur Verfügung stellen. Das ist die Verkehrswende, die wir brauchen. Da müssen wir hin und nicht zu Straßen, die einmal für den Autoverkehr gesperrt waren und jetzt auf einmal wieder geöffnet werden.

Danke sehr!

(Beifall)

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Antisemitismus und religiöses Mobbing an Frankfurter Schulen

Kontext: Wortprotokoll über die 45. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 4. Juni 2020 (16.00 Uhr bis 22.20 Uhr), TOP 5, Antisemitismus und religiöses Mobbing an Frankfurter Schulen

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Es ist eine Tragik der Geschichte, dass wir 82 Jahre nach der Zerstörung der Börneplatz‑Synagoge hier an diesem Ort über Antisemitismus sprechen müssen. Der Magistrat hat dazu einen Bericht abgeliefert und auch einen Aktionsplan erstellt, worin viele allgemeine Floskeln stehen, aber zu der eigentlichen Frage Antisemitismus an Schulen, was sind die Ursachen, wie wird damit umgegangen, konnte er nichts sagen: Dem Magistrat liegen keine eigenen Zahlen zu antisemitischen Vorfällen an Frankfurter Schulen vor. Auch zum Umgang der Lehrkräfte damit hat er keine Erkenntnisse. Das ist bezeichnend für diesen Bericht, dabei ist das so essenziell für dieses Thema.

Im Folgenden wie auch im Aktionsplan konzentrieren Sie sich wieder einmal auf vermeintliche Defizite in der Bildung bei Kindern und Jugendlichen. Man müsse nur etwas über Identität, Partizipation, Religion, Pluralismus und Demokratie reden und schon verpufft Diskriminierung in einem kleinen Logik-Wölkchen. Aus den Perspektiven der Betroffenen, und auch ich verweise auf die Publikation von Professorin Julia Bernstein „Antisemitismus an Schulen in Deutschland“, gehört Antisemitismus an Schulen aber zum Alltag. Im Kontrast zur Wahrnehmung der Betroffenen steht die der nicht-jüdischen Lehrkräfte, in der sich sowohl Defizite im pädagogischen Umgang mit Antisemitismus als auch seine Bagatellisierung und Reproduktion abbildet. Den Erfahrungen der Betroffenen stehen einerseits mangelnde inhaltliche und didaktische Kenntnisse der Lehrkräfte – Frau Ditfurth hat es schon benannt – und andererseits ein Antisemitismus auch unter den Lehrkräften selbst entgegen.

Um wirklich etwas gegen antisemitische Diskriminierung zu unternehmen, muss diese aber in ihrer ideologischen Erscheinungsform erkannt, kritisch und jederzeit entschieden zurückgewiesen werden. In der Realität gelingt das nicht. Der Hinweis auf die Verbreitung von Antisemitismus unter Lehrerinnen und Lehrern ist ein Tabu. Die Akteure entziehen sich, in der festen Überzeugung, kein Antisemit zu sein und nicht antisemitisch zu handeln, der kritischen Auseinandersetzung mit Antisemitismus und ihrer eigenen biografischen, professionellen Beteiligung.

Tatsache ist aber: Antisemitismus manifestiert sich an Schulen. Sich dies einzugestehen, widerspricht dem Selbstverständnis der Institutionen. Antisemitismus wird als abstraktes Problem wahrgenommen, das außerhalb der eigenen Institution, der eigenen sozialen Umwelt oder des eigenen Handlungsradius erfolgt. Herr von Wangenheim hat gerade gesagt, das betrifft die migrantischen Jugendlichen. Das betrifft uns alle. Antisemitismus kann es in der Wahrnehmung der Lehrkräfte nicht geben an einer Schule, die ohne Rassismus, mit Courage ist. Das besagt schon das Schild am Eingang.

In der Studie von Frau Professor Bernstein heißt es: Damit muss ich mich nicht beschäftigen, weil es hier keine Juden gibt. In der Schule gibt es Jüdinnen und Juden nur als Opfer oder in Geschichtsbüchern. Der Umgang mit Antisemitismus ist geprägt von Ignoranz, Abwehr, Relativierung, Täter‑Opfer‑Umkehr oder einer Rahmung als interpersoneller Konflikt, so nach dem Motto: Jetzt reicht euch einmal die Hände, vertragt euch wieder. Aber es ist kein persönlicher Konflikt! Betroffene müssen sich nicht an einen Tisch setzen mit den Tätern.

Tatsächlich beginnt Antisemitismus häufig bei antisemitisch konstruierten Fremdbildern, bei der Zuschreibung an ein vermeintlich homogenes jüdisch‑israelisches Kollektiv und dem daraus abgeleiteten Kontrast zu einer angeblich mehrheitlichen Normalität. Es beginnt in einer Konstruktion einer „Andersartigkeit“ oder „Ungleichwertigkeit“, das in Nichtzugehörigkeit, Exklusion und Abwertung übergeht.

Diese Zuschreibungen bedürfen keiner realen Grundlage. Wie Jean‑Paul Sartre bereits sagte: Es leuchtet ein, dass der Antisemitismus des Antisemiten von keinem äußeren Faktor herstammen kann. Existierte der Jude nicht, der Antisemit würde ihn erfinden. Oder wie Rabbinerin Delphine Horvilleur sagt: Da, wo ein Jude ist, ist auch der Antisemit nicht weit.

Wer aufmerksam zugehört hat, wird erkennen, dass es im Othering, in der Exklusion und Abwertung zahlreiche Parallelen zu rassistischer Diskriminierung gibt. Damit bin ich wieder am Anfang meiner Rede: Glauben Sie wirklich, dass in dem Moment, in dem sich Jugendliche nur genügend an die Mehrheitsgesellschaft anpassen und einen Workshop zur Demokratie belegen, ihre Diskriminierung endet? Sie betrachten ein systemisches Problem als ein individuelles. Das Problem heißt Rassismus. Struktureller Rassismus forciert einen als nicht zugehörig markierten Menschen in den Niedriglohnsektor, zu niedrigen Bildungsabschlüssen, zu wenigen Aufstiegschancen, wie meine Kollegin Ayyildiz an dieser Stelle bereits bemerkte.

Diese Diskriminierung der Betroffenen in der Schule, bei der Gymnasialempfehlung, bei der Arbeit, bei der Wohnungssuche, bei rassistischen Polizeikontrollen ist Alltag. Ziel von Terroranschlägen. Und da sind wir wieder bei der Gemeinsamkeit von Antisemitismus und Rassismus. Da hilft es nicht, dass Sie hier Ihre Wohlfühlliste im Aktionsplan abfeiern und damit den Umgang der Lehrkräfte mit Diskriminierung ignorieren, denn dazu hat der Magistrat keine Erkenntnisse, und somit existiert Antisemitismus und Rassismus bei Lehrerinnen und Lehrern nicht.

