Cannabis-Pilotprojekt in Frankfurt

Kontext: Wortprotokoll über die 42. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, dem 11. Juni 2015 (16.01 Uhr bis 23:25 Uhr), TOP 10, Cannabis-Vergabe

Stadtverordneter Martin Kliehm, DIE LINKE. im Römer:

Sehr verehrte Damen und Herren!

Der Tagesordnungspunkt heißt Cannabis-Vergabe. Wenn ich dann den Saaldienst bitten dürfte, mit der Vergabe zu beginnen, während ich meine Rede halte.

(Heiterkeit)

Nein, aber im Ernst. Wir haben heute zwei Anträge auf der Tagesordnung, den einen von der SPD, den anderen von der Koalition und zusätzlich die Ortsbeiratsanregung des Ortsbeirates 1, die leider auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben ist. Ich fasse kurz zusammen: Die SPD sagt, es soll ein Modellprojekt mit einer medizinischen Cannabis-Vergabe für Erwachsene geben, und dazu sollen die notwendigen Schritte eingeleitet werden. Es soll sich mit anderen großen Städten analog des Frankfurter Weges koordiniert werden und sie sagt, die Legalisierung für die medizinische Nutzung ist längst überfällig, denn vor allem Schmerzpatienten, aber nicht nur die, sondern auch Patienten mit ADHS, Tourettesyndrom, posttraumatischer Stressbelastung, Krebs, AIDS, MS, Rheuma und Epilepsie können davon profitieren. Das sind wahnsinnig viele. In dem Antrag der SPD steht, dass allein die Anzahl der Schmerzpatienten in Deutschland zwölf bis 15 Millionen beträgt.

Jetzt sagt die Koalition, das wollen wir erst einmal nicht, wir wollen die Gesetzesinitiative des Bundesgesundheitsministeriums unterstützen. Dazu gibt es außer einem Interview in der Welt vom Februar noch nichts Konkretes. Die Bundesgesundheitsministerin hat gesagt, dass wir gegen Ende des Jahres mit etwas rechnen können. Jetzt hat aber die GRÜNE-Fraktion im März schon einen Entwurf für ein Cannabis-Kontrollgesetz in den Bundestag eingebracht. Da hören wir dann von der Bundesdrogenbeauftragten von der CSU, dass sie dagegen ist. Die SPD im Bundestag sagt, das sei unausgegoren. Sie kennen das aus den Reihen hier, wenn es heißt, etwas sei handwerklich nicht gut gemacht, bedeutet das, Sie können es nicht so richtig ablehnen, aber Sie lehnen es aus ideologischen Gründen ab, weil es die falsche Fraktion gestellt hat.

(Zurufe)

Ja richtig, so etwas machen Sie leider. Letztlich, was Sie jetzt in dem Koalitionspapier drinnen haben, was auch zum Teil schon umgesetzt ist, ist, dass gesagt wurde, dass die Ombudsstelle eine medizinische und juristische Beratung anbieten soll. Das soll zum 17. des Monats starten. Die Dezernentin hat das in der Zeitung als das Pilotprojekt angekündigt. Es mag sein, dass das in Deutschland einzigartig ist, aber es ist nicht das Pilotprojekt, das der Ortsbeirat beispielsweise möchte. Dort wird dann medizinisch und juristisch beraten, wie man durch diesen Antragsdschungel kommt. Auch heute ist es schon möglich, eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen, um Cannabis als Schmerzmittel einzusetzen. Vielleicht kennen Sie die Zahlen. Wir haben einerseits diese zwölf bis 15 Millionen Schmerzpatienten in Deutschland, jetzt raten Sie einmal, wie viele Anträge davon in Deutschland gestellt wurden. Es sind momentan ungefähr 700 Personen, die einen Antrag gestellt haben. 700 Anträge, davon wurden 382 Anträge akzeptiert und in Hessen – Trara! – sind es 26 Menschen, die legal Cannabis konsumieren können.

