Merve Ayyildiz: „Sexismus ist Alltag von Frauen“

Kontext: Wortprotokoll über die 48. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, dem 28. Januar 2016 (16.02 Uhr bis 22:48 Uhr), TOP 7, Schwerpunktthema „Respekt. Stoppt Sexismus.“ weiterführen

Meine Fraktionskollegin und Genossin Merve Ayyildiz hielt heute in der Stadtverordnetenversammlung eine engagierte Rede zur Arbeit des Frauenreferats, zu Sexismus in der Gesellschaft und was das mit Übergriffen auf Frauen und Stimmungsmache gegen Geflüchtete zu tun hat.

Stadtverordnete Merve Ayyildiz, DIE LINKE. im Römer:

Sehr geehrter Stadtverordnetenvorsteher, meine Damen und Herren,

meine Fraktion und ich begrüßen den Antrag der Koalition zum Thema Sexismus, der die Arbeit des Frauenreferats mit dem Verein FEM wertzuschätzen weiß, indem er fordert, das Jahresthema 2015 auch in diesem Jahr weiterzuführen. Daher stimmen wir diesem auch zu. Wir unterstützen die Arbeit des Frauenreferats und das Online-Beratungsportal, das jungen Frauen eine Plattform bietet, um sich zu informieren, beraten zu lassen und geholfen zu fühlen.

Da die Koalition augenscheinlich durch die Vorfälle der Silvesternacht zu diesem Antrag bewegt wurde und diesen als Antwort auf die Geschehnisse auf den Weg gebracht hat, möchte ich einige Anmerkungen machen, die diesem überaus bedeutsamem Thema vielleicht gerechter werden können, als ein Beschluss zur Beibehaltung des Titels und ggf. weiteren Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit, ohne einen Vorschlag, wie diese aussehen sollen.

Wir alle sind weitestgehend über die Geschehnisse der Silvesternacht informiert. Wie konnte man dieser Informationsflut auch ausweichen, nachdem das Feindbild des vergewaltigenden, stehlenden Nordafrikaners medial ausgeschlachtet wurde? Alle werden nun zu vermeintlichen Frauenrechtlern und nehmen sich der Sache an. Doch Sexismus und sexuelle Übergriffe sind keine Frage der Herkunft, sie sind keine Frage der Panikmache gegenüber geflüchteten Menschen.

Sie sind Ausgeburt unserer übersexualisierten Gesellschaft und gleichzeitig bestehender, mangelhafter Gesetzeslage bei sexuellen Übergriffen. Also wer die durch Silvester losgebrochene Debatte nutzt, um auf Stimmenjagd bei Frauen zu gehen, und da bleibt einem nichts übrig als Richtung Konservative, Rechtspopulisten und Konsorten zu blicken, der solle sein immer wieder gepredigtes, hässliches Frauenbild doch erstmal laut aussprechen: Unterwürfig, unemanzipiert, sich dem Patriarchat der Gesellschaft beugend, die Gesellschaft mit Kindern nährend. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist sexistisch!

Wer die Geschehnisse nun dahingehend nutzt, Stimmung gegen Geflüchtete zu machen und sie unter Generalverdacht des Missbrauchs zu stellen, der, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist rassistisch!

(Beifall)

Rechtspopulisten werden sich immer auf aktuelle, brisante Themen stürzen und versuchen mit ihrer Kurzsichtigkeit politisches Kapital zu schlagen. Letztlich handeln sie nicht im Sinne der Frau, sobald es um die eigentliche politische Linie geht, ganz im Gegenteil, sie sind antifeministisch, gegen jede Form von Geschlechtergerechtigkeit und halten an antiken Rollenbildern fest. Letztlich bleiben sie rassistisch und frauenfeindlich.

Und dagegen, meine Damen und Herren, muss man sich vehement wehren und enttarnen, was dahinter steht! Da die etablierten Zeitungen dies nicht hinkriegen, die etablierten Parteien zu diesem Auswuchs rechts gesinnter Parteien viel zu wenig Stellung beziehen, werden wir dies immer wieder tun!

Als junge Frau muss ich loswerden, dass Frauen mit oder ohne Migrationshintergrund gleich beschissen behandelt werden von sexistischen Idioten mit oder ohne Migrationshintergrund.

(Beifall)

Doch nun zu einem anderen Aspekt: Wer kriminelle Handlungen begeht, der muss mit den Mitteln der Justiz bestraft werden. Dies gilt für alle, gleich welcher Herkunft. Also lassen wir diesen populistischen Quatsch doch endlich mal weg und konzentrieren uns auf das, worum es wirklich geht und nicht mehr auf das, wofür rechts Beifall geklatscht werden soll. Die Justiz zeigt eine riesige Grauzone zwischen einem Sexualdelikt und sogenannter Beleidigung auf. Irgendwo dazwischen befindet sich sexuelle Belästigung. Denn wer sexuell belästigt wird, dem wurde zu wenig angetan um den Tatbestand eines Sexualdelikts zu erfüllen und viel mehr, als bloß als Beleidigung zu gelten. In diesem Fall ist die Gesetzeslage mangelhaft und eine Zumutung für jedes Opfer sexueller Gewalt.

(Beifall)

Mit ein wenig Öffentlichkeitsarbeit ist die Symptombehandlung vielleicht getan, gelöst ist dadurch jedoch gar nichts. Diejenigen, die am politisch längeren Hebel sitzen, haben Strukturen zu schaffen, die eine Ungleichbehandlung und Ungleichstellung der Geschlechter in der Praxis unmöglich machen. Daher werden wir unsere Forderungen so lange wiederholen, bis die tauben Ohren wie durch ein Wunder etwas mitbekommen und es so verpacken, als sei es schon immer ihre Forderung gewesen. Mit Absagen eines Karnevalsumzugs durch Panik, gleiches wie an Silvester könne passieren, sendet man absolut falsche Signale in die Öffentlichkeit. Man schließt ja auch keine Clubs durch Vergehen wie solche, die Wochenende für Wochenende totgeschwiegen werden. Man sperrt keine Bahnhöfe, sobald die Dunkelheit einbricht. Man macht doch nicht das gesamte alltägliche Leben dicht, um Sexismus entgegenzuwirken. Und genau hier zeigt sich, wo wir schon lange angekommen sind.

Sexismus ist keine Randerscheinung, sondern Bestandteil des Alltags der Frauen. Wenn alle Geister durch Silvester nun wachgerüttelt sind, hier wirklich was zu verändern, dann bitteschön. Macht!

Lasst uns gemeinsam etwas machen, um mit diesem Tumor unserer Gesellschaft fertig zu werden. Lasst uns Frauen doch endlich bei gleicher Arbeit gleich entlohnen wie einen Mann.

(Beifall)

Lasst den Frauen die Option auf Führungspositionen, statt sie im Niedriglohnsektor für einen Hungerlohn abzuspeisen. Lasst sie sich kleiden, wie sie möchten, ohne sie für die Gewaltakte des Mannes verantwortlich zu machen. Lasst endlich Kinder ohne Mädchen/Jungs Rollen und ohne Begriffe wie Frauen-/Männerberufe aufwachsen. Doch heuchelt den Menschen nicht etwas vor, um nach der Wahl wieder in alte Klamotte zurück zu rudern.

Also vielen Dank an die Koalition für ein klein wenig Wertschätzung der Frauenarbeit in Frankfurt, doch wenn das alles sein soll, um auf Sexismus zu reagieren, dann kann man den Antrag nur als ein müdes Lächeln in die Gesichter aller Frauen verstehen. Denn das ist definitiv zu wenig.

(Beifall, Zurufe)

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