Open Data

Zugehörige Anträge: NR 78/2011 (Piraten) und NR 271/2012 (Grüne)

Kontext: Wortprotokoll über die 7. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, dem 15.12.2011 (16.03 Uhr bis 22.03 Uhr), TOP 8, Open Data-Projekt starten

Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten:

Ich freue mich, dass ich endlich einmal über ein Thema reden kann, von dem ich Ahnung habe.

(Heiterkeit)

Die meisten anderen Themen muss ich mir immer erst erarbeiten, dieses Mal ist es anders herum. Sie haben meinen Respekt, dass Sie sich mit so einem schwierigen Thema auseinandersetzen, und ich bin Ihnen dafür auch sehr dankbar. Mir scheint aber, es gibt noch teilweise Verwirrung im Ausschuss für Recht, Verwaltung und Sicherheit. Diese Woche sprach Stadtrat Stein in gleichem Atemzug, als er Open Data erwähnt hat, auch von E-Government, von downloadbaren Formularen und letztlich auch von der Servicenummer 115. Ich glaube, da läuft noch viel durcheinander. Das alles hat irgendwie mit einer Stadtregierung zu tun, aber nicht mit Open Data.

Um einer Begriffsverwirrung vorzubeugen, möchte ich Ihnen zunächst einmal verdeutlichen, worum es bei Open Data geht. Praktischerweise gab es am Montag eine Pressekonferenz der Europäischen Kommission dazu, aus der ich ein paar Sachen zitieren kann: „Öffentliche Verwaltungen sitzen auf einer Goldmine, die ein bislang unerschlossenes wirtschaftliches Potenzial birgt, nämlich große Mengen von Informationen, die von zahlreichen Behörden und Dienststellen angehäuft wurden. Informationen des öffentlichen Sektors Public Sector Information, PSI, sind alle Informationen, die öffentliche Stellen produzieren, sammeln oder erwerben. Beispiele sind Geoinformationen, Statistiken, Wetterdaten, Daten von öffentlich finanzierten Forschungsprojekten oder digitalisierte Bücher aus Bibliotheken. Diese Informationen haben ein beträchtliches, derzeit ungenutztes Potenzial für die Weiterverwendung in neuen Produkten und Dienstleistungen und für die Effizienzsteigerungen in Verwaltungen.“

Das ist auch der Punkt, an dem unsere Kollegen in Wien angesetzt haben. Sie haben gesagt, Open Data sei in erster Linie für die Effizienzsteigerung in der Verwaltung wichtig. Das heißt, es spart uns am Ende Geld und wird uns nicht viel Geld kosten. Man muss sich das einmal vor Augen führen. Die Öffnung von den Verwaltungsdaten stellt einen radikalen Paradigmenwandel dar. Erstes Paradigma: Die Daten gehören nicht dem Amt, sondern den Bürgern. Das muss man sich vor Augen führen. Zweites Paradigma: Bisher waren Daten grundsätzlich nicht zugänglich, außer bei Nachweis eines begründeten Interesses. In Zukunft wird es so sein, dass alle Daten zugänglich sind, außer sie sind durch Rechte Dritter geschützt, also genau umgekehrt zu dem jetzigen Status. Nicht mehr von vornherein verschlossen, sondern von vornherein offen.

Die inzwischen veraltete EU Richtlinie aus dem Jahre 2003 zur Weiterverwendung von Informationen soll bis 2013 geändert werden. Dazu wurde am Montag eine Pressemitteilung von der EU Kommission herausgegeben. Grundsätzlich sollen alle Dokumente, die von öffentlichen Stellen zugänglich gemacht werden, zu beliebigen Zwecken weiterverwendet werden können, gewerblich wie nicht gewerblich, soweit sie nicht durch Rechte Dritter geschützt sind. Grundsätzlich sollen öffentliche Stellen dafür keine Gebühren verlangen können, die über den durch die jeweiligen Einzelanforderungen verursachten Mehrkosten, den Zusatzkosten, liegen. In der Praxis bedeutet das, dass die meisten Daten kostenlos oder so gut wie kostenlos bereitgestellt werden.

Öffentlich Stellen werden außerdem verpflichtet, die Daten in üblichen, maschinenlesbaren Formaten bereitzustellen, damit sie effektiv weiterverwendet werden können. Es nützt also nichts, wenn sie irgendwo in irgendeinem Format auf einer Website stehen, welches nur Menschen, aber keine Maschinen lesen können, weil dadurch eben kein Mehrgewinn möglich ist. Es wird eine behördliche Aufsicht geschaffen, um diese Grundsätze umzusetzen. Da geht es um Nachhaltigkeit. Das ist nicht eine Geschichte, die jetzt eingeführt wird und in zwei Jahren wieder klammheimlich einschläft, sondern es soll für die Zukunft und nachhaltig sein. Nachhaltig kann das Thema auch nur dann sein, wenn die Daten intern in den Ämtern genutzt werden.