Warum musste die Bundesregierung überhaupt handeln? Weil das Verwaltungsgericht Köln im Juli 2014 gesagt hat, der Eigenanbau soll in Einzelfällen gestattet sein. Es besteht aber eine Antragspflicht und dann können bis zu drei Pflanzen zu Hause angebaut werden. Warum ist das so? Das sagt die GRÜNE Fraktion im Bundestag, denn der Entwurf der Bundesregierung würde nur vorsehen, dass auf Lieferungen aus dem Ausland zurückgegriffen wird. Also, es soll nicht legal Cannabis in Deutschland angebaut werden, sondern es soll aus den Niederlanden kommen. Dann haben wir das gleiche System wie bisher. Es kommt nämlich vor, das sagt auch das Bundesgesundheitsministerium, dass dort Lieferengpässe bestehen, teilweise von Tagen bis zu mehreren Wochen. Bei den Lieferengpässen bringt es dann auch nichts, wenn es die Krankenkasse bezahlen würde, denn es gibt in der Apotheke einfach nichts. Das heißt also, die Lösung, wie sie von den GRÜNEN vorgeschlagen wurde, eben bis zu drei Pflanzen zu Hause anzubauen, wäre die Lösung, um dieser Verzögerung entgegenzutreten.

Aber der Entwurf der GRÜNEN geht noch weiter, denn sie wollen zum Beispiel das Straßenverkehrsgesetz und das Betäubungsmittelgesetz ändern, um aus dem Betäubungsmittelgesetz Cannabis und THC herauszunehmen und im Straßenverkehrsgesetz analog zur 0,5 Promillegrenze bei Alkohol auch eine Grenze für THC im Blut einzuführen. Das heißt, es bringt momentan nichts, wenn ich diese Rechtsberatung habe, dann durch diesen Antragsdschungel durchkomme und legal Cannabis konsumieren darf, nur leider ist dann mein Führerschein weg, weil in meiner Haarprobe uralte Cannabisrückstände gefunden wurden.

Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Ulrich Baier:

Ich wurde von meinen Beisitzern darauf hingewiesen, dass es auf der linken und rechten Seite etwas unruhig ist.

Stadtverordneter Martin Kliehm, DIE LINKE. im Römer:

(fortfahrend)

Wir müssen das ganzheitlich betrachten. Ich kann Ihnen empfehlen, einmal die Wirtschaftswoche zu lesen, die bekanntlich kein Kiffermagazin ist. Die Wirtschaftswoche hat das aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet. Sie hat zum Beispiel gesagt, die Vorstellung, dass man durch Prohibition und Kriminalisierung die Leute vor sich selbst und anderen schützen kann, ist ziemlich naiv. Was hingegen die Erfahrungen im Ausland gezeigt haben, sagt eine Studie der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, die Großhandelspreise werden dramatisch fallen. Das heißt, die Nettoverkaufspreise werden um 80 bis 90 Prozent fallen. Seit der Legalisierung in einigen US-Bundesstaaten brechen den mexikanischen Drogenkartellen die Einnahmen weg, und genau das ist der richtige Weg, um den illegalen Drogenmarkt zu bekämpfen.

(Beifall)

Aber was bringt die Repression? Ich habe Zahlen aus Berlin, dort haben Anfang des Jahres vermehrt Razzien im Görlitzer Park stattgefunden. Dort sind ungefähr 14.000 Einsatzstunden bei der Polizei angefallen. Das kostet den Steuerzahler ungefähr eine halbe Millionen Euro und von diesen Kontrolldelikten werden dann 95 Prozent als Bagatelldelikte eingestellt. Da sehen Sie, wohin die Repression führt. Wäre das Ganze legal, Colorado hat es vorgemacht und im ersten Jahr umgerechnet 50 Millionen Euro an Steuern und Abgaben erzielt, und im nächsten Jahr gab es eine Steigerung um 150 Prozent, wären das auf Deutschland hochgerechnet, konservativ geschätzt jährliche Steuereinnahmen von 800 Millionen Euro. Sehr optimistisch geschätzt wären das zwei Milliarden Euro Steuereinnahmen. Hingegen würden wir an Repressionen und unnötiger Verfolgung durch die Polizei und Staatsanwaltschaft ungefähr 1,8 Milliarden Euro sparen.

