Gehört der Islam zu Deutschland?

Am Samstag war ich kurzfristig eingeladen bei der Ahmadiyya Muslim Jamaat zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Gehört der Islam zu Deutschland?“. Nun werden sich einige fragen, was denn ausgerechnet die Piratenpartei mit Religion zu tun hat. Die kurze Antwort lautet: Menschenrechte. Die längere Antwort:

Kaum war ich von dem Infostand auf der Leipziger Straße an der Konstablerwache angekommen, sprach mich schon Stefan Schimanowski an, ob ich nicht kurzfristig am Nachmittag in Bonames an einer Podiumsdiskussion teilnehmen könnte. Ich sei ja die ideale Besetzung dafür. Nun ja, meine Frau ist die Religionswissenschaftlerin in unserer Familie, aber in den letzten Jahren bin ich durch sie mehr Mönchen und Nonnen, Rabbis und Sufis begegnet, als ich mir je zu träumen gewagt hätte. Denn eigentlich bin ich Atheist, auch wenn eine Kollegin einmal meinte, von der Philosophie her sei ich Buddhist. Aber vielleicht lässt mich gerade das relativ unbefangen an das Thema herangehen.

Am Rande erwähnen möchte ich noch die Highlights des Infostandes, wie Thorsten Wirth zwei S-Bahn-Kontrolleuren unser Wahlprogramm erklärte, das unter anderem langfristig die Abschaffung von S-Bahn-Kontrolleuren vorsieht, wenn der RMV tatsächlich kostenlos für Reisende würde. Ein anderes Highlight war die Entgegnung von Herbert Rusche (schwuler, ex-grüner Ex-MdB und Kandidat für den Ortsbeirat Nordend) auf die rassistische Äußerung einer Dame mit großer Sonnenbrille, „von den Ausländern hätten wir ja zu viele in Frankfurt“. Herbert entgegnete „von häßlichen Frauen mit großen Sonnenbrillen haben wir auch zu viele in Frankfurt“, woraufhin sie abdampfte. Bravo!

Also machte ich mich auf den Weg nach Bonames ins Industriegebiet, wo die Ahmadiyya-Gemeinde eine leicht unterkühlte Lagerhalle und andere Räume in ihr Gemeindezentrum umgebaut hat. An der Diskussion nahmen außer mir nur Jochem Heumann (CDU) und Eugen Emmerling (SPD) teil. Doch zunächst gab es einen wissenschaftlich fundierten Vortrag von Mohammad Luqman Majoka zur Geschichte des Islam in Deutschland. Natürlich entstammen viele moderne Errungenschaften aus der Medizin, der Chemie, Mathematik, Physik und Architektur aus dem Orient, ebenso unsere Zahlen und Worte wie „Alkohol“. Auch gibt es seit dem frühen Mittelalter diplomatische und Handelsbeziehungen sowie eine muslimische Ansiedlung in Preußen, erste Moscheen und erste deutsche Übersetzungen des Korans seit dem 18. Jahrhundert. Doch damit bemüht man sich lediglich, die historisch falschen Behauptungen von Bundesinnenminister Friedrich zu widerlegen. Diese Ebene führt nicht weiter.

Erwartungsgemäß griffen Herr Heumann und Herr Emmerling in ihren Eröffnungsreden diese Islamkritik auf und betonten ihre liberalen Standpunkte und die gelungene Integration gerade der überwiegend aus Pakistan, Indien und Bangladesch eingewanderten Ahmadis.

Aber die ganze Fragestellung ist falsch! Die Frage „Gehört der Islam zu Deutschland?“ ist eigentlich überflüssig, denn Religionsfreiheit gehört zu Deutschland! Und die Menschen, die hier leben, gehören zu Deutschland, ganz gleich, welcher Religion sie angehören. Wir reden von Menschen, die hier teilweise in der zweiten oder dritten Generation leben, die hier geboren sind. Wer könnte ihnen die Teilhabe absprechen? Und doch dürfen von den 4 Millionen Muslimen in Deutschland nur 1,2 Millionen wählen, weil sie ihre alte Staatsbürgerschaft abgelegt und die deutsche angenommen haben.

Auch die Ausgangsthese ist falsch: darin wird postuliert, dass es so etwas wie „den Islam“ gäbe. Es gibt nicht den Islam, genausowenig wie es das Christentum oder das Judentum gibt. Das zeigt sich bereits in der Ironie der Veranstaltung: die Ahmadiyya bezeichnet sich selbst als zum Islam dazugehörig, dies wird aber von anderen muslimischen Gelehrten bestritten. Der Kern des Dissenses liegt in der Frage, ob es nach Mohammed noch weitere Propheten geben darf oder ob er der letzte Prophet war. Aufgrund dieser Frage werden die Ahmadis in vielen islamischen Ländern verfolgt und diskriminiert.

Die Religion wird aber von Populisten wie Friedrich, Seehofer oder Sarrazin nur vorgeschoben, statt die komplexere Diskussion zu führen: Es geht nicht wirklich um „den Islam“, sondern um Fremdenfeindlichkeit, Xenophobie, um ethnische und kulturelle Unterschiede, oder um die Diskussion von Frauenrechten und häuslicher Gewalt. Nun sind diese Themen aber nicht ausschließlich Muslimen vorbehalten. Frauen sind in der deutschen Gesellschaft trotz der UN-Resolution von 1979 zur Gleichstellung von Frauen auch heute noch benachteiligt. Häusliche Gewalt gibt es auch in deutschen Familien. Die Ursachen sind vielfältig und haben mit mangelnder Bildung, unzureichender Bezahlung, der prekären Stellung von Arbeitnehmern, ihren Existenzängsten und Alkoholismus zu tun. Diesen Fragen müssen wir uns stellen und uns nicht von populistischen Scheindebatten ablenken lassen!

Diese andere Perspektive ist letztlich das, was die Piraten in die Diskussion mit einfließen lassen können! Religion mag in unserer aufgeklärt-humanistischen Gesellschaft für viele an Bedeutung verloren haben. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass sie ein Menschenrecht und für viele Menschen ein wichtiger Teil ihre Lebens ist. Religion kann dazu beitragen, Werte, Traditionen und ein Gefühl von Heimat zu vermitteln. Eine Heimat, die viele Migrantinnen und Migranten in Deutschland nie gefunden haben, auch darum, weil sie oft vermittelt bekommen, hier nicht willkommen zu sein. Als Piraten stellt sich aber die Frage der Integration nicht, wenn alle Menschen teilhaben können, inkludiert sind. Frankfurt ist unser aller Zuhause, nicht nur das der „Biodeutschen“. Wir müssen einander auf Augenhöhe begegnen und den Dialog suchen, um den anderen und unsere sich stetig verändernde Stadt zu verstehen.

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