Aufnahme von Geflüchteten aus Moria

Kontext: Wortprotokoll über die 48. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 1. Oktober 2020 (16.02 Uhr bis 23.33 Uhr), TOP 3, 44. Fragestunde.

Schriftliche Anfrage an den Magistrat:

Frankfurt muss sicherer Hafen sein, denn der Zustand auf den griechischen Inseln, vor allem nach dem Brand in Moria, ist untragbar.

Ich frage den Magistrat:

Was wird die Stadt über die Unterzeichnung eines offenen Briefs hinaus tun?

Mündliche Antwort von Oberbürgermeister Peter Feldmann in der Plenarsitzung:

Sehr geehrter Herr Kliehm, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Stadtverordnete, Herr Vorsteher!

Mit der Unterzeichnung des offenen Briefes an Frau Kanzlerin Merkel signalisiert der Magistrat der Stadt Frankfurt die Bereitschaft, Geflüchteten aus dem Lager Moria Zuflucht zu gewähren. Bundesweit sollen nach dem aktuellen Stand rund 1.500 Menschen aufgenommen werden. Nach den gängigen Verteilungsschlüsseln würde das für Frankfurt bedeuten, dass nur eine sehr geringe Zahl an Geflüchteten zusätzlich versorgt werden müsste. Der Magistrat berät daher darüber, auch über dieses Bundeskontingent hinaus Menschen in Not aufzunehmen. Für die Aufnahme von Geflüchteten sind durch die Stadtverwaltung alle Vorkehrungen getroffen, um die Menschen in beiden Erstaufnahmeeinrichtungen, die vorgehalten werden, aufzunehmen. Je nach aufenthaltsrechtlichem Status werden dann die regulären Hilfen in die Wege geleitet, zum Beispiel die Antragstellung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, dem Sozialgesetzbuch II, beispielsweise auch Sprach- und Integrationskurse und die Vermittlung in Arbeit oder Qualifizierungsmaßnahmen.

Nachfrage des Anfragestellers Martin Kliehm:

Gemäß Königsteiner Schlüssel müssen von den 150 unbegleiteten Minderjährigen, die gerade gestern zum Teil angekommen sind, 0,7 in Frankfurt aufgenommen werden und von den 1.500, die Sie genannt haben, 7,6 Personen. Das finde ich für eine Stadt wie Frankfurt sehr wenig. Welche Größenordnung stellt sich der Magistrat vor? Es sind derzeit insgesamt 23.700 Geflüchtete von den griechischen Inseln, die auf Europa verteilt werden müssten. Selbst wenn Deutschland komplett alle 23.700 Geflüchtete aufnehmen würde, würden nach dem Königsteiner Schlüssel für Frankfurt nur 130 Menschen herauskommen. Wie viele Menschen möchte der Magistrat in Frankfurt konkret aufnehmen?

Oberbürgermeister Peter Feldmann:

(fortfahrend)

Ich will es erst einmal grundsätzlich zuspitzen. Wir müssen in dieser Frage klar Position beziehen und die Bereitschaft signalisieren, Menschen in Not aufzunehmen. Wir müssen uns dazu auch noch enger mit dem Land abstimmen, und – ich sage es sehr deutlich – der Friedensnobelpreis für die Europäische Union ist ein schönes Symbol, aber es darf kein Symbol bleiben.

Wir sind eine Stadt, die international ausgerichtet ist, die von ihrer Internationalität lebt. Wir erleben alle – von der Steuer bis hin zu den Messegästen, bis zu den Touristen, den Gastwirten, den Taxifahrern, bis zu allen kleinen Dienstleistungsgewerben, großen Dienstleistungsgewerben und den Betrieben -, was es heißt, wenn Internationalität nicht mehr funktioniert, wenn Menschen nur noch mit einem negativen Corona-Test nach Deutschland kommen können oder eben gar nicht.

Sie haben die Zahl angesprochen. Es sind bundesweit 1.500 Geflüchtete. Hessen versorgt rund sieben Prozent aller Geflüchteten im Bundesgebiet, Frankfurt wiederum sieben Prozent von Hessen. Das würde, wenn man es umrechnet, rechnerisch nur sieben Personen ergeben, die Frankfurt aufnehmen müsste. Sie haben gefragt, inwiefern Frankfurt darüber hinaus Geflüchtete aufnehmen kann. Ich will ehrlich mit Ihnen sein, darüber beraten wir noch. Ich bin allerdings – und das möchte ich hier klarmachen – der Auffassung, dass wir mehr tun können, als sieben Geflüchtete zusätzlich aufzunehmen.

