Zugehörige Vorlagen: M 181, NR 393 (Piraten), NR 396 (Linke) und NR 400/2012 (SPD)
Kontext: Wortprotokoll über die 15. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, dem 11.10.2011 (16.02 Uhr bis 23.26 Uhr), TOP 3, Aktuelle Stunde, sowie TOP 8, Lehren aus dem Brücken-Desaster: Keine PPP-Projekte mehr in Frankfurt und TOP 1 im nicht-öffentlichen Teil, Mietvertrag IGS West
Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten
Sehr geehrter Herr Baier,
liebe Stadtverordneten!
Ich bin geneigt, hier den Gernot Hassknecht zu machen, denn es geht auf keine Hutschnur. Ich komme mir für dumm verkauft vor, allein wegen dieser Fantasienamen, die sich der Magistrat in den letzten Jahren für PPP‑Projekte ausdachte. Mal ist es ein Mietkaufvertrag, dann ist es ein Leasingmodell, und jetzt ist es ein „Mietvertrag mit Bauerrichtungs- und Betriebsverpflichtung“. Sie denken sich permanent neue Sachen aus. Klar ist aber letzten Endes per Definition: Ein PPP‑Projekt ist etwas, wo Planung, Finanzierung, Bau, Betrieb und Unterhaltung eines Gebäudes von einem externen Privaten betrieben wird, und genau das trifft auf die IGS West zu.
Davon abgesehen trifft es auch auf viele andere Sachen zu, die uns im Magistratsbericht vom letzten Jahr, als die LINKE gefragt hat, welche PPP‑Projekte gerade laufen und welche Kosten dort entstehen, vorenthalten wurden. Dort wurden der Borgori-Wald, die vier Schulen und das BiKuZ genannt, und dann hört es auf. Nicht genannt wurden zum Beispiel das Grünflächenamt in der Adam-Riese-Straße, das Rechenzentrum in der Zanderstraße, das Gesundheitsamt in der Breite Gasse, die Stadtbücherei in der Hasengasse oder auch das Ordnungsamt in der Kleyerstraße, wo zwar auch kein Ankauf nach 20 Jahren vorgesehen ist, aber auch dort wird der Mietbetrag forfaitiert, und es ist eine Vermietung auf die nächsten 20 Jahre vorgesehen. Allein das Ordnungsamt kostet uns 3,6 Millionen Euro Miete pro Jahr. Das macht 72 Millionen Euro in den nächsten 20 Jahren. Für diesen Betrag hätten Sie zwei Ordnungsämter bauen können.
In diesem Fall hat der Magistrat eine Ausschreibung für dieses Projekt vorgenommen, das uns nach Pressemitteilungen in den nächsten 30 Jahre 67,5 Millionen Euro kosten wird. Dazu hatte er kein Mandat von der Stadtverordnetenversammlung. Es ist auch eine Farce, dass wir heute Nacht irgendwann im nicht öffentlichen Teil über dieses Projekt reden werden. Die Öffentlichkeit und die Presse sind dann ausgeschlossen und das bei einem Schulprojekt, um das sich Eltern und Schüler sowie die gesamte Höchster Bevölkerung seit Jahren sorgen. Der Magistrat drückt das jetzt durch und muss die SPD dazu zwingen, Kröten zu schlucken, weil die genau weiß, dass die Eltern und Schüler es der SPD zu Recht ankreiden werden, …
Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Ulrich Baier
Kommen Sie bitte zum Ende.
Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten:
(fortfahrend)
… wenn sie den Bau der IGS West jetzt wieder verzögert und die Schüler weiterhin in Containern hausen müssen.
Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Ulrich Baier
Kommen Sie bitte zum Ende.
Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten
(fortfahrend)
Ja. Dieser gesamte Prozess ist höchst intransparent.
(Beifall)
[…]
Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Ulrich Baier
Als nächster Redner hat Herr Kliehm das Wort, ihm folgt Herr Oesterling und danach Frau Rinn. Bitte schön, Herr Kliehm!
Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten
Frau Sorge sagte gerade, dass dieses Projekt wesentlich transparenter wäre als jegliche andere Ausschreibung. Das möchte ich bestreiten, denn uns fehlen nach wie vor wesentliche Unterlagen, um eine informierte Entscheidung zu treffen. Es geht hier nicht um irgendwelche sonstigen Projekte, es geht um 67,5 Millionen Euro und eine Bindung für die nächsten 30 Jahre. Es ist nun einmal so, dass wir nicht absehen können, was sich in den nächsten 30 Jahren entwickelt. Wir haben zum Beispiel keinen Schulentwicklungsplan, der Inklusion beinhaltet. Wir wissen nicht, wie sich in 20 Jahren die Bevölkerungszahl entwickeln wird. Wir wissen nicht, ob es weiterhin mehr Frankfurter werden, oder ob in 25 Jahren wieder eine Stadtflucht einsetzt. In dem Moment, in dem wir ein Objekt anders nutzen möchten, ist das nicht mehr im vertraglich festgelegten Nutzungsprofil enthalten und kostet extra.
Zusatzkosten sind das eine. Sie haben den Preis genannt, den 27,3 Millionen Euro, jetzt kann ich es sagen, stehen 28,9 Millionen Euro gegenüber, die in einem internen Papier der Kämmerei festgelegt wurden, aber nicht in einem offiziellen Wirtschaftlichkeitsvergleich, wie das hessische Gesetze fordern. Was Sie da vergessen haben ist, dass die Stadt Frankfurt natürlich wesentlich günstigere Zinsen bekommt als ein privater Investor, auch mit Forfaitierung.
Was Sie auch vergessen haben ist, dass die Kosten in Höhe von 27,3 Millionen Euro noch nicht vollständig sind, denn der Anbieter hatte ein Bieterbudget, worin Zusatzkosten wie WLAN-Server, digitale Whiteboards, Vitrinen, Turngeräte und auch Ihr Anti-Terror-System nicht enthalten sind. Diese kommen noch dazu. Wir wissen nicht, was es kosten wird.
(Zurufe)
Wir hatten keine Anlagen zu dem Leistungspaket des Baus und zu dem Betrieb. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie groß die Schulkantine ist, und Sie sagen, dass alles so gut läuft, Herr zu Löwenstein. Ich war neulich in der Freiherr-vom-Stein-Schule. Die Kantine ist so winzig, dass nicht einmal die Hälfte der Schüler, das sind 500, in drei Schichten zu je 150 Schülern hineinpasst.
(Zurufe)
Das heißt, da wir den Vertrag nicht kennen, wissen wir nicht, ob die Kantine der IGS West groß genug sein wird. Wir wissen, dass die Größe des Schulhofs bei der Freiherr-vom-Stein-Schule als PPP-Schule winzig ist, dass sie für 1.000 Schüler dort nicht ausreicht. Wir wissen, dass in der IGS West, aber auch nur, wenn wir die Zusatzfragen kennen, zehn bis zwölf Quadratmeter pro Schüler zugestanden wurden, aber nicht, ob das in dem finalen Vertrag gelandet ist. Wir wissen, dass bei der Freiherr-vom-Stein-Schule mittwochs das Toilettenpapier aufgebraucht war und erst wieder nachgefordert werden musste.
(Zurufe)
Ja, das ist ein Problem von PPP.
(Zurufe)
Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Ulrich Baier
Kommen Sie bitte zum Ende.
Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten
(fortfahrend)
Letztlich fehlt der Wirtschaftlichkeitsvergleich. Das Revisionsamt wurde nicht informiert.
(Zurufe)
[…]
Das Wortprotokoll der eigenen Rede im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung geben wir hier gemäß § 24 (1) HGO wieder, da sie nur „Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen“ behandeln.
Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Lothar Stapf
Meine Damen und Herren, ich eröffne den nicht öffentlichen Teil der Sitzung. Ich stelle fest, dass die Außenlautsprecherübertragung abgeschaltet und im Saal die Vertraulichkeit hergestellt ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1., Mietvertrag IGS West, auf. Zu diesem Thema behandeln wir die Vorlagen M 181 des Magistrats, NR 393 der Piraten-Fraktion sowie NR 400 der SPD-Fraktion. Die Piraten-Fraktion hat als erste den Antrag zur Tagesordnung I gestellt.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die LINKE-Fraktion zusammen mit Herrn Förster namentliche Abstimmung zur Vorlage M 181 beantragt hat.
Die erste Wortmeldung kommt von Herrn Stadtverordneten Kliehm. Bitte!
Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten
Ich werde mich kurzfassen. Ich habe heute schon viel gesagt. Ich wollte nur noch einmal auf einiges eingehen, was Manuel Stock vorhin gesagt hat. Er sagte, nicht alles, was auf gelbem Papier steht, ist PPP. Dem kann ich zustimmen. Wir haben in unserem Antrag NR 393 auch die Definition von PPP beschrieben, wie sie der Leitfaden „Wirtschaftlichkeitsuntersuchung bei PPP-Projekten“ definiert hat. Darin steht: PPP im engeren Sinne „umfasst als ganzheitliches Modell Planung, Finanzierung, Bau oder Sanierung und Betrieb, gegebenenfalls auch die Verwertung öffentlicher Hochbau- und Infrastruktureinrichtungen durch Private“. Das steht fast wortwörtlich in der Präambel des sogenannten Mietvertrages. Dort ist auch die Rede von Planung, Finanzierung, Bau, Betrieb und Sanierung. Wie Sie es auch nennen möchten, per Definition ist es ein PPP-Projekt. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Auf der anderen Seite ist nicht alles, was auf gelbem Papier steht, gleichzeitig auch vertraulich.
(Zurufe)
Ich war etwas überrascht, dass unser eigener Antrag, der nur Sachen beinhaltet oder wiedergibt, die entweder öffentlich sind oder schon vor einer Woche in der Zeitung standen, hier als vertraulich eingestuft wurde. Diese Meinung kann ich einfach nicht teilen, weil alles schon öffentlich ist, was wir dort gesagt haben. Wir haben der Neuen Presse nicht die Untersuchung des Revisionsamtes weitergegeben, das möchte ich dabei einmal betonen. Anscheinend gibt es noch andere Personen im Hause, die Interesse an Transparenz haben. Ich möchte auch widersprechen, wir haben erstaunlicherweise den Mietvertrag diesmal gesehen, Herr Stock.
(Zurufe)
Den „Mietvertrag“ haben wir bekommen. Das fand ich ein positives Signal. Aber im Mietvertrag sind in § 2 viele Anlagen inklusive Unteranlagen aufgeführt, die wir nicht kennen, unter anderem die Leistungsbeschreibungen. Die sind doch essenziell für ein solches Projekt, die kennen wir nicht, und deswegen können wir auch nicht informiert darüber abstimmen, wie der Magistrat das gerne möchte. Sie haben sehr gut die Empfehlungen des Lobbyvereins für PPP befolgt, der in seinem Papier Pro und Kontra-Argumentationshilfen für PPP gibt.
(Zurufe)
„Werden sie emotional“, das hat Frau Sorge vorhin mit der Heraufbeschwörung der armen IGS-Schüler vielleicht intuitiv richtig gemacht, die wir jetzt jahrelang in Containern sehen würden. Das möchten wir nicht, wir möchten, dass die IGS West eine schöne Heimat bekommt, aber eben nicht so finanziert. Außerdem steht dort „betonen Sie Einzelfälle“. Das haben wir heute auch gehört. Meines Erachtens ist das bei PPP-Projekten systemimmanent und es sind eben nicht Einzelfälle, die sich am Ende als schön gerechnet und eben doch nicht so wirtschaftlich, wie die Beratungsfirmen das gerne darstellen möchte, erweisen.
Womit wir zu dem letzten Punkt von mir kommen. Wem Sie eher folgen sollten, als den Empfehlungen der Lobbyisten, sind die Empfehlungen der Rechnungshöfe. Die Rechnungshöfe der Länder und des Bundes haben auch eine Empfehlung zu PPP abgegeben, sie sehen das Ganze sehr kritisch. Unter anderem steht dort – da stehen viele schlaue Sachen drin –, dass die Beratungsleistungen zu PPP ebenfalls ausgeschrieben werden sollen. Das ist nämlich ein Problem. Es kommen immer irgendwelche Beratungsfirmen, die Institutionen, wie in diesem Fall das Stadtschulamt, die das nun auch nicht jeden Tag machen, beraten und die auf einmal sagen, wie toll doch PPP ist. Wenn man dies ausschreibt, hat man wenigstens einigermaßen die Chance, eine substanzielle und seriöse Beratung zu bekommen und nicht in die Fänge von irgendwelchen ehemaligen Wirtschaftsministern zu gelangen, die nun PPP durchdrücken möchten, zum Nachteil unserer Stadt.
Das war’s. Ich möchte Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen, aber das machen Sie ja sowieso nicht.
Vielen Dank und einen schönen Abend!
(Heiterkeit)