Überlegen Sie sich bitte, was Sie mit diesen 3,8 Milliarden Euro machen könnten. Sie könnten zum Beispiel die Beratung ausbauen, denn Kiffer sind keine Kriminellen, sie tun anderen nicht weh. Cannabis-Prävention wird aber derzeit tabuisiert. Frau Heilig sagt selbst, wir können die Jugendlichen derzeit nicht erreichen, denn darüber zu sprechen ist momentan ein Tabu, niemand wird sich in der Schulklasse outen. Die Berliner Fachstelle für Suchtprävention sagt aber, darüber zu sprechen sollte so normal sein wie Verkehrserziehung im Kindergarten. Das können wir nur erreichen, wenn es bei der Nutzung durch Erwachsene nicht mehr kriminalisiert wird.

(Beifall)

Es sind ungefähr 2,3 Millionen Volljährige, die in Deutschland regelmäßig kiffen. Von den 15 bis 16-Jährigen sind es deutschlandweit 22,2 Prozent. Die Zahlen aus Frankfurt kennen Sie, hier kiffen bei den 14 bis 18 Jährigen ungefähr 25 Prozent regelmäßig. Das heißt, mit einer Kriminalisierung kommen wir nicht weiter. Der CDU muss ich entgegenhalten, dass das Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung sagt, dass Cannabis keine Einstiegsdroge ist. Relevante Faktoren sind hier das soziale Umfeld oder die genetische Disposition.

Bei exzessivem Konsum steigt das Risiko der Psychose leicht an, sagt das Institut. Es ist aber volkswirtschaftlich schlimmer, diese Menschen nicht zu erreichen und ihnen nicht helfen zu können. Wir brauchen also nicht auf einen Entwurf der Bundesregierung zu warten. Was wir bräuchten, wäre ein Cannabiskontrollgesetz wie es die GRÜNEN und die LINKEN im Bundestag gefordert haben. Was wir eigentlich bräuchten, wäre ein Modellversuch wie ihn der Ortsbeirat vorgeschlagen hat, nämlich eine Ausnahmegenehmigung nach § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes mit wissenschaftlicher Begleitung zu erwirken. Ebenfalls brauchen wir den Frankfurter Weg, den wir bei Heroin gegangen sind und den wir bei Cannabis fortführen sollten.

Vielen Dank!

(Beifall)

[…]

Stadtverordneter Martin Kliehm, DIE LINKE. im Römer:

Ich danke Herrn Popp für diesen guten und richtigen Beitrag. Ich wollte auch noch einmal auf ein paar Punkte eingehen. Dass Cannabis keine Einstiegsdroge ist, wurde jetzt schon wiederholt gesagt, aber auch der Vergleich mit dem Komasaufen hinkt vorne und hinten. Es ist nicht möglich, sich ins Koma zu kiffen. Das ist medizinisch einfach nicht möglich. Von daher an die CDU gerichtet: Bitte informieren Sie sich diesbezüglich etwas besser.

Es ist nicht geplant, auf Schulhöfen Haschplätzchen zu verkaufen oder dass auf den Schulhöfen in Zukunft Jugendliche kiffen. Ich habe zufällig den Entwurf der GRÜNEN-Bundestagsfraktion zu dem Cannabiskontrollgesetz vom März dabei.

