Haushaltsrede 2012

Hier das Wortprotokoll meiner Rede zur dritten Lesung des Haushaltsentwurfs 2012 in der Stadtverordnetenversammlung am 31.05.2012:

Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten:

Es ist schon ein bisschen spät geworden. Verzeihen Sie, wenn ich in den vergangenen Stunden etwas mürbe geredet wurde. Es ist schwierig, sich nach so langen Monologen noch zu konzentrieren. Ich möchte trotzdem auf den Haushalt eingehen.

Ich hatte den Eindruck, insbesondere bei Herrn Stock, dass er sich alles ein bisschen schönredet. Es wird gesagt, dass Sie anstreben, dass bis zum Jahr 2020 die Nettoneuverschuldung auf Null heruntergefahren wird. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag für die Jahre 2011 bis 2016 bereits festgehalten, dass die Nettoneuverschuldung am besten auf Null gesenkt werden soll. Jetzt haben Sie dies auf das Jahr 2020 ausgeweitet. Wer weiß, ob Sie bis dahin überhaupt noch in der Regierung sind. Sie haben Ihr eigenes Ziel bezüglich der Nettoneuverschuldung also schon verfehlt. Wir wissen, dass die Schulden in den nächsten Jahren um einiges steigen werden, ungefähr um zwei Milliarden Euro. Wir wissen, dass die verdeckten Schulden von den stadteigenen Betrieben auch noch einmal um einiges steigen, und dass wir heutzutage in Wahrheit nicht nur eine Milliarde Euro, sondern schon ungefähr 1,7 Milliarden Euro Schulden haben. Jetzt kommen noch einige Milliarden Euro dazu. Insgesamt kann ich die Art und Weise, wie dieser Haushalt entstanden ist, nur kritisieren. Ja, wir haben dieses Prozedere das erste Mal mitgemacht, aber es war extrem intransparent. Sie haben erst einmal eine eigene Haushaltskommission gegründet, die mehrere Monate getagt hat, und am Ende kam heraus, dass 14,4 Millionen Euro eingespart werden können. Sie tagen schon ein paar Monate, und dann kommen am Ende nur läppische 15 Millionen Euro Einsparpotenzial heraus. Da haben wir in zwei Wochen mehr geschafft.

(Zurufe)

Wir haben – da muss ich uns als Klassenprimus selbst loben &ndashM mit drei Personen in der Fraktion und zahlreicher Unterstützung von Freiwilligen insgesamt 19 Haushaltsanträge eingereicht, sehr viele davon mit einem Einsparpotenzial. Wir haben insgesamt ein Einsparpotenzial von 25 Millionen Euro, zusammengenommen aus Einmalausgaben und Mehrausgaben, wobei darin allerdings auch die Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes und die Bettensteuer von ungefähr 100 Millionen Euro enthalten sind.

Die Gewerbesteuereinnahmen steigen nach Aussagen des Deutschen Städtetages in diesem Jahr voraussichtlich um 5,4 Prozent, denn die Konjunktur steigt wieder an. Aber der Herr Kämmerer sagt in seiner schriftlichen Antwort auf unsere Frage in der Fragestunde, dass das für Frankfurt nicht zuträfe, denn die Unternehmen ziehen weiterhin weg. Wenn denn der Gewerbesteuerhebesatz so niedrig ist, damit die Unternehmen in Frankfurt bleiben, warum ziehen sie dann trotzdem weg? Da können wir sie auch gleich erhöhen, damit ist und bleibt die Deutsche Börse auch weiterhin in Eschborn. <ironie>Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass diese Strategie, die Gewerbesteuer niedrig zu halten, richtig gut funktioniert hat.</ironie>

Herr zu Löwenstein sprach von einem Schuldenabbau in den nächsten Jahren. Tut mir leid, davon kann ich leider in den Haushaltsanträgen und auch in den Vorlagen, in denen es darum geht, neue Schulden aufzunehmen oder alte Schulden abzulösen, nichts sehen. Ich sehe dort zum Teil Tilgungsraten von ein bis zwei Prozent jährlich. Das heißt, wir haben diese Schulden, die wir heute aufnehmen, erst in 50 bis 100 Jahren abgebaut. Ich sage Ihnen, dass das niemals geschehen wird. Herr Stock beschreibt es sehr schön, nämlich dass die Schuldensteigerung als Einstieg in die Konsolidierung gilt. So kann man es natürlich auch betrachten. Einstieg in die Konsolidierung, aber erst einmal machen wir noch zwei Milliarden Euro mehr Schulden. Von daher ist es wirklich sehr schöngeredet.

Wir haben insgesamt – ich sagte es bereits &ndashM einige Anträge gestellt, und es ist uns gelungen, die Bereiche Bildung, Kultur, Barrierefreiheit und Transparenz zu stärken, gleichzeitig aber auch eine Refinanzierung vorzuschlagen. Von daher teile ich die Formulierung von Herrn zu Löwenstein nicht, dass Ihre Vorschläge zum Haushalt alternativlos wären. Wir haben den Ansatz beispielsweise bei den Kindern gemacht. Frau Rinn – sie ist nicht mehr da &ndashM, wir schlagen nicht pauschal den kostenlosen ÖPNV vor, sondern wir fangen erst einmal bei den Kindergartenkindern und den Schülerinnen und Schülern an, denn wir haben sowieso etliche Bezuschussungen in diesem Bereich. Von daher ist dieser Batzen nicht mehr so groß. Wir haben neulich einen Magistratsbericht auf Antrag der SPD bekommen, worin geschrieben steht, dass es jährlich 4,6 Millionen Euro mehr kosten würde, wenn wir kostenfreie Mittagessen für sämtliche Schülerinnen und Schüler bereitstellen würden. Für Frankfurt sind 4,6 Millionen Euro Peanuts. Für dieses Geld baut Frankfurt vier Kunstrasenplätze. Wenn ich das ins Verhältnis setze, vier Kunstrasenplätze oder kostenfreie Mittagessen für alle Kinder, dann wüsste ich, wofür ich mich entscheide, aber Sie bauen lieber die Kunstrasenplätze.