(Beifall)

Wir sind die Experten in Internationalität. Wir werben bundesweit, europaweit und international damit, dass wir in einer Stadt mit 179 Nationen friedlich miteinander umgehen, dass wir in vielen Bereichen sogar rückläufige Deliktzahlen haben, und Frankfurt hat gut funktionierende Strukturen für die Versorgung von Geflüchteten. Auch dort ist sich die Koalition – die Leitung für diesen Bereich hat Frau Professor Birkenfeld – einig, dass wir diese Strukturen schützen, und mit diesen gut funktionierenden Strukturen verkraften wir es, wenn wir einige Personen zusätzlich aufnehmen. Das ist meine Auffassung, und ich hoffe, dafür viel Unterstützung zu bekommen.

(Beifall)

Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:

Oberbürgermeister Peter Feldmann, von dem wir jetzt viel gehört haben, sprach vorhin den Friedensnobelpreis der Europäischen Union an – die gleiche Europäische Union, die die Festung Europa ausgebaut hat. Allein seit 2016 sind über 12.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Was macht der Friedensnobelpreisträger Europäische Union? Über Frontex werden Flüchtlingsboote abgedrängt. Es finden verbotene Push-Backs statt. Menschen werden ohne Asylprüfungsverfahren einfach abgeschoben, zivile Seenotrettung wird behindert. Es berichten Menschenrechtsorganisationen von systematischen Menschenrechtsverletzungen. Frontex duldet Gewaltexzesse an den EU-Außengrenzen. Das ist die Europäische Union, der Friedensnobelpreisträger.

Dann kommen wir zu einer anderen Union, der CDU. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat letzte Woche gesagt, Dublin III muss endlich abgeschafft werden. Da stimme ich ihr voll zu. Aber sie sagt auch, stattdessen sollen mehr Zurückweisungen an den Außengrenzen und Abschiebungen sowie Schnellverfahren mit dem Ziel, noch mehr Menschen abzuschieben, die Lösung sein. Ich sehe da – wie viele andere – eine Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gewahrt. Dabei gibt es doch genügend Kommunen in Deutschland, in Europa, die bereit wären, Menschen aufzunehmen.

Die Süddeutsche Zeitung hat im Frühjahr berichtet, dass allein in Deutschland die Kommunen 25.000 bis 65.000 Menschen sofort aufnehmen könnten. Ich habe es vorhin gesagt: Laut der Flüchtlingsorganisation der UN befinden sich derzeit im gesamten griechischen Mittelmeerraum 23.700 Geflüchtete. Allein die Kommunen in Deutschland könnten all diese Menschen freiwillig aufnehmen. Stattdessen sehen wir was? Nachdem Peter Feldmann zwei Wochen lang gesagt hat, oh, da brauchen wir noch einen neuen Beschluss, hat er endlich herausgefunden, dass wir gar keinen neuen Beschluss brauchten, denn wir haben schon am 7. Mai beschlossen, dass sich Frankfurt auf allen Ebenen dafür einsetzt, dass mehr Geflüchtete aufgenommen werden. Dann hat er am 18. September endlich den offenen Brief der anderen Oberbürgermeister mitunterzeichnet. Ich erwarte, dass das in Zukunft sofort geschieht, dass Sie da zu den Erstunterzeichnern gehören.

Nach dem Brand in Moria werden Geflüchtete in neuen Lagern zwangsinterniert, ohne fließend Wasser, kein Essen, 35 dreckige Toiletten für 9.000 Menschen. Die Menschen müssen da herausgeholt werden – dringend. Lippenbekenntnisse – wie bisher die letzten zwei Jahre – können wir uns nicht mehr leisten. Frankfurt kann und muss mehr als die nach Schlüssel vorgesehenen sieben Geflüchteten und ein unbegleitetes minderjähriges Kind aufnehmen. Wir erwarten, dass jetzt etwas geschieht. Leave no one behind – wird auch endlich Zeit!

Danke!

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