Bebauungsplan Campus Bockenheim

Zugehörige Vorlagen: Magistratsvortrag M 224/2013, Anträge NR 778, NR 811 (Piraten), NR 796, NR 802 (FDP), NR 841 (Linke)

Kontext: Wortprotokoll über die 30. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, den 3. April 2014 (16.01 Uhr bis 22.36 Uhr), TOP 8, Bebauungsplan Nr. 569 – Senckenberganlage/Bockenheimer Warte

Stadtverordneter Martin Kliehm, ELF Piraten:

Sehr verehrte Damen und Herren!

Ich begrüße, dass dort draußen gerade eine Demonstration stattfindet, denn die Bockenheimerinnen und Bockenheimer haben tatsächlich eine Vision für den Campus. Diese stellen sie dort draußen gerade mit politischen Aktionen und Reden vor. Mir scheint, da ich nun nach der FDP spreche, die Vision der FDP entspricht mehr der Tradition von Dynamit-Rudi, wenn ich sie so höre. Sie möchten das Philosophicum, das Studierendenhaus und das Studentenwohnheim, am besten in die Luft jagen, um dort schöne, monotone Wohnblöcke wie am Rebstock zu bauen. Ich bin sehr froh, dass die Bockenheimerinnen und Bockenheimer so etwas nicht möchten. Wenn wir die Zeitungsberichte der letzten Tage gelesen und auch einmal beobachtet haben, was dort an Initiativen vor sich geht, dann entwickelt sich langsam eine Vision für den Campus Bockenheim jenseits davon, ob die Musikschule nun dorthin geht oder nicht, oder ob das Land Hessen endlich agiert. Denn, wie die Frankfurter Rundschau sagt, die Bockenheimer nehmen sich den Campus. Sie verwirklichen damit ihre Visionen.

Wir haben es beim Philosophicum gesehen; die Initiative hat jetzt endlich das Geld gefunden, um das Philosophicum zu kaufen. Ich hoffe, das wird zum 30.06. dann auch geschehen können. Herr Dr. Gärtner hat es eben schon gesagt: Es war ein überteuerter Verkauf. Wir haben eine Anfrage gestellt, wie viel die ABG Holding tatsächlich für dieses Gelände ausgegeben hat. Die Einkaufspreise sind nicht transparent. Es steht infrage, ob eine ABG Holding, die auch für geförderten Wohnraum zuständig ist, dort unbedingt eine Gewinnmaximierung betreiben müsste. Insofern begrüße ich es, dass die Initiative zum Philosophicum den Zuschlag bekommen hat. Es gab am Tag des Denkmals dort Führungen mit Architekten, die sehr wohl gezeigt haben, dass dieses denkmalgeschützte Haus aus gewissen Gründen, denn es ist das erste Stahlskelett-Hochhaus in Europa, durchaus erhalten bleiben kann, dass es sogar energetisch saniert werden kann und dass es möglich ist, darin alternative Wohnprojekte zu etablieren. Wir lesen in der Zeitung, dass das Philosophicum schon jetzt ausgebucht ist.

Was das Studierendenhaus angeht: Auch das ist einzigartig in Frankfurt. Die Geschichte des Hauses nach dem Krieg ist Ihnen bekannt. Wir haben von zahlreichen Initiativen ein Konzept für das offene Haus der Kulturen vorgelegt bekommen. Sie tun immer so, als würde noch kein Konzept vorliegen, aber Sie müssen es nur einmal besuchen oder auf die Webseite gehen, dann können Sie das Konzept dort lesen. Wir haben dort vielfältige Initiativen, es fängt bei Migrantengruppen an, geht weiter über Tanzgruppen, ID Frankfurt, bis hin zu irischem Tanz, die den Tanzboden im Studierendenhaus nutzen möchten. Es ist bei Weitem nicht mehr so, wie es früher vielleicht einmal war, dass der AStA dort niemanden mehr hineinlässt. Im Gegenteil, heutzutage kann jede Initiative, die dort einen Raum möchte, auch sehr kurzfristig Treffen abhalten. So soll es, bitte schön, auch in Zukunft bleiben. Wir haben in Frankfurt zu wenig Räumlichkeiten für Initiativen.

Aber noch weiter gedacht: Es liegt zum Beispiel ein Konzept für gemeinsames Wohnen vom Förderverein Roma vor, der dort zehn bis zwölf Wohneinheiten mit Platz für jeweils unter zehn Familienmitglieder für Sinti und Roma bauen möchte. Er hat bei der ABG Holding ein Konzept eingereicht, in dem er sich an dem erfolgreichen Konzept aus Berlin-Neukölln, Harzer Straße, orientiert, wo eine christliche Organisation Häuser aufgekauft, sie Roma-Familien gegeben, unzureichenden Mietzustände mit Matratzenlagern entfernt, Container aufgestellt und ihnen eine lebenswerte Wohnumgebung geschaffen hat. So etwas können wir durchaus auch in Frankfurt machen, und wenn ich von zehn bis zwölf Wohneinheiten lese, dann bewegen wir uns noch lange nicht in der Dimension wie in Neukölln, wo es ein absolutes Erfolgsprojekt ist, wo gerade letzte Woche ein Vertreter der Europäischen Kommission vor Ort war, um es sich anzusehen.