Racial Profiling bei der Frankfurter Polizei gibt es nicht, wollen Sie uns weismachen, und ignorieren dabei die Erfahrungen der Betroffenen. Die ständig neuen Fälle von Neonazis bei der Polizei und Bundeswehr seien alles Einzelfälle, sollen wir glauben. Doch es gibt bestimmte Berufe, bei denen es nicht ständig Einzelfälle geben darf. Stellen Sie sich vor, die Lufthansa würde sich hinstellen und sagen: Die Mehrheit unser Pilotinnen und Piloten findet Landebahnen wirklich gut. Es sind nur Einzelfälle, die gerne gegen Berge rasen. Genauso verhält es sich mit der Polizei: Wenn unter 1.000 Polizistinnen und Polizisten zehn rassistische und antisemitische sind und die anderen 990 nichts dagegen unternehmen, dann haben Sie nicht zehn schlechte Polizistinnen und Polizisten, sondern 1.000.

(Beifall)

Gerade an dieser Stelle, am Ort der zerstörten Börneplatzsynagoge müssen wir uns bewusst werden, dass Antisemitismus mit aller Macht bekämpft werden muss, und dass es ein gesellschaftliches Phänomen ist. Nur wenn wir dies erkennen und es uns eingestehen, kann es Veränderungen in den Institutionen geben.

Vielen Dank, und greifen Sie sich an die eigene Nase, niemand von uns ist frei davon.

Danke!

(Beifall)

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Herausforderungen der Corona-Krise

Kontext: Wortprotokoll über die 44. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 7. Mai 2020 (16.15 Uhr bis 20:00 Uhr), TOP 5, Corona-Krise.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Erst einmal vielen Dank an Stefan Majer, der mir, trotz der Länge, aus der Seele gesprochen hat, der viel Richtiges gesagt hat. Ich bin am Anfang ein bisschen zusammengezuckt, als ich den Oberbürgermeister und Herrn Dr. Kößler gehört habe, die schon in der Vergangenheitsform sprachen. Aber Tatsache ist ja, dass das alles noch lange nicht vorbei ist. Wir lernen jeden Tag alle etwas dazu, mit Ausnahme von Herrn Schenk, der noch im Januar verblieben ist.

(Zurufe)

Herr Schenk hat gelernt, einmal im Januar zuzuhören und danach abzuschalten. Anselm Weber – da komme ich auch gleich dazu, wie wichtig Kultur in dieser Krise ist -, der Intendant des Schauspiel Frankfurt, hat es so zusammengefasst: Die Krise funktioniert wie eine Lupe. Sie vergrößert alles. Egomanen werden noch egoistischer. Verrückte noch verrückter. Von daher ist es wichtig, gerade diesen gesundheitlichen Aspekt von Herrn Majer zu hören. Sie haben es gerade angesprochen. Wichtig ist vor allem in Zukunft die Nachverfolgung der Infektionsketten. Danke, dass Sie das schon beantwortet haben. Das war auch eine von unseren kleinen Anfragen. Denn die Bundesregierung sagte pro 20.000 Einwohner bräuchte man fünf Personen in der Verwaltung, um das nachzuverfolgen. Das wären für Frankfurt sage und schreibe 188 Personen. Herr Majer sagt jetzt, es reichen 80 Personen.

Was ich in dem Fall aber einmal zu bedenken geben muss, ist der Flughafen Frankfurt, der bisher nur in Sachen Arbeitsplätze kam. Der Flughafen Frankfurt gehört zum Stadtgebiet Frankfurt. Ich frage mich, was ist eigentlich mit den Ankommenden am Flughafen, die eigentlich jetzt in 14‑tägige Hausquarantäne müssten? Von denen, die dort angekommen sind, habe ich bisher noch nicht gehört, dass sie in irgendeiner Form beraten worden wären oder dass dort Infektions …

(Zurufe)

Herr Majer widerspricht. Okay, dann ist das eine neue Information für mich. Vielen Dank! Dann ist das auch geklärt.

Die Stadt Frankfurt und der Magistrat haben in vielen Bereichen dazugelernt. Das muss ich der Fairness halber auch einmal sagen. Es wurden 45.000 Masken an Schulen zur Verfügung gestellt. Es brauchte erst eine Pandemie, bis in den Schulen Seifenspender und Papierhandtücher aufgefüllt wurden. Das ist eigentlich nicht sehr lustig. Das ist eigentlich ernst, dass dieser Hygienezustand in den Schulen bisher so katastrophal war. Es wurde auch relativ schnell dazugelernt, was die Digitalisierung angeht. Da muss noch einiges geschehen. Die Digitalisierung in Frankfurt erfährt einen dramatischen Anschub. Selbst bei der Stadt Frankfurt. Man kann jetzt immerhin seine E‑Mails von zu Hause abrufen. Aber zum Beispiel der Zugang über VPN ist noch zu gering ausgeprägt. Da hat die Stadt Frankfurt einfach jahrelang geschlafen. Da ist jahrelang nichts passiert. Homeoffice ist jetzt auf einmal in aller Munde. Das wäre etwas, was auch im Zuge von einer Work‑Life‑Balance viel mehr gefordert sein müsste, dass Menschen in der Lage sein müssen, wenn sie es können, wenn sie es wünschen, auch von zu Hause arbeiten zu können.

Die digitale Spaltung sehen wir auch in den Schulen, die jetzt so langsam wieder anlaufen. Da lese ich mal etwas vom Friedrich‑Dessauer‑Gymnasium in Frankfurt vor. Da berichtet eine Schülerin: Aufgrund der 15‑Personen‑pro‑Raum‑Abstandsregel haben wir unseren Englisch‑Leistungskurs in zwei Gruppen geteilt. Diese Gruppen sitzen jeweils in einem Raum, mit Abstand, und deshalb muss unser Lehrer mit einer Bluetoothbox über Telefon mit uns kommunizieren. Nicht nur die Unterrichtsqualität durch die Audioqualität und das Fehlen von Tafelbildern wird gemindert, es ist der Gruppe, die in dem Raum mit der Box sitzt, unmöglich, sich überhaupt am Unterricht zu beteiligen. Sie fragt: Inwiefern soll diese Unterrichtsform jetzt besser sein, als die Gespräche und Konferenzen auf Zoom, die wir zuvor hatten? Da konnte ich mich nicht anstecken und habe auch verstanden, was der Lehrer sagt.

Da fällt hinein, dass die Stadt Frankfurt auf ihren Computern bislang Video deaktiviert hatte. Zoom, haben sie gesagt, da müssen sich die Lehrkräfte selbst mit auseinandersetzen, ob das gemäß den hessischen Datenschutzrichtlinien überhaupt zulässig wäre. Da sehe ich noch ein großes Defizit, wo die Lehrkräfte allein gelassen werden, wo zum Beispiel unser IT‑Dezernent für die nötige Infrastruktur oder die Versorgung von den Schülerinnen und Schülern mit Tablets sorgen könnte, oder dass die Stadt Frankfurt selbst wie die Uni Frankfurt zum Beispiel ein Videostreaming einrichtet. Es gibt verschiedene Open-Source-Projekte, bei denen das relativ einfach geht. Da sehe ich noch viel Handlungsbedarf.

