Kontext: Wortprotokoll über die 9. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Donnerstag, den 15. Dezember 2016 (16.00 Uhr bis 21:43 Uhr), TOP 7, Keine Kinderehen in Frankfurt
Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren!
Wir als LINKE. lehnen beide Anträge ab, denn es sind beides populistische Anträge. Herr Amann hat es zum Teil schon begründet und ich sage Ihnen auch warum.
Die AfD sagt in ihrem Antrag, der Magistrat möge die Behörden anweisen, im Ausland geschlossene Ehen grundsätzlich nur anzuerkennen, wenn sie, wie wir gehört haben, der deutschen Rechtslage entsprechen, also sprich entweder zwischen Erwachsenen geschlossen werden oder nach gerichtlicher Prüfung, wenn die Ehe zwischen einer erwachsenen Person und einer über 16-jährigen Person geschlossen wird. Die AfD behauptet, dass Eheschließungen mit minderjährigen Partnerinnen in islamischen Ländern nicht unüblich und teilweise nach dem jeweiligen Landesrecht auch zulässig seien. Darüber hinaus zitiert sie den Rechtsaußen von der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt: Grundsätze unserer Gesellschaft sind in Gefahr.
Wenn Rainer Wendt zitiert wird, muss man immer hellhörig werden. Zu guter Letzt setzt die AfD Ehen mit Minderjährigen grundsätzlich mit Zwangsehen gleich.
Die FDP hat das in ihrem Antrag ganz leicht umformuliert. Aus der Anweisung des Magistrats wird eine Vorgabe und immerhin – das muss ich Ihnen zugestehen – Sie fordern eine Prüfung im Einzelfall statt eines pauschalen Verbotes. Sie erwähnen außerdem den Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, gegen den ordre public, der, wie Sie gesagt haben, regelmäßig bei Zwangsehen und auch regelmäßig bei Ehen mit unter 14-Jährigen gegeben ist. Das ist in Deutschland schon die aktuelle Rechtslage.
Aber nicht nur AfD und FDP haben uns diese Anträge beschert, das Ganze wurde erst mehrheitsfähig, indem die CDU-Innenminister in der Innenministerkonferenz Heiko Maas von der SPD vor sich hergetrieben haben. Ich muss Ihnen einmal sagen, ich dachte, die SPD hat in der Bundesinnenministerkonferenz die Mehrheit. Mit Berlin hat die SPD jetzt neun Sitze in der Bundesinnenministerkonferenz inne, CDU und CSU hingegen nur sieben. Trotzdem lassen Sie sich von der CDU die Themen diktieren.
Heiko Maas ist nicht weniger populistisch, indem er ein pauschales Verbot fordert, und er möchte auf keinen Fall Anreize schaffen, dass solche Ehen geschlossen werden. Heiko Maas, wenn Sie dieses Protokoll lesen: diese Ehen sind bereits geschlossen, wir schaffen keine Anreize. Er sagte außerdem, was Rainer Wendt auch sagt: Zwangsehen dürfen wir nicht dulden.
Noch einmal zur Erinnerung: Zwangsehen sind in Deutschland ohnehin verboten.
Jetzt leben wir aber in einer postfaktischen Zeit. Die AfD, die CDU-Innenminister und Heiko Maas können sagen, was sie möchten, Hauptsache es steht am nächsten Tag in der BILD-Zeitung. Deswegen ist es gut und wichtig, dass wir hier Fakten entgegenstellen, wie es auch einige der Kolleginnen und Kollegen schon getan haben. Ich empfehle Ihnen übrigens dazu die Lektüre des Papiers des Deutschen Instituts für Menschenrechte, das betreibt sehr viel Aufklärung.
Die Zahlen wurden schon genannt. Wir haben zum Stichtag 31. Juli 2016 1.475 minderjährige ausländische Staatsangehörige, die in Deutschland leben und verheiratet waren. Um es einmal ins Verhältnis zu setzen: 78 Prozent davon sind Mädchen, 22 Prozent sind Jungen. Es sind nicht nur Mädchen. 24 Prozent von den insgesamt 1.475 sind unter 14 Jahren, nämlich 361 Personen. Das haben wir gehört. Acht Prozent sind 14 bis 15 Jahre alt, das sind 120 Personen. 68 Prozent von ihnen, nämlich 994 Personen, sind 16 bis 18 Jahre alt. Ich glaube, wir reden vor allem von den unter 14-Jährigen, das sind 24 Prozent.
Jetzt müssen wir einmal sehen: die AfD entdeckt außer dem Feminismus auf einmal auch die Schutzbedürftigkeit von den minderjährigen Geflüchteten. Das ist die gleiche AfD, die vor ein paar Monaten noch auf minderjährige Geflüchtete und Frauen und Kinder an der deutschen Grenze schießen lassen wollte. Das müssen wir uns einmal vor Augen führen.
