Niemand muss Graffiti am Gestapo-Gefängnis entfernen

Die folgende Rede konnte heute in der Stadtverordnetenversammlung aus Zeitgründen leider nicht gehalten werden:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir müssen die Debatte im Kontext betrachten. Seit Sommer 2017 thematisiert die FDP penetrant ein Graffito, das seit Jahren am Polizeigefängnis Klapperfeld steht. Die gleiche FDP, die 2010 das denk­malgeschützte Gebäude zu einem Hostel umbauen wollte, mit Pyjamas im Häftlingslook. Nachdem CDU-Planungsdezernent Schwarz vorgeschlagen hatte, es abzureißen und eine Shopping Mall hinzubauen.

Auch der Vizepräsident des Amtsgerichts, Frank Richter, empfindet als eine Behinderung der bau­lichen Erweiterung der Justizbehörden. Im Januar 2018 kündigten Ministerpräsident Volker Bouffier und CDU-Justizministerin Eva Kühne-Hörmann an, das Gerichtsareal ab 2021 als Public Private Partnership für 131 Millionen Euro auszubauen. Es gibt eine starke Lobby, die das autonome Kulturzentrum als Störfaktor empfinden und am liebsten verschwinden lassen würden.

Aber wir dürfen es nicht verschwinden lassen. 1886 als preußisches Polizeigefängnis erbaut, diente es unter anderem 1933-1945 der Gestapo als Gefängnis, Verhör- und Folterzentrale. Der Gewerk­schafter Hans Schwert, den manche von Ihnen noch auf dem Neujahrsempfang 2012 des DGB kennen­lernen konnten, war dort ab 1936 ein ganzes Jahr eingesperrt. Auf klapperfeld.de können Sie ein Videointerview mit ihm sehen. Darin berichtet er:

„Ich weiß nicht, ob ihr euch das vorstellen könnt, wie das ist. Das ist grauenhaft, wenn man solche Behandlungen erfährt. Das schlimmste ist, ich sehe das alles vor mir, es ist nicht so, dass das eine alte Klamotte ist, sondern das ist ein Erlebnis, das ist wie eingebrannt in einem, wenn man das durchge­lebt hat. Und ich muss heute sagen: Ich bin einfach… ich bin da durch die Hölle gegangen. Es war furchtbar!“

1939 gab es den Zusammenschluss der Gestapo und der Kriminalpolizei. Die Initiative Faites votre jeu! schildert es so:

„Im obersten Stockwerk des Polizeigefängnisses befand sich die eigens eingerichtete sogenannte „Judenabteilung“, die sich durch besonders miserable Haftbedingungen auszeichnete und unmittelbar der Gestapo unterstand. Die Inhaftierten wurden in einem großen Raum in Käfige gesperrt. […] Heinrich Baab, der in den Jahren 1942/43 Leiter des sogenannten Judenreferats der Frankfurter Gestapo war, brüstete sich damit, mindestens 387 Frauen aus „Mischehen“ liquidiert zu haben. Von diesen mussten viele monatelang in den Drahtkäfigen ausharren und wurden dann vom Frankfurter Hauptbahnhof in Sonderabteilen gewöhnlicher Züge meist nach Auschwitz deportiert.“

Nach dem Krieg wurde das Gefängnis als Abschiebeknast, aber auch für Ingewahrsamnahme nach Demonstrationen genutzt. Zeitzeug*innen berichten: Am 29. Mai 1993 kam es in Folge des Brandanschlages durch Neonazis in Solingen zu einer spontanen Gegendemonstration in Frankfurt. 63 Teilnehmer*innen wurden verhaftet und bereits bei den Festnahmen verprügelt und misshandelt. Im Klapperfeld wurden sie entwürdigenden Anal- und Genitaluntersuchungen ausgesetzt und weibliche Gefangene zum Teil nackt verhört. Immer wieder wurden sie dabei geschlagen, getreten, gewürgt, verhöhnt und beleidigt.

Mit diesem Bezug ist das Motiv Niemand muss Bulle sein gerechtfertigt an diesem Gebäude. Niemand braucht solche Polizisten. Die FDP und der Vizepräsident des Amtsgerichts wären gut beraten, aus der Geschichte zu lernen. Die Stadt sollte lieber eine Infotafel neben dem Graffito anbringen über die Folter und Misshandlungen der Polizei in 125 Jahren in diesem Gebäude, statt über dessen Entfernung zu debattieren.

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