Wo ich auch noch große Lernfähigkeit sehe, ist im Verkehrsbereich. Klaus Oesterling ist heute nicht da. Aber es hat mich doch sehr verwundert, dass jetzt über die Wiedereröffnung des Mainkais für den Autoverkehr gesprochen wird, während alle Städte genau das Gegenteil machen. Berlin, Bogotá, Brüssel, Budapest, London, Mexico City, New York, Oakland, Philadelphia – alle sperren momentan Straßen, um Raum für soziale Distanz zu schaffen, teilweise 120 Kilometer in sämtlichen Stadtteilen. Brüssel führt jetzt gerade im Stadtzentrum Tempo 20 ein, damit Menschen – Fußgänger und Radfahrende – auf die Straße ausweichen können und nicht totgefahren werden.

Was passiert in Frankfurt? Wir diskutieren darüber, den Mainkai wieder aufzumachen. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Überall in der Welt gibt es jetzt auf einmal Pop‑up-Radspuren. Nicht in Frankfurt. Da wird gesagt, dass es ja genügt, dass wir den Radentscheid haben und ein paar rote Linien auf die Straße malen. Es geht aber auch gerade in Berlin zum Beispiel, dass man dort gelbes Absperrband macht, auf die Straße Hütchen aufstellt, dass für das veränderte Verkehrsverhalten dort Raum geschaffen wird.

Was sagt die CDU? Deren stellvertretender Kreisvorsitzender Martin‑Benedikt Schäfer stellt auch einen deutlichen Rückgang des Verkehrs fest. Aber seine Schlussfolgerung daraus ist: Lasst uns doch einmal die Straßen ausbessern, damit es nach der Krise so weitergeht wie vorher. Währenddessen wird auf Bundesebene über eine Abwrackprämie zum Neukauf von Verbrennern nachgedacht, während die Automobilunternehmen Dividendenausschüttungen planen. Lassen Sie uns doch einmal auf den Balkon stellen und für die Automobilindustrie klatschen, und lassen Sie uns die Milliarden, die dafür vorgesehen sind, besser für Kitas, Schulen, ÖPNV und Radstreifen aufnehmen.

Wir brauchen auch mehr Raum für Cafés und Restaurants. Beispiel dafür ist Vilnius, die gerade aus der gesamten Innenstadt ein großes Freiluftcafé gemacht haben, damit, wenn Straßen gesperrt sind, auch die Restaurants Platz haben, ihre Tische nach draußen zu stellen. Klar ist, dieser Umbruch in unserer Gesellschaft muss zu langfristigen grundlegenden Änderungen führen. Es gibt kein Zurück zum Davor. Die Normalität muss sich ändern. Wir brauchen einen Systemwechsel. Wir brauchen keine linearen Kürzungen im Nachtragshaushalt. Im Gegenteil, wir brauchen ein Konjunkturprogramm, Herr Becker.

Vielen Dank!

(Beifall)

(andere Redner:innen dazwischen, später fortfahrend)

Herr Reschke, ich erkläre es Ihnen noch einmal. Hören Sie bitte auch zu.

(Zurufe)

Mit dem Mainufer hat das damit zu tun, dass man Abstand halten soll. Menschen sollen 1,50 Meter Distanz halten. Sind Sie einmal über die Leipziger Straße oder die Berger Straße dieser Tage gelaufen? Da ist der Fußgängerweg einfach zu schmal. Deswegen ist es kontraproduktiv, wenn man jetzt sagt, es soll eine Straße geöffnet werden, damit die Fußgänger und Radfahrenden weniger Platz haben. Denn das genaue Gegenteil muss erfolgen. Es müssen Straßen dicht gemacht werden, damit Fußgänger und Radfahrende mehr Platz haben. Das ist der Mainkai.

Frau Busch, ich nehme wohl zur Kenntnis, dass die SPD seit 20 Jahren gerne den Mainkai schließen möchte. Aber Klaus Oesterling ist nun einmal derjenige, der sich vor die Presse stellt und sagt: Wir haben einen Stadtverordnetenbeschluss, dass das Pilotprojekt nur bis August geht, da muss ich den halt wieder aufmachen. Dann frage ich mich, wenn die SPD für die Sperrung des Mainkais ist, wenn die GRÜNEN dafür sind wegen des Klimaschutzes und zusätzlich auch noch die Berliner Straße kleiner machen wollen: Sie haben doch die Mehrheit in dieser Koalition, warum spielen Sie da die Marionetten von der CDU? Dann stehen Sie doch dazu und lassen Sie den Mainkai geschlossen. Dann haben alle etwas davon.

Sebastian, du hast vorhin gesagt, die Kultur ist ein Lebensmittel. Da habe ich den Eindruck, dass sehen viele in der Regierung nicht so, insbesondere in der Hessischen Regierung, in der auch die GRÜNEN beteiligt sind. Ich glaube, viele sehen die Kultur eher so als ein Genussmittel an, wie auch die FAZ geschrieben hat. Tatsächlich ist es aber so, wir sehen jetzt gerade, wie wichtig Kultur ist, mit diesen Hauskonzerten, alle schalten rein. Es ist ja auch kostenlos. Was auch wieder den zweiten Punkt verdeutlicht. Nicht alles im Kulturbereich ist zu digitalisieren und insbesondere nicht für Umme und nicht alle können dann komplett nur vom Staat finanziert werden. Womit wir bei dem dritten Punkt in diesem Bereich sind. Dankenswerterweise hat Frau Dezernentin Dr. Hartwig aus ihrem eigenen Topf 200.000 Euro locker gemacht und jetzt noch Spenden eingeworben, um Kulturschaffende in Frankfurt zu unterstützen.

Wir hatten schon im März einen Haushaltsantrag dazu, dass das bei Weitem nicht reichen wird. Da haben wir einmal vorsichtig fünf Millionen Euro angesetzt. Wir sehen jetzt, dass diese Prognose genau passt, dass diese gesamten Festivals, die wir im Sommer haben, die auch zur Finanzierung beitragen, wie die Sommerwerft zum Beispiel oder das Stoffelfestival oder die Dramatische Bühne, die auch zur Finanzierung von diesen Institutionen beitragen. Das heißt, da müssen letzten Endes auch in irgendeiner Form diese Institutionen am Leben gehalten werden. Um uns auch nach einer Öffnung im Kulturbereich überhaupt noch zur Verfügung zu stehen, müssen diese Ausfälle auch aufgefangen werden. Das heißt, 200.000 Euro in einem Notfallfonds werden beileibe nicht ausreichen. Wir sehen, wie wichtig Kultur ist für unser tägliches Leben, aber auch für das gesellschaftliche Leben und für den gesellschaftlichen Dialog.

Frau auf der Heide hat dankenswerterweise angesprochen, wie auch andere, dass es wichtig ist, jetzt vor allem die verletzbaren, die vulnerablen Gruppen zu schützen, zum Beispiel durch die Kinder- und Jugendhilfe. Dazu hatten wir auch einen Antrag, dass die aufsuchende Kinder- und Jugendarbeit weiterhin stattfinden muss. Denn genau diese Kontrollmechanismen, die in Schulen und in Kitas als Frühwarnsystem Auffälligkeiten sichtbar machen, diese gibt es jetzt nicht. Umso wichtiger ist es, jetzt auch die Kinder- und Jugendhilfe weiter zu unterstützen.

