Tanzen verboten, Homeshopping erlaubt

Die Piratenpartei, die Grüne Jugend und die Evangelische Kirche Hessen haben dieses Jahr wieder ein Thema angesprochen, das die meisten gerne totschweigen würden: die Clubbetreiber, weil sie keine schlafenden Hunde wecken möchten, die Politik, weil ihnen die Durchsetzung schlechte Publicity bringt. Es geht um das Hessische Feiertagsgesetz und das Tanzverbot.

Die Fakten

Für die Protestanten ist Karfreitag der höchste Feiertag im Jahr, weil Jesus durch sein Leiden unsere Sünden auf sich genommen hat. Nicht durch Ablassbriefe erlangen wir Seelenheil, sondern durch das Sterben von Jesus am Kreuz, insofern ist das seit Luther ein zentrales Element in ihrem Glauben. Bemerkenswerterweise ist der höchste Feiertag im Jahr der Katholiken nicht der Karfreitag, sondern der Ostersonntag. Zentral ist für sie nicht das Leiden, sondern die Auferstehung. Darum verwundert es nicht, dass Karfreitag im überwiegend katholischen Österreich kein Feiertag ist.

An Sonn- und Feiertagen sind in Hessen zwischen 4 Uhr morgens und 12 Uhr mittags verboten:

  1. Öffentliche Tanzveranstaltungen,
  2. Unterhaltungsveranstaltungen, ausgenommen solche, die der Kunst, der Wissenschaft und Bildung oder der Politik dienen,
  3. alle Veranstaltungen, wenn der Gottesdienst unmittelbar gestört wird.

Wenn nachmittags ein Gottesdienst üblich ist, dann sind ebenfalls unmittelbare Störungen verboten. Am Karfreitag gilt das Verbot den ganzen Tag von 0-24 Uhr und erstreckt sich auch auf sämtliche Sportveranstaltungen, öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel, sofern sie nicht ernst sind. Außerdem alle übrigen Veranstaltungen, die nicht „der Würdigung der Feiertage, der seelischen Erhebung oder einem überwiegenden Interesse der Kunst, Wissenschaft, Volksbildung oder Politik dienen“.

Ferner ist bei Rundfunksendungen sowie der öffentlichen Darbietung von Musik- und Tonaufnahmen „auf den ernsten Charakter der Feiertage Rücksicht zu nehmen“.

Sonntagsruhe, aber nur von 4-12 Uhr?

Die Intention des Gesetzes ist eindeutig: Die Feiertagsruhe und insbesondere die Gottesdienste sollen nicht gestört werden. Jetzt gibt es da aber ein paar Merkwürdigkeiten: Warum sind an Sonn- und Feiertagen ausgerechnet von 4-12 Uhr solche Veranstaltungen verboten? Warum ist von Rundfunksendungen die Rede, nicht aber von Fernsehsendungen?

Versetzen wir uns ins Jahr 1952, als im September das Hessische Feiertagsgesetz in Kraft tritt. Es gibt kein Fernsehen in Deutschland. Die ARD wird ihre erste Sendung erst im Dezember ausstrahlen. Menschen gehen noch in die Kirche, es gibt in Frankfurt noch Frühmetten um 6:30 Uhr für Hausfrauen und Rentner, um 8 Uhr für normale Kirchgänger, um 9:30 Uhr den Kindergottesdienst und um 11 Uhr den für die Männer, bevor sie zum Frühschoppen gehen, während ihre Frauen zuhause am Herd schuften. Der ganze Vormittag ist mit Gottesdiensten erfüllt, darum die Zeitbeschränkungen! Das Gesetz schützt ja auch ausdrücklich Gottesdienste am Nachmittag.

Tanzveranstaltungen in der Nachkriegszeit waren Volksfeste oder fanden in Gemeinderäumen oder Jazzkellern statt, Sperrzeit war spätestens um 1 Uhr. Niemand dachte auch nur daran, dass Menschen zu repetitiven Beats bis weit nach 4 Uhr tanzen würden. Nein, der Gottesdienst sollte nicht von der Polka auf dem Dorfplatz gestört werden!

Zurück ins Jahr 2012: Jazzkeller heißen jetzt „Clubs“ und befinden sich aufgrund von Lärmschutzverordnungen in menschenleeren Industriegebieten am Rande der Stadt oder in entvölkerten Fußgängerzonen im Zentrum, fernab von jeder Kirche. Nur noch 21,1% aller Frankfurterinnen und Frankfurter sind evangelisch. Eine unmittelbare Störung von Gottesdiensten, die heute nicht vor 9 Uhr beginnen, findet nicht statt.

Dennoch vertreten überwiegend ältere, reaktionäre Kräfte die Meinung, diese Tanzveranstaltungen seien der Untergang des Abendlandes. Gleichzeitig ist es ihnen aber völlig schnurz, wenn im hr3 die übliche Ballermann-Musik erschallt oder im Fernsehen erbauliche Feiertagssendungen mit Namen wie „Donald Duck geht in die Luft“, „Mein Name ist Nobody“ oder „Zweiohrküken“ laufen. Selbst der Homeshopping-Kanal preiset am Tage des Herrn fröhlich seine Dampfreiniger an, ohne dass es jemand stört.

Keine Lobby für junge Leute

Aber Tanzen muss verboten bleiben? Weil junge Erwachsene in Frankfurt keine Lobby haben: Die 18-25jährigen stellten 2010 nur 7,6% der immer älter werdenden Bevölkerung. Da müssen erst die Piraten (oder die Grüne Jugend Hessen, Respekt) kommen, um die Diskussion über das Tanzverbot wieder zu beleben.

Ach ja, da war noch diese andere Minderheit mit den 21,1%: sie sieht gleich die kirchlichen Feiertage generell in Frage gestellt. Zwar gibt es einen radikaleren Gegenentwurf der Piratenpartei in Gießen, der anstelle von kirchlichen Feiertagen sechs individuell verteilbare „Kultustage“ vorsieht. Dabei genießen bereits heute nicht-christliche Religionsangehörige durch § 4 HFeiertagsG das Recht, vom Arbeitgeber oder der Schule zur Religionsausübung freigestellt zu werden. Der moderate Entwurf der Gießener Piraten streicht den Paragraphen einfach, ein Menschenrecht ignorierend.

Gleichfalls ignoriert der Entwurf gemeinsame Tage, in der die Gesellschaft einen Gang herunterschaltet und sich ihren Traditionen widmet. Die Eltern besuchen, Grüne Soße essen, Ostereier färben und so. Ich halte das für wichtig und möchte darum weder die Feiertage noch das Sonntagsarbeitsverbot in Abrede stellen. Aber Traditionen ändern sich. Für mich war es Tradition, an Heiligabend nach der Bescherung Tanzen zu gehen, meine Freunde in meinem „zweiten Wohnzimmer“ im Omen zu treffen. Für mich war auch Ostern immer ein fröhliches Fest, an dem die Kinder nach Ostereiern suchten und für Größere ausgedehnte Raves stattfanden. Das ist meine Tradition.

Liebe Evangelische Kirche, ich verspreche, ich rede euch bei eurem Gottesdienst nicht rein. Ihr dürft ernst sein am Karfreitag, ich werde euch nicht stören. Aber lasst meine und die nachfolgenden Generationen in den Clubs tanzen, solange wir wollen. Lasst die Eintracht spielen, wenn sie will. Redet uns nicht hinein, wie wir unseren Feiertag gestalten.

Das Tanzverbot ist ein Anachronismus und gehört gestrichen.

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