Aufbruch in Fahrtrichtung links

Gemeinsame Erklärung von ehemaligen Mitgliedern der Piratenpartei anlässlich der Unterstützung des Berliner Fraktionsvorsitzenden Martin Delius für die Partei DIE LINKE.

Eine Erkenntnis des Jahres 2015 ist: Die Piratenpartei ist tot. Als ehemalige Angehörige, Funktionsträger*innen und Mandatsträger*innen der Piratenpartei arbeiten wir seit Jahren an den Fragen für die Politik des 21. Jahrhunderts. Die Unzulänglichkeit gewohnter Vorstellungen von Gesellschaft und Politik in einer immer enger zusammenwachsenden Welt gehört genauso zu diesen Fragen wie die konkreten politischen, ökonomischen und sozialen Umwälzungen durch Migration und Digitalisierung. Klassische Begriffe der deutschen Politik, des sozialen Austauschs und der privatrechtlichen Ordnung – wie Arbeit, Wissen und Sicherheit – funktionieren inzwischen anders und verhalten sich in aktuellen politischen Kontexten völlig unterschiedlich zu unseren politischen Erfahrungswerten. Wir haben erkannt, dass – wenn wir ein offenes und menschliches Europa und einen sozialen und freien Umgang mit neuen Technologien wollen – es unsere Aufgabe ist, ebensolchen Unzulänglichkeiten zu begegnen und neue Antworten zu finden.

Obwohl einst genau zu diesem Zweck angetreten, ist die Piratenpartei dabei keine Hilfe mehr. Dem zum Trotz haben wir uns dazu entschieden, uns weiter für ein sozialeres und offeneres Europa und Berlin einzusetzen. Keine Politik zu machen ist für uns keine Option.

Deutschland hat im Jahr 2015 mehr als 700.000 Geflüchtete aufgenommen und zunächst notdürftig versorgt. Wie sehr die europäische und die bundesrepublikanische Gesellschaft durch diesen Umstand erschüttert worden sind, ist noch nicht erforscht. Die Implikationen können uns noch nicht klar werden, sie beginnen und sie enden sicher nicht mit dem Aufstieg der Deutschen Rechten in Form rechtspopulistischer Bewegungen und der rechtsradikalen AfD. Wie sich unsere Gesellschaft verändern muss und verändern wird mit den Menschen in Not, denen wir die Hand reichen, lässt sich sicher auch nicht im Jahr 2016 beantworten. Das muss in den nächsten Jahrzehnten diskutiert und gestaltet werden. Wir sind überzeugt, dass es eine linke Diskurshoheit bei diesen und allen anderen umwälzenden Prozessen der globalisierten Gesellschaft und Ökonomie braucht, wenn nicht nur der gesellschaftliche Fortschritt der nächsten Jahre vorangetrieben, sondern auch der Fortschritt der letzten Jahrzehnte bewahrt werden soll.

Das 21. Jahrhundert zeichnet sich durch eine technologische und gesellschaftliche Entwicklung aus, die Kommunikation global und somit grenzübergreifend ermöglicht. Primat linker Politik muss es jetzt sein, diese globale Bewegungsfreiheit für alle Menschen zu ermöglichen. Nach der industriellen Revolution bietet sich durch die rasante Digitalisierung der globalen Gesellschaft die nächste Chance, grundlegende Prinzipien neu zu bewerten. Immer stärker automatisierte Produktionsprozesse können es ermöglichen, menschliche Arbeit weitgehend überflüssig zu machen. Damals wie heute liegt es in der Verantwortung der menschlichen Gesellschaft selbst, dafür zu sorgen, diese Entwicklungen zu nutzen. Wenn uns Maschinen noch mehr Arbeit abnehmen können, muss das auf eine Art geschehen, dass Arbeiter*innen nicht schlechter dastehen als zuvor, denn die Befreiung von der Arbeit kann auch befreiend für uns alle sein. Es gilt, dem dystopischen, permanent überwachenden und verwertenden Repressionsapparat eine positive, in Freiheit vernetzte Gesellschaftsvision gegenüberzustellen.

Das Jahr 2016 nimmt dabei nicht nur für uns eine Schlüsselrolle ein, angesichts der Tatsache, dass die Piratenpartei, mit der immer noch viele von uns identifiziert werden, im Herbst des Jahres sehr wahrscheinlich keine Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus mehr stellen wird. Es ist vielmehr das erste Wahljahr, nach dem die Migrationsbewegung nach Europa auch Deutschland erreichte. Es ist das Jahr, in dem nach fünf Jahren völligen Versagens einer uneinigen Zweckregierung in Berlin wieder neu gewählt werden muss. Die fehlende linke Diskursmehrheit hat sich in den letzten Jahren der großen Koalition deutlich bemerkbar gemacht. Die Seehofers, die Henkels und die Czajas dieser Republik stören sich nicht an dem etablierten braunen Mob, begründet er doch ihre „besorgte Bürger“-Rhetorik und entschuldigt das Versagen bei Aufklärung und Verhinderung von rechten Gewaltexzessen. Wir halten dagegen. Wir fordern politischen Umschwung und werden dafür kämpfen, dass rechte Parolen und Ressentiments in der Berliner Politik [und anderswo] nicht weiter Fuß fassen. Wir treten mit aller Kraft gegen die AfD ein, die droht, in das Berliner Abgeordnetenhaus [und die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung] einzuziehen. Wir arbeiten daran, die Menschen in der Stadt über den wahren Charakter ihrer rechtsnationalen völkischen Verirrung aufzuklären.