Wir müssen uns auch etliche gesellschaftliche Fragen stellen und deswegen muss sich auch die Normalität ändern. Es wird nicht so weitergehen wie bisher. Es wurde in manchen Redebeiträgen schon klar: Wir müssen eine veränderte Auffassung bekommen, was systemrelevante Berufe sind und wie deren Bezahlung aussieht. Das kann nicht nur ein einmaliger Bonus sein. Das muss dauerhaft sichergestellt werden. In diesem Fall, auch wenn Herr Schmitt im Haupt- und Finanzausschuss schon den Sozialismus hat kommen sehen, bin ich sehr froh über das noch bestehende Gesundheits- und Sozialsystem in Deutschland. Da muss ich nicht den Regierungsparteien danken, denn die haben zum großen Teil zu der Zerstörung beigetragen – gerade von den Sozialsystemen. Ein kleines Beispiel: In Hartz IV ist für die Gesundheitspflege ein Satz von 16,42 Euro im Monat vorgesehen. Im Angebot bei Lidl haben 50 Masken gerade 33 Euro gekostet. Das sind mehr als zwei Monate des Gesundheitspflegesatzes, die alleine für diese 50 Masken draufgehen.

Wir müssen die Klassenunterschiede benennen. Das wurde jetzt deutlich. Es wurde allen möglichen gedankt, die jetzt weiterhin arbeiten. Wir müssen uns fragen, wer kann denn wie arbeiten? Wer hat überhaupt den Luxus, ins Homeoffice gehen zu können? Die, die nicht aus dem Homeoffice arbeiten können: Wie danken wir das denen, auch finanziell? Welches Elternteil bleibt zu Hause? Wer kümmert sich um die Kinder? Frau auf der Heide hat es gesagt, das sind nun einmal überwiegend die Frauen. Im Hinblick auf die ganzen Lockerungen müssen wir fragen, wenn freitags die Information kommt, dass montags wieder die Schulen aufgemacht werden, wer kann denn so kurzfristig reagieren? Oder teilweise gibt es dann diese Modelle, dass manche Schülerinnen und Schüler vormittags in die Schule gehen und manche nachmittags. Wie soll denn eine Familie mit mehreren Kindern das in irgendeiner Form bewerkstelligen? Das sind die Fragen, die wir uns stellen müssen. Wir müssen uns fragen, welches Arbeitsmodell möchten wir in Zukunft haben? Wer arbeitet in Erziehung und Pflege? Bildungsgerechtigkeit an Schulen wurde schon angesprochen und vieles mehr.

Ich glaube, wir können nach der Krise, wenn der Impfstoff da ist, nicht einfach so weiter machen. Wir können auch nicht einfach den Flughafen wieder aufmachen und dort mehr Verkehr fordern. Denn natürlich ist auch die Klimafrage bedeutend. Das wird die Nächste sein, der wir uns dann stellen müssen.

Danke sehr!

(Beifall)

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Intermodale Mobilität

Kontext: Wortprotokoll über die 40. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 27. Februar 2020 (16.00 Uhr bis 23:16 Uhr), TOP 7, Mobilitätsflatrate entwickeln.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir haben unsere heutige Poleposition, um einmal bei einer Verkehrs-Metapher zu bleiben, genutzt, um Mobilität auf die Tagesordnung zu setzen. In unserem Antrag geht es um intermodale Mobilität. Natürlich muss man die verschiedenen Teile von Mobilität gemeinsam denken. Bus und Bahn, Mietfahrräder, aber auch E-Roller in einer einzigen App zusammenzufassen, sollte eigentlich ein Selbstverständnis sein.

Wir haben in unserem Antrag dargestellt, dass es in Helsinki funktioniert und selbst in Augsburg gibt es diesen Weg, das zusammenzufassen. Man kann es nicht mehr getrennt betrachten. Es wäre in diesem Zusammenhang natürlich besser, alles gemeinsam zu denken, um zum Beispiel bei Google Maps nachschauen zu können, wann die U‑Bahn fährt, was bis heute nicht geht. Das heißt, es wäre eigentlich besser, es nicht nur in einer einzigen App zu machen, sondern am besten in vielen Apps, indem wir die dazugehörigen Daten öffnen.

Intermodale Mobilität hört da aber nicht auf. Sie werden es im nächsten Monat in unseren Haushaltsanträgen sehen. Es geht zum Beispiel um Park-and-ride, um das Straßburger Modell. Auch da hört es nicht damit auf, sein Auto auf den Parkplatz zu stellen, sondern man bekommt gleich noch eine Gruppenfahrkarte dazu, wie das in Straßburg der Fall ist.

Es wäre auch schön, ein Kombiticket für den Zoo zu haben, sodass man nicht mit dem Auto zum Zoo fahren muss, genauso ein Kombiticket für Museen, und zwar ohne Preiserhöhung, sodass es sich Familien mit Kindern auch leisten können. Es muss bezahlbare Mobilität geben, denn 365 Euro im Jahr sind genug für Erwachsene. Für Schülerinnen und Schüler, für Seniorinnen und Senioren muss es natürlich günstiger werden. Daraus ergibt sich aber auch, dem Rad- und Fußverkehr und dem ÖPNV mehr Raum zu geben.

Mehr Raum am Mainkai, auf der Kurt-Schumacher-Straße, auf der Friedberger Landstraße, in der Goethestraße, damit die dortige Radverbindung endlich den Namen verdient. Aber auch im Karree rings um das Goethehaus, Großer Hirschgraben, Am Salzhaus, Weißadlergasse. Der Ortsbeirat hat einen Antrag eingebracht, daraus eine verkehrsberuhigte Zone zu schaffen. Oder vor unserer Haustür in der Braubachstraße zwischen MMK und Paulsplatz. Alle dies wären Orte, wo wir dem Auto einfach den Raum wegnehmen können und ihn dem Fuß- und Radverkehr und dem ÖPNV hinzuschlagen können, denn dieser wächst im Gegensatz zum Autoverkehr.

Aber auch der Ausbau des ÖPNV, der Lückenschluss der U4, die Verlängerung der U5 zum Frankfurter Berg und der U4 zum Atzelberg sind wesentliche Punkte. Frankfurt ist eine wachsende Stadt. Also müssen wir auch den ÖPNV ausbauen. Die Ringstraßenbahn wird bestimmt noch Herr Oesterling erwähnen, wenn er denn wiederkommt. Der Ausbau der Straßenbahn nach Bad Vilbel, nach Offenbach und nach Neu‑Isenburg und darüber hinaus sind wesentliche Bausteine, um auch den Pendlerverkehr in Frankfurt zu reduzieren. Das Stichwort ist die Verkehrswende in Frankfurt. Wir brauchen nicht weniger davon. Deswegen muss Mobilität auf die Tagesordnung I. Deswegen haben wir es auf die TO I gesetzt, wegen der Verkehrswende, wegen des Klimawandels.

