Modellregion für inklusive Schulentwicklung Frankfurt am Main

Zugehörige Vorlagen: Magistratsvortrag M 6/2014, Antrag NR 779/2014 (SPD), Antrag NR 786/2014 (SPD), Antrag NR 794/2014 (Piraten)

Kontext: Wortprotokoll über die 28. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, den 30. Januar 2014 (16.04 Uhr bis 0.44 Uhr), TOP 8

Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten:

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich möchte zunächst auf meine Vorrednerinnen und Vorredner eingehen. Herr Hübner, das kann ich leider nicht so stehen lassen. Sie haben Entwicklungsländer genannt, die in der Inklusion natürlich weit hinter unserem Wunderland Deutschland liegen würden. Das stimmt so leider nicht. Wenn Sie zum Beispiel Indien mit 1,2 Milliarden Einwohnern nehmen: Dort gibt es 21 Millionen Schwerbehinderte und 100 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Die indische Regierung kümmert sich seit vielen Jahren um Inklusion, mehr als das die deutsche Bundesregierung tun würde. Deutschland ist in einigen Dingen ein Entwicklungsland.

(Beifall)

Frau Sorge hat mich mit Zuversicht erfüllt – öfter einmal etwas Neues. Sie verpeilt den einen oder anderen Termin, sie verpeilt auch die eine oder andere Anmeldung zum Haushalt oder aber auch, die Stadtverordnetenversammlung bei gewissen Dingen zu fragen. Aber ich glaube, das mit der Inklusion hat sie wirklich verstanden. Was mir allerdings in der Vorlage M 6 fehlt, ist ein Konzept zur Überführung. Es wird gesagt, die Förderschulen sollen sukzessive umgewandelt werden, und am Ende soll eine inklusive Beschulung stehen. Aber der Weg dorthin ist keine Zauberei. Normalerweise funktioniert es so, dass die Förderschulen erst einmal in Förderzentren umgewandelt werden, sodass sie keine stationären Förderschulen mehr sind, sondern ambulant, ohne eigene Schülerinnen und Schüler, tätig sind. So steht es in unserem Antrag. Die Kinder werden an Regelschulen betreut. Dies wird in weiteren Schritten so lange fortgeführt, bis wir die Förderlehrer als Festpersonal an den Regelschulen haben. Genau das möchten wir. Wir möchten keine Parallelstrukturen, wie es bei der CDU noch angenommen wird. Parallelstrukturen lehnt auch der Magistrat in seinem Bericht B 276 aus dem Jahr 2012 als unwirtschaftlich ab. Wir möchten tatsächlich, dass allen Kindern und Jugendlichen, wie Sie auch sagen, ein diskriminierungsfreier Zugang zum allgemeinen Schulsystem bereitgestellt wird.

Herr Brillante hat schon gesagt, die UN-Behindertenrechtskonvention räumt den Eltern dabei kein Wahlrecht ein. Was die Eltern möchten, ist eine Wahlfreiheit bezüglich des Förderortes. Wenn Sie ihnen sagen, ihr könnt zwischen einer inklusiven Schule oder einer Förderschule wählen, aber ihnen nicht die Wahl lassen, in welche inklusive Schule die Kinder kommen – vielleicht in eine inklusive Schule am anderen Ende der Stadt, weil wir erst rund 20 Grundschulen mit inklusiver Beschulung haben –, dann ist damit weder den Eltern noch den Kindern geholfen. Es muss eine wohnortnahe Schule sein. Die Eltern und die Kinder haben ein Recht darauf, diese Schulen zu besuchen. Insofern ist es ein bisschen müßig zu sagen, ich möchte nicht, dass ein Kind vor der Tür einer Förderschule steht, wenn es dort hinein möchte. Wir müssen das Gegenteil machen. Wir müssen alle Schulen soweit mit notwendigem Personal und räumlichen Voraussetzungen ausstatten, dass sie in der Lage sind, Kinder mit Behinderungen dort aufnehmen zu können. Es darf keine Schranke mehr bei der Frage geben, welche Behinderungen diese Kinder haben.

Wir sehen es an den Rückschulquoten. Frankfurt hat bei Rückschulungen von Förderschulen auf Regelschulen eine Quote von 2,61 Prozent. Würden wir, wie Herr Stock vorhin gesagt hat, nur drei Prozent an Förderschulen behalten, dann wäre das schon eine Leistung. Momentan haben nur knapp drei Prozent eine Chance, überhaupt jemals von den Förderschulen wieder wegzukommen. Aus der Erziehungshilfe waren es fast zehn Prozent, die rückgeschult wurden. Gratulation. Bei der Lernhilfe waren es knapp zwei Prozent. Hingegen war es nur ein sehbehindertes Kind, keine körperbehinderten und keine hörgeschädigten Kinder. Wir leben nun einmal im 21. Jahrhundert. Heutzutage gibt es im Gegensatz zu der Zeit vor 20 Jahren Open Sources und Screenreader sowie die Möglichkeit, für blinde Kinder die Braille-Tastatur anzuschaffen. Die Schulen müssen sich darauf einstellen, alle Kinder aufnehmen zu können.

Frau Sorge hat die Thematik auch angesprochen: Natürlich brauchen wir dafür auch Personal. Seit 2007 steht die Problematik im Raum, seit 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Ich frage mich, ob das Land Hessen in dieser Zeit Förderlehrerinnen und Förderlehrer ausgebildet hat. Wo sind sie denn? Jetzt haben wir einen Personalengpass. Genauso kostet das Ganze natürlich auch Geld. Ich hoffe also, Sie können mit dem Land Hessen aushandeln, dass entsprechend Gelder bereitgestellt werden. Vielleicht können Sie im Zuge der barrierefreien Sanierung der Schulen auch die eine oder andere grundlegende Sanierung druntermogeln. Wir brauchen aber auch Geld für andere Kräfte, zum Beispiel für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen an den Schulen, die momentan in einem Nirvana sind. Das Land Hessen möchte sie nicht richtig bezahlen, die Stadt Frankfurt hat noch ein paar alte Regelungen, aber so richtig geregelt ist es noch nicht. Wir brauchen auch Sonderpädagogik an Schulen.

Frau Lang hat es eben gesagt: Inklusion ist erst dann endgültig gelungen, wenn es keine Förderschulen mehr gibt. Wir können nicht sagen, wir machen ein bisschen Inklusion und warten ab, und irgendwann schaffen wir dann auch die Förderschulen ab. Nein, es muss unser erklärtes Ziel sein, und dafür muss es ein Konzept geben, diese Förderschulen langsam auslaufen zu lassen. Selbstverständlich gibt es dagegen Widerstand in den Schulen. Herr Brillante und ich waren selbst einmal an einer Förderschule und haben mit der Direktorin gesprochen. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass sich dort irgendetwas ändern wird, bis die Direktorin in Rente ist. Ich glaube, auch da muss ein Paradigmenwechsel und teilweise auch ein Generationenwechsel stattfinden. Aber es führt kein Weg daran vorbei. Mich würde es sehr stark interessieren, wie Ihre Konzeption aussieht, um dorthin zu gelangen.

Vielen Dank!

(Beifall)

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