Das ist auch eine Neuerung, wenn der Anwendungsbereich der Richtlinie massiv ausgedehnt wird, nämlich zum ersten Mal auch auf Bibliotheken, Museen und Archive. Wir haben neulich gelesen, dass allein Frankfurt Kunst- und Kulturgüter im Wert von etwa 2,5 Milliarden Euro besitzt. Der Haken bei dieser Geschichte ist aber, dass Museen in der Regel nur fünf bis zehn Prozent ihrer Bestände gleichzeitig in einer Ausstellung zeigen können. Das bedeutet, dass man zwischen zehn und 20 Jahre warten muss, bis man wieder alle gesehen hat. Im Internet wären sie jederzeit zu betrachten. Ich muss auch darauf hinweisen, dass das keine Neuerung ist. Es gibt in Frankfurt durchaus Institutionen, die das schon lange machen. Das Stadtarchiv digitalisiert zum Beispiel, auch einige Museen, die ihre Kunstwerke sowieso digitalisieren, sei es für Broschüren oder für die Versicherung oder falls wieder einmal ein Stadtarchiv im U Bahn Tunnel versinkt.

Diese Digitalisierungen sind derzeit aber öffentlich nicht verfügbar, oder die Recherche ist mit einem hohen Zeitaufwand verbunden. Allein das Stadtarchiv in Frankfurt besitzt etwa zwei Millionen Fotografien, wovon erst 38.000 auf der Website veröffentlicht wurden und einzeln durchsuchbar sind. Was aber, wenn ich alle 38.000 auf einmal oder wenn ich alle zwei Millionen haben möchte? Dafür ist Open Data zuständig. Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Neelie Kroes, sagte dazu am Montag, dass man ein deutliches Signal an alle öffentlichen Verwaltungen sende. „Ihre Daten sind viel mehr wert, wenn man diese freigibt. Geben Sie ihre Daten jetzt frei, beginnen Sie heute Nachmittag damit. Nutzen Sie diesen Rahmen, um zu den intelligenten Vorreitern aufzuschließen, die bereits von den Vorteilen offener Daten profitieren. Für diese Informationen haben die Steuerzahler ohnehin schon bezahlt. Nun sollten wir sie wenigstens all jenen zurückgeben, die sie auf eine neue Art verwenden wollen, um den Menschen zu helfen und um Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen.“, das sagte Neelie Kroes, nicht irgendwelche Revoluzzer oder Piraten.

Derzeit erwirtschaften innovative Unternehmen in Europa ungefähr einen Umsatz von 32 Milliarden Euro durch die Anreicherung öffentlicher Daten mit einem Mehrwert. Ein Beispiel: Wenn Sie ein Haus bauen möchten, dann können Sie diese einzelnen Daten mit viel Bürokratie abfragen. In den Niederlanden gibt es aber Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, diese Daten vom Katasteramt, vom Grundbuchamt und irgendwelche Umweltdaten zusammenzutragen, auszuliefern und zu verkaufen. Da kommen diese 32 Milliarden Euro derzeit her.

Nur um das einmal in eine Relation zu setzen. Wir haben heute sehr lange über den Flughafen geredet. Der Umsatz von Fraport und Lufthansa zusammen beträgt weniger als 32 Milliarden Euro im Jahr. Es ist ein massives Volumen. Das ist das, was wir momentan dort an Umsatz haben. Die EU schätzt, dass das europaweit auf ungefähr 140 Milliarden Euro ausbaufähig ist. Derzeit arbeiten allein in den Niederlanden im Geoinformationsbereich 15.000 Menschen, in Europa werden es in ein paar Jahren mehrere 100.000 sein.

Stadtrat Frank betont stets die innovative Stellung unserer Stadt im Bereich IT und Gamesentwicklung, aber Frankfurt steht hier auch im direkten internationalen Wettbewerb mit anderen Großstädten um diese Arbeitsplätze und letztlich auch die Steuereinnahmen. Wenn wir Daten kostenlos herausgeben, werden wir am Ende davon profitieren, weil die Daten teilweise hundertfach öfter genutzt werden und dadurch ein neuer Industriezweig entsteht. Es ist darum wichtig, zügig zu agieren und den Anschluss nicht zu verschlafen. Beispiele anderer Städte und Staaten zeigen, wie schnell man eine Datenportal mit wenigen, nicht perfekten Daten beginnen kann. Mit der Zeit werden Qualität und Quantität der Daten gesteigert, bis schließlich Hunderttausende Datensätze maschinenlesbar in Fünf Sterne Qualität zur Verfügung stehen. Fünf Sterne habe nicht ich mir ausgedacht, sondern Tim Berners-Lee, der Erfinder des Internets.