Wir können nicht so weitermachen wie bisher mit der autogerechten Stadt, und da gehört intermodale Mobilität einfach dazu. Wenn ich mir das einmal so anschaue, eine Zukunftsvision: Sie haben vielleicht vom Radentscheid das Modell vom Alleenring gesehen. Der Alleenring, wo nur noch auf der einen Seite Autos fahren, auf der anderen Seite fährt die Straßenbahn und ist ein Grüngebiet. Dort befindet sich ein großzügiger Radweg in beide Richtungen. Das ist meine Vision für Frankfurt. So wünsche ich mir Mobilität in Frankfurt. Weg von dem individualen motorisierten Verkehr, hin zu klimafreundlicher, zu gesunder Mobilität, die sich alle Menschen in Frankfurt leisten können. Da möchten wir hin und da möchten wir Sie mit auf den Weg nehmen.

Danke sehr!

(Beifall)

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Gebührenkatalog der Bundespolizei

Kontext: Wortprotokoll über die 40. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 27. Fabruar 2020 (16.00 Uhr bis 23:16 Uhr), TOP 3, 38. Fragestunde.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren!

„Bezahlte Repression“, „Aushöhlung der Freiheitsrechte“, das sind nur zwei von vielen Überschriften, die im Zusammenhang mit der neuen Gebührenordnung der Bundespolizei zu lesen waren. Es geht da, auch wenn die Bundespolizei in Koblenz es anders sieht, im Wesentlichen um Frankfurterinnen und Frankfurter, und deswegen geht es auch uns als Stadtverordnetenversammlung etwas an.

Ich möchte ein Beispiel nennen: Fußballvereine. Bei der Anreise zu Fußballspielen werden regelmäßig Fußballfans eingekesselt. 250 Fans von St. Pauli, 179 Fans von Werder Bremen, 600 Fans vom KSC. Da reicht es, wenn eine einzige Person ein Bengalo zündet, dass dann 200 Leute eingekesselt werden. Nach der neuen Gebührenordnung der Bundespolizei kostet eine Identitätsfeststellung nebst Platzverweis 98,40 Euro. Ich dachte, dafür zahlen wir Steuern. Aber nein, die Bundespolizei möchte dafür jetzt eigene Gebühren erheben. Das wird als die Strafe vor der Strafe bezeichnet. Kein Gericht hat festgestellt, dass irgendjemand von diesen Personen straffällig geworden ist, und dennoch erhalten sie eine Rechnung von 98,40 Euro.

Ich lese einmal die anderen Sachen vor: Identitätsfeststellung 53,75 Euro, Ingewahrsamnahme 74,15 Euro, 15 Minuten Fahrt auf die Wache kosten 15,69 Euro, erkennungsdienstliche Behandlung 59,50 Euro, 15 Minuten in Gewahrsam 6,50 Euro und ein Platzverweis 44,65 Euro. Wenn Sie jetzt weitergehen: Abschiebungen sollen in Rechnung gestellt werden. Ein Flug nach Kabul dauert etwa acht Stunden, zwei begleitende Polizeibeamte sind dabei, das macht 1.600 Euro, und die Flugkosten sind noch nicht einmal enthalten.

Racial Profiling an Bahnhöfen ist gang und gäbe. Rassistische Kontrollen, von denen uns immer gesagt wird, die gäbe es nicht, finden aber nun einmal statt, nun auch auf Kosten der Diskriminierten. Ebenso in Frankfurt. Das betrifft auch eine Einschränkung des Versammlungsrechts. Ich erinnere an den Naziaufmarsch vom 1. Mai 2013, als 800 Personen mehrere Stunden eingekesselt wurden, wobei am Ende nur sehr wenige Klagen herauskamen. Jeder von denen hätte mehrere Hundert Euro an Kosten auferlegt bekommen. Anwälte raten daher zu Einspruch und Klage. Ich rate ebenfalls zur Beratung durch die Rote Hilfe für alle von Repressionen betroffenen Personen.

Vielen Dank!

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Ein schlechter Tag für Mensch und Umwelt: Grundsteinlegung für Terminal 3 am Frankfurter Flughafen

Am Frankfurter Flughafen wird heute der Grundstein für das Terminal 3 gelegt. Es ist der größte Flughafen Deutschlands, der bereits jetzt an die Grenzen der Belastbarkeit für Menschen und Region stößt. Zum Ende des Ausbaus könnte alle 25 Sekunden ein Flugzeug starten. Dazu erklärt Martin Kliehm, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Die Grenzen der Lärm- und Umweltbelastung sind erreicht. Mit dem Ausbau wird die Auslastung der umstrittenen Nordwestlandebahn steigen. Und wofür? Damit Billigflieger ohne Tariflohn und Betriebsrat morgens um fünf zu Dumpingpreisen starten und landen! Fraport ignoriert die Kritik gegen den Ausbau und stellt die Bedürfnisse der Menschen aus der Region hinter wirtschaftliche Interessen.

Außerdem erfordere eine Verkehrswende eine S-Bahn-Station am Terminal, nicht nur eine Anbindung für den Autoverkehr.

Wir sollten nie vergessen: Mehrheitseigner von Fraport sind das Land Hessen und die Stadt Frankfurt. Der Ausbau geschieht unter grüner Regierungsbeteiligung in Land und Stadt. Umso wichtiger sind die außerparlamentarischen Initiativen, die sich nicht von den Grünen vereinnahmen lassen dürfen. Wir befürworten eine Obergrenze für Flugbewegungen und das Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr, fordert Kliehm.

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Neonazi-Netzwerk in der Frankfurter Polizei

Vier Polizisten und eine Polizistin des 1. Polizeireviers an der Zeil teilen in einer Chatgruppe verfassungswidrige Hitler-Bilder und Hakenkreuze und äußern sich volksverhetzend über Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderungen. Der Frankfurter Polizeipräsident Bereswill hofft, dass es ein Ausnahmefall bleibt. Dazu erklärt Martin Kliehm, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Es ist auffällig, wie oft solche «Ausnahmefälle» bei Ermittlungsbehörden auftreten. Bereswill sollte sich fragen, warum sich diese «Einzelfälle» derart häufen. Könnte vielleicht an der Kritik von Menschenrechtsverbänden und Migrant*innen über einen strukturellen Rassismus bei der Polizei etwas Wahres dran sein? Was tut die Polizei gegen rassistische Strukturen in ihren eigenen Reihen?

Vor diesem Hintergrund habe die Frankfurter Polizei ein erhebliches Problem. Kliehm: Angesichts von Neonazis bei der Frankfurter Polizei stellt sich die Frage, bei welcher Polizei linke Projekte Brandstiftungen anzeigen sollen? Welche Polizei hilft Behinderten und Migrant*innen bei Diskriminierung? An welche Polizei wenden sich Jüdinnen und Juden bei antisemitischen Übergriffen, wenn sie sich nicht sicher sein können, ob ihr Gegenüber eigentlich gerne Hitler-Bilder tauscht?

