Freihandelsabkommen TTIP stoppen

Zugehörige Vorlagen: Antrag NR 822/2014 (Linke)

Kontext: Wortprotokoll über die 32. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, den 26. Juni 2014 (16.01 Uhr bis 0.02 Uhr), TOP 10, Freihandelsabkommen TTIP stoppen – Kommunale Daseinsvorsorge schützen

Stadtverordneter Martin Kliehm, ELF Piraten:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir haben hier den Antrag der LINKEN zu dem Freihandelsabkommen TTIP auf die Tagesordnung gesetzt, weil Sie, insbesondere die Koalition, den Antrag im Ausschuss mit dem Verweis auf die großartigen Leistungen Ihrer Koalition im Hessischen Landtag abgelehnt haben. Ich habe mir deshalb den Koalitionsbeschluss angesehen und muss sagen, er strotz vor Naivität. Schauen Sie sich einmal an, was dort gefordert wird: „die größtmögliche Transparenz“, und es wird gesagt, dass die Unterlagen, die die Generaldirektion momentan schon zur Verfügung gestellt hat, eine wichtige Grundlage seien. Haben Sie sich diese Unterlagen einmal angesehen? Das sind Hochglanzbroschüren, die allerdings keineswegs irgendwelche Inhalte haben. Das sind Websites und Twitter-Accounts, die eine Information simulieren, die aber inhaltsarm sind und überhaupt keine Information liefern, was überhaupt das Verhandlungsmandat ist. Das Verhandlungsmandat ist inzwischen geleakt und wurde auf der Website des GRÜNEN Europaabgeordneten Sven Giegold veröffentlicht. Ich empfehle Ihnen sehr stark, da einmal reinzuschauen. Die eigentlichen Verhandlungen sind alles andere als transparent. Die eigentlichen Verhandlungen sind auf Geheimhaltung eingestuft, und auch noch vier Jahre nach Ende der Verhandlungen ist dieses Material geheim zu halten.

Das ist also Ihre größtmögliche Transparenz, die Sie dort einfordern. Außerdem besagte Ihr Landtagsbeschluss: Europäische Schutzstandards sind nicht verhandelbar. Das ist in der Theorie ganz nett, aber wenn Sie sich das einmal im Detail ansehen, dann ist das, was am Verhandlungsmandat bisher durchgedrungen ist, alles andere, als die Schutzstandards zu schützen.

Sie sehen bei diesem Freihandelsabkommen, dass der Wettbewerb als Selbstzweck gehandelt wird. Das ist Turbokapitalismus in Reinform. Der Wettbewerb und das Wachstum sind dort zu Ihrem Götzen geworden, und soziale und ökologische Interessen sind zweitrangig oder im Zweifelsfall sogar ein Handelshemmnis.

Ich sage Ihnen einmal, was solche Handelshemmnisse sind. Mindestlohn ist beispielsweise ein Handelshemmnis, das Frackingverbot ist ein Handelshemmnis, der Atomausstieg, wie ihn die Bundesregierung jetzt durchgesetzt hat, ist auch ein Handelshemmnis. Warum möchte denn überhaupt die deutsche Wirtschaft, und nicht nur diese, dieses Freihandelsabkommen? In einem Gutachten der Europäischen Kommission wird optimistisch von einer Steigerung des Bruttoinlandsproduktes der Europäischen Union von insgesamt 0,5 Prozent gesprochen. 40 Prozent Steigerung werden im Automobilsektor erwartet, im Landwirtschaftsbereich hingegen nur 0,06 Prozent. Sie sehen, wer die Profiteure von diesem Handelsabkommen sind.

Warum betrifft dies auch das Kommunalparlament? Ich werde es Ihnen sagen. Die öffentliche Daseinsvorsorge ist nämlich von dem Verhandlungsmandat nicht ausgenommen. Inzwischen sind überall in der Daseinsvorsorge private Unternehmen tätig geworden, die in Wettbewerb zu anderen Unternehmen treten. Das heißt also, dass dies im Zweifelsfall etwas ist, was in Zukunft frei ausgeschrieben werden muss. Die Stadtwerke, die Bahn, die Post, die Bildung, die Gesundheit, die Kranken- und Rentenversicherungen oder auch all das, was Sie so gern mit PPP bauen wollen wie Brücken, Straßen oder Schulen, treten in Konkurrenz zu anderen Dingen und das heißt, dass das in Zukunft von TTIP betroffen ist.