(Heiterkeit)

Dort steht unter Strafvorschriften: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer Cannabis an Kinder und Jugendliche weitergibt. In besonders schweren Fällen kann diese Strafe auch fünf Jahre betragen. Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig für Cannabis wirbt, Cannabis an Volljährige abgibt, obwohl Anzeichen für eine Weitergabe an Minderjährige vorliegen oder Kindern und Jugendlichen den Zugang zu einem Cannabisfachgeschäft ermöglicht oder einen Automaten aufstellt. Auch das wird es nicht geben. Es wird keine Cannabis-Automaten geben. Der Jugendschutz ist durchaus gewährt.

Herr zu Löwenstein, ich muss Ihnen leider Zahlen entgegenhalten. Sie wissen, dass die Prohibition in Deutschland gescheitert ist. Wir alle kennen die Zahlen, dass über 40 Prozent der Jugendlichen in Frankfurt schon einmal gekifft haben. Das heißt, es hat offenbar nicht funktioniert, und dann – wie Herr Popp eben gesagt hat – müssen sie es sich halt über illegale Quellen besorgen, die Probleme bereiten. Das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen hat ungefähr 10.000 Proben pro Jahr, die sie dort untersuchen können. Darin finden sich – das hat Herr von Wangenheim gesagt, was den Konsumentenschutz angeht – in Einzelfällen Dünger, Glassplitter, Haarspray, aber es wurde auch schon Blei gefunden, was zu Dutzenden schweren Vergiftungen geführt hat. Diesen Konsumentenschutz haben wir momentan überhaupt nicht. So ein Test, wie ihn das LKA durchführt, kostet ungefähr zehn bis 55 Cent pro Gramm. Es ist also nicht wirklich teuer und würde den Preis auch nicht nach oben treiben. Der Haken daran ist, wenn es das LKA macht, ist es okay, aber für alle anderen ist es verboten. Sie haben keine legale Möglichkeit zu überprüfen, ob Sie gerade gesundheitsschädlichen Mist gekauft haben oder nicht, weil es verboten ist, weil Cannabis verboten ist. Genau das ist das Problem.

Was Ihre Befürchtungen angeht, dass in Zukunft alle Menschen nur noch bekifft herumlaufen, muss ich Ihnen leider auch Zahlen entgegenhalten. In Deutschland haben 15 Prozent der 15- bis 34-Jährigen schon einmal Cannabis konsumiert. In den Niederlanden sind es 16 Prozent. Sie wissen, dass es in den Niederlanden einfach ist, daran zu kommen. Das heißt, was ich eingangs gesagt habe, wenn wir das Geld, das wir momentan in Prohibition und in Repression stecken, in Aufklärung stecken würden, könnten wir tatsächlich erreichen, dass diese Quote nicht besonders ansteigt. Wir kennen die Zahlen aus Portugal, wo die Zahl sogar noch gesunken ist.

Ich wurde angehalten, noch einmal für die Ehrenrettung zu erwähnen: Der Entwurf dieses Cannabiskontrollgesetz aus dem März 2015 stammt von der Bundestagsfraktion der GRÜNEN, aber zur Ehrenrettung muss ich sagen, dass die Fraktion der LINKEN. im Bundestag bereits am 28.09.2011 einen Entwurf „Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabisclubs“ eingereicht hat, also das, was der Ortsbeirat 1 jetzt gerade fordert. Die Bundestagsfraktion der LINKEN. hat natürlich auch den Antrag der GRÜNEN im Bundestag unterstützt.

Informieren Sie sich bitte noch einmal über die Fakten und die Zahlen, auch aus dem Ausland. Wir werden nicht, wie Frau Busch schon gesagt hat, Sodom und Gomorrha haben und es werden nicht alle Leute nur noch bekifft in der Gegend herumlaufen. Gerade was die nicht medizinische Nutzung und den kontrollierten Anbau angeht, ist das Stichwort Kontrolle. Wir werden keine Jugendgefährdung haben, im Gegenteil, wir werden eine verbesserte Aufklärung haben, und wir können endlich offen darüber reden.

Vielen Dank!

(Beifall)

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