Bereswill berichte bislang über ein Netzwerk von fünf Rechtsextremen bei der Frankfurter Polizei. Auch der NSU war nicht zu dritt. Es bleibt abzuwarten, was die Ermittlungen erbringen. Problematisch ist hierbei, dass das Polizeipräsidium Frankfurt diese selbst führt, so Kliehm weiter.

Kliehm fordert daher, dass sich der Polizeipräsident in der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses gegenüber der Bevölkerung und den Stadtverordneten erklärt.

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Kein WLAN an Schulen

Heute verschob der Magistrat erneut den Beschluss für das Pilotprojekt WLAN an Schulen. Das Konzept kann auch nach über einem halben Jahr Verspätung nicht umgesetzt werden. Die Schulen für das Pilotprojekt werden weiter auf WLAN warten müssen, beklagt der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Römer, Martin Kliehm.

Bei dem Projekt sollten ab dem Schuljahr 2018/19 vierzehn ausgewählte Schulen mit WLAN ausgestattet werden, um sowohl technische als auch pädagogische Erfahrungen für die anstehende Digitalisierung von Schulen zu sammeln.

Frankfurt hinkt hinterher. Eine Ausstattung der Schulen mit WLAN, das Grundvoraussetzung ist, zeitgemäß mobile Geräte, Recherche im Internet und digitale Übungsaufgaben in den Unterricht einzubinden, ist lange überfällig. In Marburg bekommen ganze Jahrgänge Tablets statt schwere Schulbücher. In Frankfurt bekommen sie Handyverbot, kritisiert Kliehm.

Die Schulen sind längst mit der Digitalisierung konfrontiert. Sie brauchen Konzepte, um das Thema pädagogisch zu begleiten, in den Unterricht einzubinden und Medien¬kompetenz zu fördern.

Kliehm abschließend: Der Streit zwischen Jan Schneider und Sylvia Weber sowie die Blockadehaltung von CDU-Fraktionschef Prinz zu Löwenstein sind fatal für die Bildung. Der CDU sind die 100.000 Schülerinnen und Schüler in Frankfurt keine vier Euro pro Kopf wert, um die Personalstrukturen für die Wartung der Geräte und Netze zu schaffen! Zumal das Pilotprojekt selbst nur ein erster Anlauf ist und lediglich einen Bruchteil der Schülerinnen und Schüler Frankfurts erreicht.

DIE LINKE. im Römer fordert den Magistrat auf, die Vorlage endlich in die Stadtverordnetenversammlung zu geben und der digitalen Bildung nicht weiter im Weg zu stehen.

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Frankfurt wird sicherer Hafen

Kontext: Wortprotokoll über die 25. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 21. Juni 2018 (16.00 Uhr bis 0:57 Uhr), TOP 10, Frankfurt wird sicherer Hafen.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Professor Birkenfeld!

Sie haben eigentlich das gesagt, was ich erwartet habe, und entsprechend ist unser Antrag auch formuliert. Ich möchte es einmal so formulieren: Peter Feldmann sagte in einem Interview: Wer Menschen vor dem Ertrinken rettet, ist kein Krimineller, sondern handelt im Sinne der Menschlichkeit. Das passt gut zu Frankfurt, denn auch hier sind Internationalität und Menschlichkeit zu Hause. Darum haben wir das auch in unserem Antrag zitiert. Das sieht die Koalition aber offenbar anders als Peter Feldmann, denn sie lehnt unseren Antrag „Frankfurt wird sicherer Hafen“ kategorisch ab.

(Zurufe)

Ich habe Ihre Zahlen vorausgesehen und kenne sie. Ich lese Zeitung. Sie sagen, zehn Menschen pro Woche werden vom Land zugewiesen anstelle von 15. Sie haben eine Stundung erreicht, weil Sie händeringend nach Unterkünften suchen und ich bin Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür auch sehr dankbar. Sie sagten auch, tatsächlich sind es 20 Neuzugänge pro Woche, 80 im Monat, auch durch Familienzuzug und Geburten. Was Sie damit auch sagen, ist: das Boot ist voll. Das kennen wir von anderen Kampagnen. Weil die Politik versagt hat, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen, nicht nur für Geflüchtete, sollen Menschen im Mittelmeer ertrinken.

(Beifall)

Ich sage Ihnen, in einer Notunterkunft zu wohnen, ist tausendmal besser als tagelang an Deck von Rettungsschiffen der italienischen Küstenwache unter schlimmen hygienischen Verhältnissen bei Wind und Wetter ausgesetzt zu sein oder, wie manche sagen: pull-back nach Libyen in die Folterlager! Es ist tausendmal besser als an Bord von diesen Schiffen tagelang ausharren zu müssen, nicht zu wissen, was passiert, weil eine faschistische Regierung in Italien, und das ist nun wirklich gerechtfertigt, die so zu nennen, sie nicht an Land lassen möchte!

Schon Mitte Juli hatte Italien zwei Marineschiffen mit 450 Geretteten verweigert, in Häfen anzulegen, bis sich neun europäische Staaten verpflichteten, je 50 Menschen aufzunehmen. Deutschland hat 50 von diesen 450 Menschen an Bord der beiden Marineschiffe aufgenommen. Wie viele von diesen 50 Menschen werden wohl in Frankfurt landen?

Da sollte Ihnen die Formulierung in unserem Antrag auffallen, dass wir nämlich keine Zahl genannt haben. Wir hätten schreiben können, Frankfurt nimmt 100 oder 200 Menschen auf. Wir haben keine Zahl genannt. Es ist eine solidarische Geste, aber selbst diese Geste verweigern Sie. Zig andere europäische Städte in Deutschland, unter anderem Berlin, Leipzig, Düsseldorf, Köln, Bonn und München – München ist ja nun wahrlich nicht für seine unangespannte Wohnraumsituation bekannt -, sind diesem Netzwerk beigetreten und haben sich zu sicheren Häfen erklärt. Frankfurt ist dazu offenbar nicht in der Lage. Diese Städte appellieren an die Bundesregierung, aus Seenot gerettete Menschen in ihren Städten aufzunehmen, denn wer sonst soll es machen außer die Städte?

(Beifall)

Das ist der zweite Punkt unseres Antrags. Der erste Punkt ist, diese Städte bilden ein Netzwerk, Eurocities, bei dem die Stadt Frankfurt bereits Mitglied ist, und im Rahmen von Solidarity Cities, wo Frankfurt nach unserem Antrag Mitglied werden soll, eine Plattform zum Erfahrungsaustausch, zum Beispiel zur Integration oder zu Sprachkursen. Da treffen sich Menschen aus Sozialdezernaten aus Athen, aus Barcelona und aus Brüssel und tauschen ihre Erfahrungen aus. Auch diesen Punkt des Antrags lehnen Sie ab. Der dritte Punkt besagt, alle nötigen Vorkehrungen für die Aufnahme, die Unterbringung und den Aufenthalt sichernde Maßnahmen sind zu treffen. Natürlich sagen Sie dann, das geht ja gar nicht, da müssen Gesetze oder das Dublin-Abkommen geändert werden.