Liberalisierungsausnahmen sollen im Rahmen von TTIP angegangen werden. Liberalisierungsausnahmen sind zum Beispiel das EU-Beschaffungswesen, in welchem gerade unter Beteiligung der Gewerkschaften durchgesetzt wurde, dass die Wasserversorgung oder auch die öffentliche Ausschreibungen ausgenommen sind. Denn beispielsweise Tariflöhne oder Umweltstandards in öffentlichen Ausschreibungen zu fordern, sind keineswegs Dinge, die der Liberalisierung anheimfallen sollten.

Anders als bei bisherigen Verhandlungsmandaten gibt es keine Positivliste, was alles verhandelt werden soll, sondern nur eine Negativliste. Das bedeutet, es steht zunächst erst einmal alles zur Disposition. Jetzt gab es manch schlaue Leute, wie aus der französischen Regierung, die gesagt haben, dass die französische Filmindustrie davon nicht betroffen werden soll. Das heißt also, im Kultursektor sind audiovisuelle Dienste explizit von dem Verhandlungsmandat ausgenommen, aber der ganze restliche Kultursektor ist es nicht.

Ebenfalls wird in Ihrem Landtagsbeschluss gesagt, dass es diese Investor-State Dispute Settlements, also diese außergerichtlichen Verhandlungsräume, wo zu 70 Prozent die Unternehmen gewinnen, nicht geben soll, da die Regierungsorganisationen meistens das Nachsehen haben. Es soll stattdessen ordentliche Gerichte geben. Dies [ISDS] ist eine der Grundlagen von diesem Freihandelsabkommen, und nicht nur von diesem, sondern von vielen anderen weltweit auch. Parallel werden CETA mit Kanada oder TPP, das transpazifische Freihandelsabkommen, verhandelt.

Nicht zu verachten ist auch das Trade in Services Agreement, das derzeit Dienstleistungen weltweit als Nachfolge der GATS-Abkommen der WTO neu verhandelt. Jetzt werden Sie sagen, dass das alles irgendwie Weltpolitik und Europapolitik ist, und warum das denn uns betrifft. Die Kommunalpolitik, und das können Sie auf der Website der SPD zum Beispiel sehr gut nachlesen, ist da in vielfältigen Bereichen betroffen. Zum Beispiel bei den Umweltauflagen, die wir erstellen, sind wir davon betroffen, oder bei den Arbeitnehmerrechten, oder bei dem Verbraucherschutz, oder auch bei Ausschreibungen, wenn wir dort reinschreiben, dass es Tariflöhne geben soll, oder bei den Umweltstandards, oder wenn etwas kommunal vergeben werden soll, dann steht das durch TTIP zur Disposition. Die Energie- und Klimapolitik, die Stadtwerke, die Wasserversorgung und auch die Förderung von regionaler Versorgung und regionalen Produkten können ein Handelshemmnis darstellen, denn dann können amerikanische Unternehmen mit ihrer industriellen Landwirtschaft nicht mehr ihre Produkte auf den Markt bringen, wenn wir nämlich sagen, dass die Schulen ihr Mittagessen aber bitte aus regionaler Versorgung bekommen sollen. Auch die Subventionierung von Bildung und Kultur steht dort zu Disposition.

Sie schütteln den Kopf, warum glauben Sie denn, dass zum Beispiel der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gegen TTIP ist? Weil die Buchpreisbindung beispielsweise auch aufgehoben werden soll, denn die Buchpreisbindung ist ein Handelshemmnis für amerikanische Verlage, die auf den europäischen Markt drängen wollen. Unsere Kulturförderung, wie wir sie in Europa kennen, gibt es in den USA nicht. Und wenn es um eine Liberalisierung und eine Marktzugänglichkeit geht, dann heißt es im Zweifelsfall, dass Standards nach unten abgesenkt werden. Für die Stadt bedeutet dies, dass unsere Förderung der VHS, der Theater, der Museen und der Freien Schulen zur Disposition steht. Unser öffentlicher Personennahverkehr wird von der Stadt subventioniert, das gibt es in den USA nicht so oft. Das heißt, auch hier wird eine Privatisierung im Raum stehen.

