Stellungnahme zu antisemitischen Vorfällen in Frankfurt im Zuge von „Antikriegsdemos“

Hier das Manuskript meiner Rede in der heutigen Stadtverordnetenversammlung (für die leider die Zeit nicht gereicht hat):

Die Tagesthemen eröffneten vorgestern einen Beitrag mit den Worten: Der Krieg im Nahen Osten wühlt die Menschen auf, auch in Deutschland. Und ich möchte hinzufügen: er macht nicht an der Stadtgrenze halt.

Unsere Eindrücke werden geprägt von der Berichterstattung in den Medien. Doch bei aller Objektivität ist sie nicht frei von den Versuchen der Konflikt­parteien, ihre Sichtweise auch medial zu vermitteln.

Täglich erreichen uns erschreckende Bilder der zivilen Opfer im Gaza-Streifen. Über die 172 Raketen, die allein im ersten Halbjahr 2014 auf Israel abgefeuert wurden oder die seit Anfang Juli an jedem Tag bis zu 192 Raketen, die die israelische Zivil­­bevölkerung terrorisieren, wird nur noch wenig berichtet. Und die mehr als 170.000 Toten im seit vier Jahren anhaltenden syrischen Bürgerkrieg sind kaum mehr eine Randnotiz wert.

Frankfurt mit seiner Diversität ist Teil dieser Welt, in der der türkische Ministerpräsident Erdogan den Krieg für den Wahlkampf instrumentalisiert und nicht davor zurückschreckt, die israelische Regierung mehrfach mit Hitler zu vergleichen.

Auf einer anderen Konfliktlinie verändern sich auch in der arabischen Welt die Allianzen: Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate stehen im Kampf gegen die Muslimbruderschaft, und Israel führt einen Krieg gegen deren Arm, die Hamas.

Wir in Frankfurt können und dürfen diese Einflüsse nicht ignorieren, gleichwohl, und damit meine ich alle Frankfurterinnen und Frankfurter, dürfen wir uns nicht instrumentalisieren lassen für Hass und Hetze.

Auf den Demonstrationen der letzten Tage fand sich auch der unsägliche Vergleich von Erdogan in verschiedenen Formen auf Transparenten wieder. Das ist blanker Antisemitismus. Wenn die Nationalen Sozialisten Hessen über Facebook zur Teilnahme an anti-israelischen Demonstrationen aufrufen, braucht es keine prophetische Gabe, um einen antisemitischen Verlauf vorherzusehen.

Ich erwarte, dass antisemitische Parolen wie in Frankfurt, Essen und Berlin, die ich hier nicht wiedergeben möchte, unterbunden und geahndet werden. Denn unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um eine Beleidigung oder eine Volksverhetzung handelt, sind beide Formen nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und sie gefährden die öffentliche Sicherheit. Unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger haben ein Recht darauf, ohne Einschüchterung, Verfolgung und Angst in unserer Mitte zu leben.

Vor diesem Hintergrund sehe ich auch die Parole „Kindermörder Israel“ nicht als Meinungskundgabe, denn sie bedient rassistische Vorurteile der Ritualmordlegende, die seit dem Mittelalter immer wieder als Anlass für Pogrome benutzt wurde. Wir müssen dem beherzt entgegentreten, bevor es zu Angriffen auf Synagogen wie in Paris kommt!

Antisemitismus ist aber auch, wenn von Jüdinnen und Juden erwartet wird, sich von der israelischen Regierung zu distanzieren, weil es impliziert, dass sie ohne eine solche Distanzierung schlechtere Menschen sind. Umgekehrt sollte auch nicht von Palästinenser*innen und Muslimen bei jeder Gelegenheit erwartet werden, sich von der terroristischen Hamas oder anderen Extremisten und salafistischen Fundamentalisten zu distanzieren.

Herr Frank hat es vorhin angesprochen, eine linke politische Ausrichtung schützt nicht vor mangelnder politischer Sensibilität, wie die Beispiele der Linksjugend in NRW und der linken Hochschul­gruppe SDS zeigen.

Ich möchte aber vor einer Pauschalisierung warnen: Auf der Pro-Israel-Kundgebung, auf der neben OB Feldmann auch Dr. Dieter Graumann, Boris Rhein und Kämmerer Uwe Becker sprachen, waren zahlreiche emanzipierte Linke der Frankfurter Antifa vertreten, um die Kundgebung vor antisemitischen Übergriffen zu schützen. Meinen Respekt dafür.

Wir müssen allerdings lernen, bei aller Solidarität zu Israel sachliche Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung und der Streitkräfte zu üben. Rolf Verleger, ehemaliges Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, appellierte an die deutsche Politik, der arabischen Seite des Konflikts mehr Gehör zu geben. Auch israelische Menschenrechtsorganisationen wie B’Tselem oder Rabbis for Human Rights, neben zahlreichen anderen, kritisieren Menschenrechtsverletzungen.

Das Erste Zusatzprotokoll der Genfer Konvention wurde erst im April 2014 von der PLO unterzeichnet. Es stellt die Zivilbevölkerung, zivile Personen und Objekte unter einen besonderen Schutz. Nicht nur der Beschuss von zivilen Zielen in Israel, auch der Raketenangriff auf das israelische Atomkraftwerk ist völkerrechtswidrig, ebenso die Lagerung von Raketen in einem Flüchtlings­camp an einer Schule der Vereinten Nationen.

Israel hat das Erste Zusatzprotokoll nicht unterzeichnet, doch gerade eine demokratische Regierung mit westlichen Werten muss sich daran messen lassen, im Kampf gegen Raketenstellungen die Verhältnismäßigkeit zum Schutz der Zivilbevölkerung zu wahren. Wenn die Hamas ihre Raketen in Schulen und Wohngebieten lagert, ist dies ebenso völkerrechtswidrig, aber das eine Unrecht rechtfertigt das andere nicht.

Seit 2005 gab es drei Kriege zwischen der Hamas und Israel. Die Geschichte wiederholt sich. Wir sehen, dass eine militärische Lösung des Konflikts nicht möglich ist. Insofern muss sich die Politik um Dialog bemühen, auf der internationalen wie auf der lokalen Ebene. Und die Menschen müssen lernen, einander zu akzeptieren und respektieren.

In diesem Sinne: Schalom und Salaam.

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