Peter Feldmann sagt, Politik sollte Lösungen suchen, statt nur Argumente zu sammeln, warum etwas nicht geht. Nehmen Sie sich daran ein Beispiel.

(Zurufe)

In Anlehnung an den Bürgermeister von Palermo sage ich auf die Frage, wie viele Migranten nach Frankfurt gekommen sind: Keiner. Wer nach Frankfurt kommt, wird Frankfurterin oder Frankfurter!

(Beifall)

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Au bleibt!

Kontext: Wortprotokoll über die 25. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 21. Juni 2018 (16.00 Uhr bis 0:57 Uhr), TOP 9, Besetzung der städtischen Immobilie In der Au.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Schenk, Sie sind uns leider Beweise schuldig geblieben. Der Kollege Popp hat es gerade schon angesprochen, wenn der Verfassungsschutz tatsächlich seit 35 Jahren die Au beobachtet, da glauben Sie doch einmal, dass da in 35 Jahren ein Verfahren rausgekommen wäre.

Ich vertraue dem Verfassungsschutz insofern überhaupt nicht, wenn Sie immer wieder die Vorgehen bei der Eröffnung der EZB ansprechen, denn im Klapperfeld war bei der Eröffnung der EZB die Hauptzentrale der Demo-Sanis, keine radikale Organisation, und trotzdem hat eine Hundertschaft probiert, in das Klapperfeld einzudringen und trotzdem taucht das immer wieder im Bericht des Innenministers Beuth auf. Die haben doch einfach keine Ahnung. Wenn Sie als BFF dann noch Geflüchtete anführen, also dann ist doch irgendetwas faul im Staate Dänemark.

Der Antrag der sogenannten AfD ist abzulehnen. Ich verweise auf meine Reden vom letzten Jahr, es wurde nämlich alles schon gesagt. Die Au, Herr Dr. Schmitt, zahlt schon immer Nebenkosten wie Müllgebühren oder die Mainova, im Übrigen auch lange Zeit den Schornsteinfeger, darüber hinaus auch Eigentümerleistung wie zum Beispiel den Austausch von Wasserrohren vor dem Zähler nach einem Wasserrohrbruch oder Kanalreparaturen et cetera.

(Beifall)

Die LINKE. erklärt sich solidarisch mit diesen autonomen Hausprojekten, gegen Gentrifizierung, für Solidarität. Au bleibt!

(Beifall)

Nachdem ich das nun zum Inhalt gesagt habe, müssen wir uns tatsächlich die Frage stellen, warum diese Anträge regelmäßig ausgerechnet immer wieder von der sogenannten AfD kommen?

Das zeigte sich im September 2017 beispielsweise, als die Jungen Nationalen der Au einen Besuch abstatteten und ihren NPD Müll auf den Hof warfen. Signiert waren die Plakate mit „Aktion Widerstand“, einer militanten rechtsextremen Organisation, die sich offiziell 1971 auflöste, deren Name aber bis heute von den sogenannten Jungen Nationalisten benutzt wird. Die hessische sogenannte AfD, insbesondere ihr Landesvorstand und Landtagskandidat Andreas Lichert, pflegt offensichtlich enge Kontakte zu rechtsextremen Organisationen und Geschichtsrevisionisten.

Der Frankfurter Fraktionsvorsitzende der AfD meint dazu, das sei völlig überbewertet, man dürfe im Treppenhaus doch einmal zu jemandem reden. Im Treppenhaus mit jemandem reden heißt aber: Lichert war Presseberichten zufolge am Erwerb einer Immobile in Halle für die Identitäre Bewegung beteiligt und ist Co Vorsitzender des sogenannten Instituts für Staatspolitik, der Denkfabrik der neuen Rechten in Deutschland.

(Zurufe)

Herr Rahn, „ja und“ – eine Distanzierung von Rechtsextremen sieht anders aus. Dabei ist es genau gerade die sogenannte AfD, die permanent von anderen erwartet, sich von gewaltbereiten Extremisten zu distanzieren. Zeigen Sie einmal Rückgrat und ziehen Sie Ihre Kandidatur für den Landtag zurück oder finden Sie sich damit ab, dass Ihre Partei als rechtsextrem bezeichnet wird, wie es kürzlich auch das Landgericht Gießen bestätigt hat.

Vielen Dank!

(Beifall)

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Kein Abriss! Keine Umnutzung! Kein Vergessen! Kein Vergeben!

Die Frankfurter CDU und FDP schlagen vor, das selbstverwaltete Kulturzentrum Klapperfeld wahlweise zur Erweiterung des Gerichtsviertels zu nutzen, in einen ordentlichen Zustand zu bringen oder meistbietend zu verkaufen. Martin Kliehm, Fraktionsvorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Römer, kommentiert: Wer Umnutzung oder Abriss des Klapperfelds fordert, spricht sich gegen die Erinnerung aus – und das ist gefährlich!

1886 als preußisches Polizeigefängnis erbaut, diente das Klapperfeld 1933-1945 unter anderem der Gestapo als Gefängnis, Verhör- und Folterzentrale.

Im Dachgeschoss gab es die sogenannte „Judenabteilung“, die unmittelbar der Gestapo unterstand. Hunderte Jüdinnen und Juden wurden dort 1942/43 unter besonders miserablen Haftbedingungen eingesperrt, bevor sie direkt in Vernichtungslager deportiert wurden.

Noch bis in die 1990er Jahre hinein wurden Menschen im Klapperfeld unter katastrophalen Bedingungen verhört und festgehalten.

Bei der Debatte offenbaren CDU und FDP nun, dass es ihnen nie ernsthaft um das Ansehen der Polizei ging. Sie haben die Polizei instrumentalisiert, weil sie die städtische Liegenschaft zu Geld machen wollen. Vor dem Hintergrund des Ortes ist das geschichtsvergessen, so Kliehm. In einer Ausstellung der Initiative „Faites votre jeu!“ kontextualisierte Inschriften von ehemaligen Gefangenen würden unwiederbringlich verloren gehen.

Kliehm verwies zuletzt darauf, dass eine Umnutzung oder ein Abriss auch aus Denkmalschutzgründen schwer möglich seien.

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Antisemitismus an Schulen

Kontext: Wortprotokoll über die 25. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 21. Juni 2018 (16.00 Uhr bis 18:57 Uhr), TOP 3, Aktuelle Stunde.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Man hört immer von Berlin, dass es dort Übergriffe gab, aber es betrifft nicht nur Berlin, sondern es betrifft auch Frankfurt. Die mediale Aufmerksamkeit ist in diesem Bereich gewachsen. Antisemitismus ist sichtbarer geworden, und es ist wichtig, dass wir es auch in einem Gremium wie diesem ansprechen, denn wir dürfen dieses Sich-zur-Wehr-setzen nicht immer nur den Minderheiten alleine überlassen, wir müssen uns solidarisieren.

