Drohnen töten

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Foto: CC-BY US Navy

Du lebst in Berlin und bewunderst futuristische Fluggeräte auf der Internationalen Luftfahrtausstellung – Unmanned Aircraft Systems (UAS). Oder du lebst in Pakistan, du telefonierst mit der falschen Person – und die NSA schickt Dir eine Drohne vorbei. Du wirst zum „Kollateralschaden“. Eine übertriebene Befürchtung? Nein. Denn alleine in Pakistan wurden seit 2004 fast 1.000 Zivilisten, darunter 200 Kinder, durch Drohnen getötet. Dabei wurden weit über 1.000 Unbeteiligte verletzt. Fakt ist: Die Drohnen sind 24 Stunden am Tag in der Luft. Sie terrorisieren Männer, Frauen und Kinder. Die Angst herrscht: Alle können jederzeit Opfer eines Drohnenangriffs werden. Die Menschen stehen unter permanenter Überwachung durch einen unsichtbaren Feind.

Das Problem scheint für uns „weit weg“, denn die Diskussion wird durch Einsatzszenarien im Ausland beherrscht, und bei der Bundeswehr wiegelte man bisher ab: Bewaffnete Drohnen kämen überhaupt nicht in Frage, und wenn, dann dürfte die Entscheidung über Leben und Tod nicht autonomen Killer-Robotern überlassen werden, sondern müsse vom Man-in-the-middle per Knopfdruck bestätigt werden. Töten per Joystick.

Ein Haken an diesem Szenario ist die Reaktionszeit: Drohnen werden für „dreckige, langweilige und gefährliche“ Jobs eingesetzt (engl. “dirty, dull, dangerous”). Bei gefährlichen Jobs kann es schon mal vorkommen, dass die Drohne beschossen wird. Mit etwas Latenz, bis die Signale übertragen sind und bis das Bodenpersonal reagiert, kann die Drohne zerstört sein. Das gemeinsame Angebot dreier Rüstungskonzerne unter Beteiligung von Airbus zur Entwicklung einer europäischen Drohne MALE 2020 (Medium Altitude Long Endurance) umfasst darum eine Option der Bewaffnung, wie sie der Bundeswehrverband für Afghanistan fordert. Auch die vorhandenen Drohnensysteme EuroHawk und die israelische HERON sind waffenfähig. Die Bundeswehr kann mit ihnen aber auch Ziele für lasergelenkte Bomben markieren.

Drohnen können auch durch Abstürze, durch Kollisionen mit anderen Fluggeräten oder durch Hacking verloren gehen. Jede siebte der 871 Bundeswehr-Drohnen stürzte ab. Doch während die Bundeswehr gerne von einer „kontrollierten Notlandung“ spricht, berichten im Februar 2014 Anwohner aus Colbitz bei Magdeburg, die 40 kg schwere Drohne vom Typ LUNA „steckte senkrecht im Boden“. Spektakulär war auch die Erbeutung einer RQ 170 Sentinel-Drohne im Iran, die durch GPS-Spoofing – also geschickte Manipulation vom Boden aus – zur Landung gebracht wurde. Wissenschaftler der University of Texas in Austin konnten die Methode inzwischen reproduzieren.

Für den Objektschutz von Bahnanlagen, für illegale Grenzübertritte, im Rahmen von Einsätzen gegen Erpresser oder eine Marihuana-Plantage setzt die Bundespolizei bisher zwei Drohnen des Typs Aladin und zwei Fancopter ein. Auch die Landespolizeien in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen, Sachsen und neuerdings Berlin und Schleswig-Holstein verwenden diese kleinen, weniger als 5 kg schweren Drohnen. Sie können 30-60 Minuten in der Luft bleiben, sind kaum zu entdecken und können mit Kameras, Sensoren oder Wärmebildkameras ausgestattet werden. Die Deutsche Bahn möchte zur Jagd auf Graffiti-Sprayer*innen das Modell Microcopter einsetzen.

Während die kleinen Drohnen noch keine Personen erschlagen, wenn sie abstürzen, bergen sie eine hohe Gefährdung der Privatsphäre: Die Drohne der Bahn darf 150 Meter hoch fliegen und hat damit einen Aufnahmeradius von etwa 150 Metern am Boden, also weit über die Gleisanlagen hinaus. Bei den kleineren Drohnen sind die Bildübertragungen meistens noch nicht verschlüsselt und können relativ leicht abgegriffen werden. Selbstverständlich können Drohnen auch WLANs knacken und sich Mobiltelefonen gegenüber als Basisstation ausgeben, um Gespräche mitzuschneiden. Je größer, desto effizienter: EuroHawk ist eine fliegende Vorratsdatenspeicherung.