Ein Handelshemmnis sind auch die langen Genehmigungsverfahren, die es hier gibt. Eine Beschleunigung ist gefordert. Das heißt im Endeffekt, diese ganze Bürgerbeteiligung, die wir uns die letzten Jahre aufgebaut haben, ist damit in Gefahr. Unsere Planungs- und Gestaltungshoheit, die Auflagen, die Bebauungspläne, kommunalen Satzungen und unser Einzelhandelskonzept sind Marktbeschränkungen und damit in diesem kapitalistischen TTIP-System nicht vorgesehen.

Die bäuerliche Landwirtschaft im Vergleich zu der amerikanischen industriellen Landwirtschaft hatte ich gerade schon genannt. Das heißt also, dass wir in sehr vielen Bereichen in Frankfurt davon betroffen sind. Es wird eine Zunahme von Niedriglohnjobs im Dienstleistungsbereich geben, und trotzdem hat die Koalition es abgelehnt. Sprechen Sie einmal mit Ihren Europaabgeordneten oder, Sie müssen nicht einmal so weit gehen, sprechen Sie mit Ihren Kollegen im Marburger Stadtparlament. Dort wurde nämlich ein sehr ähnlicher Antrag fraktionsübergreifend von SPD, GRÜNEN, LINKEN und Piraten angenommen, die damit TTIP verurteilen und damit aussagen, dass diese Geheimverhandlungen zu nichts führen werden und abgebrochen werden müssen. Aber nein, in Frankfurt können Sie das nicht machen, denn dort haben CDU und GRÜNE nicht die Interessen der Bürger, sondern nur der Wirtschaft im Auge, und ich sage es noch einmal: Wettbewerb als Selbstzweck. Deswegen ist es wichtig, dass wir für den Antrag der LINKEN. stimmen. Vielen Dank!

(Beifall)

[…]

Stadtverordneter Martin Kliehm, ELF Piraten:

Ich habe noch ein paar Minuten von Frau Ditfurth. Herr Vielhauer, Sie sagten nicht um den Preis von Geheimverhandlungen, aber wie gesagt, das ist total naiv, denn die Parlamentarier sind nicht einbezogen in diese Verhandlungen, anders als die Bertelsmann Stiftung, deren Bertelsmanntochter arvato AG kürzlich in Würzburg versucht hat, die kompletten kommunalen Dienstleistungen zu übernehmen. Da sehen Sie einmal, wer daran beteiligt ist und wer nicht.

(Beifall)

Genau das hat die LINKE erkannt. Deswegen hat sie nämlich einen eigenen Antrag im Landtag gestellt, genauso wie die SPD übrigens, der viel weiter ging als das, was CDU und GRÜNE dort als Kompromiss ausgehandelt haben. Die LINKE hat erkannt, dass diese gesamten Geheimverhandlungen zu nichts führen, und deswegen hat sie diese abgelehnt. Das ist auch der Grund, weswegen wir denken, dass bei TTIP nichts Gutes rauskommen kann.

(Beifall)

Wir erwarten nicht, dass jetzt auf einmal die vollkommene Transparenz herrscht. Die Verhandlungsmandate sind zwar gerade geleakt, aber die eigentlichen Verhandlungsdokumente stehen nicht zur Verfügung. Die stehen über 700 Lobbyverbänden zur Verfügung, aber nicht den Parlamentariern. Das heißt, was wir dort sehen, sind vorparlamentarische Entscheidungen, die allerdings nicht im Parlament behandelt werden, und es sind ferner auch bestimmte Dinge ausgenommen. Bei den berühmten Chlorhühnchen wird gesagt, dass sie nicht in diesem Verhandlungsmandat drin sein werden, sondern dass sie nachträglich außerparlamentarisch wieder von Delegationen verhandelt werden können. Das ist also nicht das, wo Sie gesagt haben, Sie machen es nicht um den Preis von Geheimverhandlungen.

Wollen wir jetzt noch eine Sondersitzung des Ältestenausschusses? Ich bin fertig. Vielen Dank!

(Beifall)

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