Sie behaupten dann, es sei in islamischen Ländern nicht unüblich und nach dem Landesgesetz zulässig, dass dort Minderjährige heiraten würden. Ich sage Ihnen einmal die Fakten: Vor dem Krieg in Syrien betraf das 13 Prozent der Ehen, bei denen einer oder beide Ehepartner unter 18 Jahre alt waren. Die Entwicklung, auch in den islamischen Ländern, war lange Zeit rückläufig. Heute liegt die Zahl der Ehen, in denen mindestens ein Ehepartner minderjährig ist, in Syrien bei 51 Prozent. Sie sehen den Unterschied vor dem Krieg und nach dem Krieg. Überlegen Sie sich einmal, woran das liegt. Außerdem hat sich die Zahl der Kinderehen in Flüchtlingscamps in Jordanien, im Libanon, im Irak und in der Türkei erhöht. Es ist keine muslimische Tradition. Selbst die Jesiden, die Sie angeführt haben, sind keine Muslime. Es ist ein Symptom der Krise. Kinderehen nehmen zu, wenn Krieg herrscht, wenn Sicherheit auf der Flucht gewährleistet werden soll. Und Länder mit vielen verheirateten Minderjährigen sind nicht etwa muslimisch, sondern überwiegend christlich oder hinduistisch, nehmen wir zum Beispiel Indien, Brasilien oder die Dominikanische Republik, die total christlich ist.
Eines von mehreren Motiven, das das Deutsche Institut für Menschenrechte für diese Kinderehen nennt, ist der Schutz vor sexuellem Missbrauch auf der lebensgefährlichen Flucht. Das Resultat sollte also sein, nicht die Kinderehen zu verbieten, sondern den Krieg zu beenden.
(Beifall)
Das Resultat sollte sein, menschenwürdige Lebensbedingungen in den Flüchtlingscamps zu schaffen. Das Resultat sollte sein, den schmutzigen Deal mit dem Diktator Erdogan aufzukündigen.
(Beifall)
Das Resultat sollte sein, sichere Fluchtwege zu schaffen, dann haben Sie dies nicht. Sie haben immer Kinderehen mit Zwangsehen gleichsetzt. Herr Dr. Schmitt hat gerade schon erwähnt, wie die Rechtslage in Deutschland ist. Zwangsehen sind in Deutschland unabhängig von dem Heimatrecht ein Verstoß gegen den ordre public und damit nichtig.
Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:
Herr Kliehm, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Stadtverordneten…
Stadtverordneter Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE. im Römer:
(fortfahrend)
Nein, tut mir leid, dafür habe ich keine Zeit.
(Beifall, Heiterkeit)
In Deutschland bestehen bereits rechtliche Regelungen, soweit Hinweise auf eine Zwangsehe bestehen. Das Erzwingen einer Ehe ist nach § 237 Strafgesetzbuch strafrechtlich bewährt, außerdem Punkte wie Menschenhandel, Verschleppung, Vergewaltigung oder sexuelle Handlungen an Minderjährigen. Die meisten Herkunftsländer haben die UN-Kinderrechtskonvention unterschrieben, das sind nämlich alle Länder, die Mitglied in der UN sind, außer einem Staat. Das sind mehr Länder, die diese Konvention unterschrieben haben, als bei allen anderen Konventionen. Sie dürfen raten, welcher Staat das nicht unterschrieben hat. Saudi-Arabien, Afghanistan, was schätzen Sie? Es ist die USA.
(Zurufe)
Die USA hat sie nicht unterschrieben. Alle anderen haben diese Kinderrechtskonvention unterschrieben. Dort steht drin, dass eine Ehe nur von Personen, die mindestens 18 Jahre alt sind, geschlossen werden soll und nach richterlicher Einzelfallgenehmigung, wie in Deutschland, auch ab 16 Jahren genehmigt werden kann.
Das heißt also, Fazit aus diesem Punkt, Zwangsehen dürfen bereits jetzt nicht anerkannt werden, dafür ist keine Gesetzesänderung notwendig.
Zweitens: Die Prüfung der Reife und der Freiwilligkeit beim Eingehen einer Ehe ist in jedem Einzelfall notwendig. Die UN-Kinderrechtskonvention hat zwar regelmäßig das Alter auf 16 gesetzt, aber in jedem Einzelfall muss geprüft werden, weil es auch 14- und 15-Jährige geben kann, die schon die geistige Reife haben, das freiwillig und selbstbestimmt zu entscheiden. Es geht um die Selbstbestimmtheit in dieser Sache.
Drittens: Wir können den Standesbeamten keine Vorschriften machen, Frau Professor Birkenfeld hat es bereits gesagt. Es hätte hingegen weitreichende Nachteile, wenn wir Ehen für unwirksam erklären, zum Beispiel keine automatischen Unterhaltsansprüche, Kinder werden zu nichtehelichen Kindern, es gäbe ein soziales Stigma, Erbschaftsansprüche gehen verloren, Existenzprobleme, die sogenannte hinkende Ehe, oder dass gar die Ehe verheimlicht wird und somit überhaupt kein Zugang mehr für die Jugendhilfebehörden besteht.
Das heißt, dass Ihr Eintritt in die AfD ein Trugschluss war, Frau Hübner, denn die AfD betreibt hier einen Kulturkampf mit falschen Behauptungen. Es geht der AfD nicht um die Rechte von Minderjährigen, es geht ihr um Ausgrenzung, um Desinformation und um Vorurteile. Hier geht es um Rassismus, und das muss man klar benennen.
Vielen Dank!
(Beifall)