Wenn ich mir diese Alternativen für den Campus Bockenheim anschaue, dann sehe ich, dass sich dort Leben entwickelt. Ich kann mir vorstellen, dass dort ein offenes Areal und vielfältige Arten von Kultur – eben nicht nur von Hochschulen – entstehen, die auch von der Bevölkerung angenommen werden.

Nun zu einem ganz anderen Thema: Wir hatten zwei Anträge zu diesem Magistratsbericht, nämlich zur Wohnungsprostitution, eingebracht. Ich muss das hier thematisieren, denn uns ist aufgefallen, dass, nachdem der Magistrat vor Gericht mit seiner Sperrgebietsverordnung unterlegen hat, er im Frühjahr 2012 dazu übergegangen ist, in Bebauungspläne hineinzuschreiben, dass dort sexuelle Dienstleistungen nicht mehr gestattet sein sollen. Das finde ich höchst zweifelhaft, denn es gibt Urteile vom Verwaltungsgerichtshof Hessen und von höheren Gerichten, teilweise vom Bundesgerichtshof, die besagen, dass die Moralvorstellungen heutzutage nicht mehr wie in den Fünfzigerjahren sind. Das hat sich geändert, und wenn dort Prostitution in einer Wohnung stattfindet, ohne dass die Nachbarn es wahrnehmen, dann darf das geschehen.

(Zurufe)

Da merkt es ja auch niemand, genau.

Aber der Magistrat schreibt jetzt hinein, dass dort sexuelle Dienstleistungen generell verboten sind. Ich kann Sie verstehen, dass Sie in Ihrem Leuchtturmprojekt „Kulturcampus Bockenheim“ vielleicht keinen Sexshop und kein Bordell haben möchten, aber dann schreiben Sie das doch hinein. Andere Städte im Ruhrgebiet machen das. Sie schreiben hinein, dass dort Bordellbetriebe verboten sind, aber wenn dort selbstständige Frauen selbstbestimmt Prostitution in der Nähe der Messe anbieten möchten, dann sollte das meines Erachtens erlaubt sein. Im Ausschuss für Wirtschaft und Frauen sagte die CDU, dass sei gar nicht so schlimm, es sei nur ein kleines Zipfelchen an Mischgebiet. Sie haben recht, es betrifft drei von den Professorenvillen, und es ist das Areal an Mischgebiet, wo der ehemalige AfE-Turm stand.

Wir hatten bereits im Januar eine Frage an den Magistrat gestellt. Es ist auch in andere Bebauungspläne hineingekommen, zum Beispiel beim Henninger Turm. Das Areal des Henninger Turms hat eine lange Geschichte. In den Bebauungsplänen aus dem Jahr 2008 ist noch keine Rede von einem Verbot von sexuellen Dienstleistungen. Das taucht alles erst ab Februar/Frühjahr 2012 auf.

Ich denke, Sie wollen damit eine Diskriminierung durch die Hintertür erreichen. Frau auf der Heide, ich schätze Sie sehr und auch, wie Sie sich für Frauenrechte einsetzen, aber was Sie im Ausschuss gesagt haben, dass Prostituierte eigentlich positiv diskriminiert werden …

(Zurufe)

Ich war bei Doña Carmen und habe ihnen das weitergetragen. Sie haben darüber nur gelacht. Bitte setzen Sie sich mit Doña Carmen zusammen, …

(Zurufe)

… die werden Ihnen etwas von positiver Diskriminierung erzählen.

(Zurufe)

Ich bin selbstständig, aber nicht in diesem Bereich.

(Heiterkeit)

Ich bin sehr froh, dass es auch alternative Visionen für den Campus Bockenheim gibt, dass es anscheinend dort endlich Fortschritte gibt und dass die Bürgerinitiativen hoffentlich noch genügend Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen haben, um sich gegenüber den Plänen der FDP und anderer durchzusetzen, und dass dort wirklich ein lebenswertes, urbanes Areal entsteht, auf dem sich Menschen aufhalten können und sich gerne dort aufhalten, ohne gleich etwas einkaufen zu müssen, wie wir es leider in vielen Bereichen in der Innenstadt erleben. Bockenheim hat es verdient.

Vielen Dank!

(Beifall)

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