Selbst wenn die Polizei Drohnen einsetzt, können davon hohe Rechtsgüter wie die Versammlungsfreiheit oder Persönlichkeitsrechte betroffen sein. Unsichtbare, unhörbare, fliegende Augen, die länger als Hubschrauber in der Luft bleiben können, stellen einen starken Eingriff in Grundrechte dar. Während die Berliner Polizei heute noch schwört, niemals Demonstrationen zu bedrohnen, enthält das Berliner Versammlungsgesetz keine Einschränkungen zur Form der Videoaufnahmen. Gesetzesgrundlagen, ab wann ein Eingriff in Persönlichkeitsrechte erlaubt ist, fehlen bisher. In der Schweiz wurden Drohnen auch zur Verkehrsüberwachung oder bei der Fußball-Europameisterschaft 2008 eingesetzt. Eine gesetzliche Regelung ist darum überfällig, denn der Einsatz von Drohnen zu Bildaufnahmen kann nur zur Abwehr von Lebensgefahr und Gefahr schwerer Körperverletzung bzw. an wenig frequentierten Orten verhältnismäßig sein.

Drohnen können mittlerweile nicht nur in HD-Qualität filmen. Willkommen beim Projekt ARGUS, mit einer Auflösung von 1,8 Gigapixeln und einer Speicherkapazität von einem Exabyte (einer Million Terrabyte) pro Tag! Aus fünf Kilometern Höhe können damit Objekte von der Größe eines Frühstückstellers am Boden erkannt werden. Somit ist es auch nachträglich noch möglich, in Übersichtsaufnahmen hineinzuzoomen. Und wenn eine Kamera nicht reicht, werden es eben 9-50 wie im Projekt GorgonStare. Die U.S. Airforce schwärmt darüber: GorgonStare wird auf eine ganze Stadt hinabschauen. Auf diese Weise wird der Gegner nicht wissen, auf was wir schauen, und wir können alles sehen. Und damit der Sprit nicht ausgeht, gibt es bereits solargetriebene Drohnen wie den Solar Eagle oder Zeppeline, die quasi unbegrenzt in der Luft bleiben können, aus 6.000-17.000 Metern alles im Blick haben oder Bomben zu ihrem Ziel lenken. Ein Blick in die Zukunft? Neben den fliegenden Augen im Himmel werden uns auch Schwärme von insektengroßen Micro Aerial Vehicles in Gebäuden überwachen können.

Derzeit gibt es für den Einsatz von Drohnen im Inland noch zahlreiche Grauzonen. Per Bundesgesetz wird der Einsatz von Drohnen bis 150 kg geregelt, auf europäischer Ebene ist bei der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) ein Entwurf für zivile unbemannte Flugsysteme über 150 kg in Vorbereitung.

Aber Fragen der Verhältnismäßigkeit beim Eingriff in Grundrechte, der Haftung im Schadensfall, des Missbrauchs von Bildaufnahmen, des Sicherheitsabstands zu Gebäuden und Menschenansammlungen oder des Datenschutzes sind noch ungeklärt. Bisher verhindert den Durchbruch von autonomen Drohnen vor allem noch das Luftverkehrsprinzip vom „Sehen und Ausweichen“ (oder hier “sense and avoid”), das noch keine Drohne schafft. Darum dürfen sie bislang nur in „Sichtweite“ eines Steuerers fliegen. Mit einer Kamera auf einem großen Masten in flachem Gelände können das auch 50 Kilometer sein.

Natürlich werden Drohnen auch im Katastrophenschutz, in der Archäologie, in der Landwirtschaft oder für Luftbildaufnahmen eingesetzt und – nicht zu vergessen – als Spielzeuge. Wir brauchen aber eine gesellschaftliche Diskussion und gesetzliche, europaweite Regelungen, ob, wo und unter welchen Bedingungen wir in unserem zukünftigen Leben mit Drohnen leben wollen, bevor unsere Grundrechte verloren gehen.

Doch das mag wie ein Luxusproblem erscheinen. Denn während sich Berkeley zur No Drone Zone erklärt, patroullieren auf dem Mittelmeer im Rahmen von Frontex und EUROSUR Drohnen zu Wasser und in der Luft, um Flüchtlinge aufzuspüren und zurück auf’s Meer zu schicken.

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