(Beifall)

Insofern ist es auch wichtig, dass – wie angesprochen – beides zusammen gedacht wird. Dann wird nicht nur gesagt, Antisemitismus, sondern auch religiöses Mobbing soll gemeldet werden, denn wichtig ist die intersektionale Perspektive. Antisemitismus und Rassismus muss man immer zusammen denken. Man darf dabei allerdings die Spezifika nicht aus dem Blick lassen, die Antisemitismus angehen, und – Herr Paulsen, da haben Sie Recht – da ist nicht nur gefordert, eine Meldepflicht einzuführen, sondern die Lehrkräfte müssen erst einmal sensibilisiert werden.

Viele haben es überhaupt nicht auf dem Schirm, was Antisemitismus ist. Da wird gesagt, ach, Jude, das sei ja gar nicht rassistisch, das ist doch eine Religion. Oder wenn Schülerinnen und Schüler bei Hausaufgaben, die sie nicht mögen, von „jüdischen Hausaufgaben“ sprechen, wer ist denn da beleidigt? Aber es ist antisemitisch. Da sind viele Lehrkräfte einfach überfordert und sagen, die sprechen von Judenhausaufgaben, da ist ja niemand direkt angesprochen. Aber die Lehrkräfte müssen sensibilisiert werden und müssen es lernen. Von daher finde ich es etwas einfach von der hessischen Landesregierung zu sagen, wir fordern jetzt einmal die Schulen, denn auch die Curricula an den Universitäten müssen entsprechend angepasst werden.

(Beifall)

Lehrkräfte sind in interkultureller Pädagogik, Antisemitismus und Rassismus nicht sensibilisiert. Diese Themen gehören manchmal einfach nicht zu ihrer Welt dazu, bei Biodeutschen werden sie ausgeblendet, und es wird gesagt: „Es ist ein Schlussstrich gezogen. Jetzt haben wir ein paar Muslime in der Klasse, also reden wir über Antisemitismus.“ Es gibt aber gerade eine aktuelle Studie des Allensbach-Instituts, die selbst bei Anhängern von SPD, GRÜNEN, CDU, Liberalen und LINKEN. einen Anteil von Antisemitismus von 15 bis 20 Prozent in der Bevölkerung sieht und einen Anteil von 55 Prozent bei Anhängern der AfD.

Insofern ist es ein gesellschaftliches Problem, und dafür muss erst einmal sensibilisiert werden. Es darf nicht im Sinne einer Täter-Opfer-Umkehr gesagt werden, „vielleicht hast du das ja provoziert“, sondern es muss von Anfang an dagegen eingeschritten werden.

Man kann es auch nicht auf Muslime externalisieren. Eine Studie der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ besagt, Antisemitismus ist ein Problem, das der Mehrheitsbevölkerung entspringt und nicht ausschließlich oder überwiegend von Minderheiten herrührt. So müssen wir es auch angehen.

(Beifall)

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Niemand muss Graffiti am Gestapo-Gefängnis entfernen

Die folgende Rede konnte heute in der Stadtverordnetenversammlung aus Zeitgründen leider nicht gehalten werden:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir müssen die Debatte im Kontext betrachten. Seit Sommer 2017 thematisiert die FDP penetrant ein Graffito, das seit Jahren am Polizeigefängnis Klapperfeld steht. Die gleiche FDP, die 2010 das denk­malgeschützte Gebäude zu einem Hostel umbauen wollte, mit Pyjamas im Häftlingslook. Nachdem CDU-Planungsdezernent Schwarz vorgeschlagen hatte, es abzureißen und eine Shopping Mall hinzubauen.

Auch der Vizepräsident des Amtsgerichts, Frank Richter, empfindet als eine Behinderung der bau­lichen Erweiterung der Justizbehörden. Im Januar 2018 kündigten Ministerpräsident Volker Bouffier und CDU-Justizministerin Eva Kühne-Hörmann an, das Gerichtsareal ab 2021 als Public Private Partnership für 131 Millionen Euro auszubauen. Es gibt eine starke Lobby, die das autonome Kulturzentrum als Störfaktor empfinden und am liebsten verschwinden lassen würden.

Aber wir dürfen es nicht verschwinden lassen. 1886 als preußisches Polizeigefängnis erbaut, diente es unter anderem 1933-1945 der Gestapo als Gefängnis, Verhör- und Folterzentrale. Der Gewerk­schafter Hans Schwert, den manche von Ihnen noch auf dem Neujahrsempfang 2012 des DGB kennen­lernen konnten, war dort ab 1936 ein ganzes Jahr eingesperrt. Auf klapperfeld.de können Sie ein Videointerview mit ihm sehen. Darin berichtet er:

„Ich weiß nicht, ob ihr euch das vorstellen könnt, wie das ist. Das ist grauenhaft, wenn man solche Behandlungen erfährt. Das schlimmste ist, ich sehe das alles vor mir, es ist nicht so, dass das eine alte Klamotte ist, sondern das ist ein Erlebnis, das ist wie eingebrannt in einem, wenn man das durchge­lebt hat. Und ich muss heute sagen: Ich bin einfach… ich bin da durch die Hölle gegangen. Es war furchtbar!“

1939 gab es den Zusammenschluss der Gestapo und der Kriminalpolizei. Die Initiative Faites votre jeu! schildert es so:

„Im obersten Stockwerk des Polizeigefängnisses befand sich die eigens eingerichtete sogenannte „Judenabteilung“, die sich durch besonders miserable Haftbedingungen auszeichnete und unmittelbar der Gestapo unterstand. Die Inhaftierten wurden in einem großen Raum in Käfige gesperrt. […] Heinrich Baab, der in den Jahren 1942/43 Leiter des sogenannten Judenreferats der Frankfurter Gestapo war, brüstete sich damit, mindestens 387 Frauen aus „Mischehen“ liquidiert zu haben. Von diesen mussten viele monatelang in den Drahtkäfigen ausharren und wurden dann vom Frankfurter Hauptbahnhof in Sonderabteilen gewöhnlicher Züge meist nach Auschwitz deportiert.“

Nach dem Krieg wurde das Gefängnis als Abschiebeknast, aber auch für Ingewahrsamnahme nach Demonstrationen genutzt. Zeitzeug*innen berichten: Am 29. Mai 1993 kam es in Folge des Brandanschlages durch Neonazis in Solingen zu einer spontanen Gegendemonstration in Frankfurt. 63 Teilnehmer*innen wurden verhaftet und bereits bei den Festnahmen verprügelt und misshandelt. Im Klapperfeld wurden sie entwürdigenden Anal- und Genitaluntersuchungen ausgesetzt und weibliche Gefangene zum Teil nackt verhört. Immer wieder wurden sie dabei geschlagen, getreten, gewürgt, verhöhnt und beleidigt.

Mit diesem Bezug ist das Motiv Niemand muss Bulle sein gerechtfertigt an diesem Gebäude. Niemand braucht solche Polizisten. Die FDP und der Vizepräsident des Amtsgerichts wären gut beraten, aus der Geschichte zu lernen. Die Stadt sollte lieber eine Infotafel neben dem Graffito anbringen über die Folter und Misshandlungen der Polizei in 125 Jahren in diesem Gebäude, statt über dessen Entfernung zu debattieren.

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