Auch Websites wie data.gov.uk oder data.gouv.fr haben einmal klein angefangen und stellen jetzt 450.000 oder 350.000 Datensätze zur Verfügung. Nicht zu verachten sind dabei auch die freiwilligen Helfer, wenn diese Daten erst einmal zur Verfügung stehen, die dort ihre freiwillige Arbeit einsetzen, um diese zu visualisieren. In Wien wurde zum Beispiel das Baumkataster von Freiwilligen umgesetzt, und man kann das jetzt schön auf einer Stadtkarte ansehen. In Frankfurt haben wir die gleiche Software für das Baumkataster. Wir können von den Wienern deren Programme bekommen und haben in null Komma nichts das Baumkataster veröffentlicht.

Die Standorte der Frankfurter Blindenampeln – ungefähr 500 Stück – und Behindertenparkplätze werden in wheelmap.org integriert, und den städtischen Haushalt haben wir innerhalb von vier Stunden auf openspending.org eingestellt. Sie können einmal nachschauen, wo er nun verständlich und interaktiv klickbar ist.

Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Gert Trinklein:

Kommen Sie bitte zum Ende.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten:

(fortfahrend)

Ich möchte dringend appellieren, nicht jahrelang an einer Perfektion von Konzepten zu feilen und stattdessen schnell tätig zu werden. Der zögerliche Ansatz der Koalition zum Start des Open Data Projektes ist darum kontraproduktiv und das Verständnis von Stadtrat Stein irritierend. Die FREIEN WÄHLER sagen, geht nach draußen und sitzt nicht so lange vor dem Computer. Das ist noch viel mehr irritierend.

(Beifall)

[andere Reden]

Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten:

Ich möchte noch auf einige Punkte eingehen, Herr Stein, die muss ich nicht in Wikipedia nachlesen, ich war inzwischen auf vier Konferenzen zu Open Data, und zwar in Amsterdam, Brüssel, Berlin und Warschau. In Berlin waren netterweise auch die Leute vom Amt 16. Ich glaube, so langsam habe ich verstanden, worum es geht. Was Sie noch nicht mitbekommen haben, ist, dass wir den Punkt drei unseres Antrages schon längst gestrichen haben. Gut, dass Sie darauf eingegangen sind, aber um den geht es gar nicht mehr. Ich darf Sie auch auf den Beschluss des Bundesparteitages der Piraten in Offenbach zum Urheberrecht verweisen.

(Zurufe)

Frankfurt war zu teuer.

Wir waren keineswegs dafür, dass Piraten alles klauen, sondern haben einen sehr differenzierten Beschluss zum Urheberrecht beschlossen. Ich würde Ihnen empfehlen, sich den Beschluss durchzulesen. Die Daten, die ich genannt habe, habe ich nicht aus der Luft gegriffen, sondern sie stammen von Graham Vickery von der OECD, der im Jahr 2009 im Auftrag der Europäischen Kommission eine Studie dazu angefertigt hat. Graham Vickery habe ich in Brüssel getroffen.

Der Kollege von der SPD hat es gerade gesagt. Meine Angst ist, dass Sie den Punkt eins, eine Konferenz zu veranstalten, die übrigens nach meinen Erfahrungen einen vierstelligen Eurobetrag kosten wird, bis zu den Haushaltsberatungen zurückstellen. Der Haushalt ist der Ort, wo Anträge zum Sterben hingehen. Ich befürchte, es wird nie gemacht und Sie verschleppen das immer weiter. Dafür ist das Thema wirklich zu schade. Ich verstehe auch, dass Sie Angst davor haben, dass, wenn wir so eine Kommission einsetzen, auf einmal 200 Leute von der Stadt kommen würden. Ich wünsche mir, dass 200 Leute von der Stadt kommen, aber die Erfahrung, die ich gemacht habe – ich habe in den letzten Wochen mit dem Grünflächenamt, mit dem Umweltamt und mit dem Gesundheitsamt telefoniert -, zeigen, dass meistens nur eine Person die Datenhoheit hat. Wenn die alle zusammenkommen, dann wären wir im Bereich von 30 bis 40 Menschen, und nicht im Bereich um die 200.