Wir stehen für „Netze in Nutzerhand“ und „Religion privatisieren“. Wir fordern endlich eine transparente und offene Verwaltung und nachvollziehbares Regierungshandeln ein. Das hat sich seit dem Einzug der Berliner Piratenfraktionen in das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen weder geändert, noch ist es heute weniger nötig als 2011. Im Gegenteil, das Parlament der Hauptstadt wird seit fast fünf Jahren kontinuierlich entmachtet und in seinen Kontrollmöglichkeiten behindert. Es ist kein Zufall, dass dort Untersuchungsausschüsse sprießen, wo eine transparentere Verwaltung und ein handlungsfähiges Parlament gemeinsam mit der Öffentlichkeit Skandale schon in der Entstehung hätten verhindern können. In einem Klima des Filzes und der Handlungsunfähigkeit empfinden wir es als Pflicht, politisch aktiv zu bleiben und zu werden und rufen dazu auf, sich mehr und nicht weniger in demokratische Prozesse und Diskurse einzubringen.

Für uns ist der freie Zugang zu Wissen und Informationen für alle eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Für uns sind Gleichstellung und ein diskriminierungsfreier Zugang zu Sicherheit, Wohlstand und individueller Entfaltung kein Versprechen für eine ferne politische Zukunft, sondern eine Frage der Notwendigkeit. Das Aufbegehren der „technologisierten Jugend“ gegen den Missbrauch von Technologie zur lückenlosen Überwachung aller Menschen ist zum Kampf vieler gesellschaftlicher Gruppen gegen den offen auftretenden Polizei- und Überwachungsstaat geworden. Wir brauchen ein Gesellschaftsbild, dass fundamental vom Status quo der Leistungs- und Segregationsgesellschaft abweicht und über den nächsten Wahltermin hinaus reicht. Die organisierte Linke – und damit auch die Partei DIE LINKE – entwickelt und diskutiert als einzige in Deutschland ein solches Gesellschaftsbild in unserem Sinne. Wir möchten dazu beitragen, diese politische Vision gemeinsam mit der Linken zu entwickeln. Wir haben uns dazu entschieden, DIE LINKE im Jahr 2016 und darüber hinaus kritisch und solidarisch zu unterstützen und so an einer solidarischen Alternative zum bürgerlichen Mainstream in Europa mitzuarbeiten.

Wir sehen uns.

Unterstützende

  • Gerhard Anger, ehem. Landesvorsitzender Piratenpartei Berlin
  • Monika Belz, Mitglied BVV Treptow-Köpenick
  • Leonard Bellersen, Generalsekretär Junge Pirat*innen
  • Benjamin Biel, ehem. Pressesprecher Piratenpartei Berlin
  • Stephan Bliedung, Mitglied BVV Pankow
  • Florian Bokor, ehem. Vorstand Piratenpartei Sachsen
  • Joachim Bokor, ehem. Justiziar Piratenpartei Deutschland
  • Frederik Bordfeld, Mitglied BVV Pankow
  • Marius J. Brey, ehem. Piratenpartei
  • Steffen Burger, Mitglied BVV Neukölln
  • Katja Dathe, ehem. Schatzmeisterin Piratenpartei Berlin
  • Martin Delius, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin
  • Konstanze Dobberke, ehem. Piratenpartei
  • Cornelius Engelmann-Strauß, Mitglied BVV Treptow-Köpenick
  • Anisa Fliegner, Sprecherin BAG Netzpolitik die LINKE
  • Marcel Geppert, Mitglied BVV Marzahn-Hellersdorf
  • Björn Glienke, Bürgerdeputierter Marzahn-Hellersdorf
  • Anne Helm, Mitglied BVV Neukölln
  • Oliver Höfinghoff, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin
  • Michael Karek, ehem. Vorstand Piratenpartei Berlin
  • Jan Kastner, ehem. Kandidat für die Piratenpartei Deutschland
  • Steven Kelz, Mitglied BVV Marzahn-Hellersdorf
  • Martin Kliehm, Stadtverordneter, Fraktion DIE LINKE. im Römer, Frankfurt am Main
  • Fabian Koleckar, ehem. Vorstand Junge Pirat*innen Berlin
  • Lasse Kosiol, Mitglied BVV Spandau
  • Matthias Koster, ehem. Vorstand Piratenpartei Trier
  • Andreas Krämer, ehem. Vorstand Piratenpartei Bremen
  • Peter Laskowski, Bundeskoordinierungskreis der Ema.Li
  • Hartmut Liebs, ehem. Piratenpartei
  • Steffen Ostehr, Mitglied BVV Marzahn-Hellersdorf
  • Julia Schramm, ehem. Bundesvorstand Piratenpartei Deutschland
  • Volker Schröder, Mitglied BVV Treptow-Köpenick
  • Daniel Schwerd, Mitglied des Landtages NRW
  • Dr. Benedict Ugarte Chacón, ehem. Piratenpartei
  • Dr. Simon Weiß, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin
  • Jan Zimmermann, ehem. Vorstand Piratenpartei Berlin
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