(Beifall)

Ich fürchtete schon, dass uns einiges Verstecktes entgegenkommt, als ich in der Magistratsvorlage M 113, die kurzfristig vor ein paar Wochen vorgelegt wurde, las, dass Sie eine Reduktion des Standards bei Transferleistungen wünschen. Bei Transferleistungen handelt es sich zum Beispiel um ALG II. Jetzt, in der heute vorgelegten Tischvorlage muss ich in Anlage drei – also noch versteckter geht es eigentlich nicht mehr – lesen, dass der Bereich Wohnen, freiwillige Zuschüsse, um 4,8 Millionen Euro heruntergefahren wird. Das setze ich mal ins Verhältnis zu Transferleistungen wie ALG II, Wohngeld und dergleichen. Gleichzeitig haben Sie hoch und heilig versprochen, die Bereiche Bildung und Soziales werden nicht angetastet – „ich schwöre“, und jetzt lese ich in der heutigen Tischvorlage im Bereich Bildung von einem Minus von 22,7 Millionen Euro. Zum Beispiel streichen Sie die Zuschüsse für Kitas von Freien Trägern um zwei Millionen Euro. Im Bereich Schulen, Kitas und der Stadtbibliothek sparen Sie 15 Millionen Euro. Insgesamt macht das 22,7 Millionen Euro, die Sie im Bereich Bildung einsparen. Davon sind auch die Jugendhilfen und Betreuungsangebote betroffen, zum Beispiel die Ernst-Reuter-Schule II, in welcher wir jetzt per Gesetz auf einmal Inklusion verwirklicht haben. Dort wird der gemeinsame Unterricht abgeschafft und die Klassengröße von 21 auf 27 Kinder erhöht. Die Sonderpädagogen, die dort arbeiten, werden jetzt auf mehrere Schulen verteilt. Das ist Ihre Art und Weise, wie Sie eine soziale Haushaltskonsolidierung machen. Das muss ich stark ablehnen.

Als versteckten Bonus ist ferner enthalten, dass die freiwilligen Leistungen zusammengestrichen werden können. Herr Oesterling hat es vorhin gesagt, Sie haben eine Liste mit über 30 Seiten, die knapp 900 freiwillige Leistungen umfasst, und das betrifft alles. Dort sind Jugendarbeit, Unterstützung von Migranten, subventioniertes Schüleressen, Ganztagsschulen, Erwachsenenbildung, die Stadtbücherei, sämtliche in Frankfurt vorhandene Kultur, Theater, Zoo, die Schirn, der Mousonturm, Sporthallen und der ÖPNV, den Sie, wie wir gehört haben, auch nur mit 60 Millionen Euro bezuschussen, enthalten. Das ist alles auf der potenziellen Streichliste. Ich habe schon in einer der letzten Ausschusssitzungen gefragt, ob wir zu 900 potenziellen Streichpunkten Gegenanträge stellen sollen, nach dem Motto, bitte streicht diese 896 nicht. Da wurde mir gesagt, dass ich einfach Ihrem Wort vertrauen muss, dass Sie im Sozialbereich nicht so viel streichen werden. Einigen Stadtverordneten vertraue ich, dass sie dort keine sozialen Schweinereien machen, aber ich muss leider sagen, dass das nicht für alle Stadtverordnete gilt. Deswegen hätte ich es mir etwas konkreter gewünscht, insbesondere zum Zeitpunkt, als der Haushalt vorgelegt wurde, und nicht erst per Eilbeschluss vor wenigen Wochen und auch nicht erst heute, mit einem gefühlt 100 Seiten starken Pamphlet als Tischvorlage, in dem dann noch einmal versteckt Kürzungen im Bildungsbereich enthalten sind.

Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Ulrich Baier:

Herr Kliehm, einen Moment, bitte! Das Plenum ist außerordentlich unruhig, überall wird geredet. Dies ist der vorletzte Beitrag. Ich bitte Sie also etwas leiser zu sein oder hinaus zu gehen. Danke schön!

Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten: (fortfahrend)

Immerhin ist das Plenum wieder anwesend. Beim letzten Redner war die Hälfte des Plenums in der Kantine.

Damit komme ich zum Schluss. Mag sein, dass Sie das jedes Jahr so machen, aber für mich ist das mit dem Haushalt neu. Ich habe mir diesen Vorgang insgesamt transparenter, zeitnaher und vor Jahresende vorgestellt. Ich hatte mir vorgestellt, dass auch der Haushaltsplan näher aufgeschlüsselt ist und Ihre Streichungen, die mit kryptischen, zum Teil sehr allgemeinen Formeln beziffert sind, transparenter sind.

Als Letztes möchte ich anmerken – mir wurde gesagt, ich soll das in meiner Rede sagen: Wir möchten gerne den Etatantrag E 5 zum Stadthaus namentlich abstimmen lassen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall)

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