Herr Stein hat noch einige Bedenken geäußert, nicht nur wegen der Rechte Dritter. Ich kann Ihnen aber noch ein paar andere Bedenken nennen. Da sind auch ein paar Lieblinge von mir dabei. Ich rufe Sie dazu auf, den jeweiligen Fehler in den Aussagen zu finden. Punkt eins: „Die Daten werden von zig unterschiedlichen Institutionen gepflegt und wir können sie nicht zusammenfassen.“ Punkt zwei: „Es wird die Menschen verärgern und verängstigen, ohne ihnen zu helfen.“ Punkt drei: „Es ist technisch unmöglich.“ Punkt vier: „Die Daten gehören uns nicht.“ Da ist ein Fehler. Punkt fünf: „Die Daten sind zu groß, um veröffentlicht und genutzt zu werden.“ Seit Google Docs wissen wir, so etwas wie zu groß gibt es nicht mehr. Oder: „Unsere Website kann diese großen Datenmengen nicht verkraften.“ In den Niederlanden gibt es Petabyte-Rechner. Das ist mein absoluter Liebling: „Wir wissen, dass unsere Daten falsch sind.“

(Heiterkeit)

Oder: „Wir wissen, dass unsere Daten falsch sind und die Leute werden uns sagen, wo sie falsch sind.“ Es geht noch besser: „Wir wissen, dass unsere Daten falsch sind und wir werden wertvolle Ressourcen verschwenden, die Korrekturen einzupflegen, die uns die Leute senden.“ Das wäre doch wünschenswert, wenn das geschehen würde. Den Rest überspringe ich, weil wir kein Informationsfreiheitsgesetz in Hessen haben. Aber einen Punkt habe ich auch vom Gesundheitsamt gehört: „Leute werden oberflächliche Schlussfolgerungen ziehen, ohne den Kontext zu kennen.“ Das habe ich sehr häufig gehört. Wir haben zum Beispiel auch Daten vom Baumkataster, da sehen die Leute, dass die Bäume krank sind und denken gleich, man könne sie abholzen. Auch das Stadtplanungsamt hat gesagt: „Sie haben nicht die Information oder den Kontext, um das ordentlich zu bewerten.“ Das ist aber ein generelles Problem unserer Gesellschaft, nämlich die Frage, welche Informationen im Internet authentisch sind. Welchen Informationen kann ich vertrauen, wie muss ich sie bewerten, wenn ich darin etwas lese. Wenn wir jetzt auf OpenSpending den Frankfurter Haushalt veröffentlichen, könnte man auch irgendetwas gepfuscht haben oder wir haben keine Ahnung davon und die Daten sind komplett falsch. Dann müssten Sie sich fragen, vertrauen Sie mehr den Daten, die auf frankfurt.de oder denen, die auf OpenSpending stehen?

Das ist eine generelle gesellschaftliche Debatte. Die darf aber nicht mit dem Schluss enden, dass Sie sagen, der Bevölkerung, der Presse und der Politik werden diese Informationen vorenthalten oder durch bürokratische Hürden wird der Zugang dazu erschwert. Von daher muss ich noch einmal betonen, dass eine zeitnahe Veröffentlichung der kommunalen Daten im Rahmen eines zentralen Portals – und wir haben schon eine zentrale IT in Frankfurt – ein Imperativ ist. Damit habe ich, wenn Sie bei Wikipedia nachschauen, den französischen Präsidenten Sarkozy zitiert, der sagte: Open Data ist ein Imperativ. Ich kann es leider nicht auf Französisch sagen.

Wir sollten von anderen Städten lernen und die Experten an den Tisch holen, so macht man das bei Internetprojekten heutzutage. Man holt alle Stakeholder zusammen, damit die sich nicht übergangen fühlen, die dann gemeinsam etwas ausbaldowern und uns Stadtverordnete eine Empfehlung geben können. Aufgrund dieser Empfehlung können wir dann entscheiden. Das Ganze muss aber zeitnah geschehen, und nicht erst in einem halben Jahr. Ich hatte schon angekündigt, wir sind in der Fraktion sehr stark am Überlegen, ob wir im Sommer selbst so eine Konferenz veranstalten sollen, weil wir die entsprechenden Kontakte haben. Wir sprechen natürlich auch mit den Leuten von der Open Knowledge Foundation. Mit denen haben wir am 3. Dezember im Fraktionsraum ein OpenSpending gemacht. Wir sind sehr gut vernetzt und laden gerne die städtischen Mitarbeiter, die Sie uns bitte noch benennen möchten, zu dieser Konferenz ein.

Vielen Dank!

(Beifall)

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