Polizeigewalt bei Blockupy

Hier das Wortprotokoll meiner Rede zur Polizeigewalt bei Blockupy in der Stadtverordnetenversammlung am 06.06.2013:

Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten:

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Stadtrat Frank!

Wir hatten für heute eine dringliche Anfrage eingereicht, nachdem Sie am Montag im Ausschuss für Recht, Verwaltung und Sicherheit versprochen haben, sich einigen Fragen, wie zum Beispiel, ob diese Falle geplant war oder nicht, zu widmen. Das sollte eine Erinnerungshilfe sein, dass Sie diese Fragen heute auch beantworten. Das haben Sie aber leider nicht getan. Ich hoffe, das werden Sie noch nachholen.

Ich muss feststellen, ich war als Demo-Beobachter am Freitag und am Samstag von fünf Uhr früh bis 23.00 Uhr da, dass es mit Ihrer Strategie, die Sie zur Deeskalation zusammen mit der Polizei besprochen haben, offensichtlich nicht geklappt hat. Frankfurt war am Freitag und insbesondere am Samstag ein rechtsfreier Raum, und zwar nicht wegen irgendwelchen Demonstrierenden, sondern wegen dem, was die Polizei dort abgezogen hat.

(Beifall, Zurufe)

Was in der Hofstraße passiert ist, war eine geplante Falle. Ich muss einmal die Chronologie beleuchten, weil die Polizeiführung das immer anders herum erzählt. In der Hofstraße standen von Anfang an Polizeihundertschaften rechts und links vom Schauspiel. Es waren vier Polizeiwagen als Absperrung dort geparkt, zwei in der Einfahrt zum Jüdischen Museum, einer in der Einfahrt zur Nassauischen Heimstätte, einer am Kammerspiel. Die haben dort von Anfang an blockiert, und Sie können mir nicht erzählen, dass die restliche Route auch so mit Polizeifahrzeugen blockiert war. In der Mainluststraße standen rechts und links Hundertschaften, bevor die Demonstration dort angekommen ist, die den antikapitalistischen Block, als er dort eingetroffen ist, als Wanderkessel in Zweierreihen begleitet haben, aber nicht etwa den gesamten Block, sondern nur den hinteren Teil. Ich hatte mich schon gewundert und dachte: Die Strategie, dass der vordere Teil diesmal ein bunter Block ist, ist voll aufgegangen, die haben es nicht gemerkt, sie sind nur hinten bei den Schwarzen. Aber dann sind sie in der Taunusanlage plötzlich vor dem Schauspiel stehen geblieben und zack, war der Kessel zu. Sie können mir nicht erzählen, dass das nicht geplant war.

Wir haben in der Presse gelesen, dass Familien mit Kindern in der Hofstraße vorgewarnt wurden, dass dort gleich etwas passiert. Was sagen Sie dazu? Wir haben Videoaufnahmen, in denen die Demonstrationsspitze in der Hofstraße am Kammerspiel um die Ecke zieht, die Polizei macht den Kessel dicht, und Sekunden danach ist dort eine Lautsprecherdurchsage der Polizei zu hören. Ich habe noch keine Demonstration erlebt, bei der so schnell Lautsprecherdurchsagen zu hören waren. Die Bengalos wurden erst später gezündet. Das war Stunden, nachdem dieser Kessel begonnen hatte. Die Farbbeutel sind erst geflogen, nachdem der Kessel zugemacht wurde und nachdem die vordere Reihe von Polizisten, ungefähr 20 aus Nordrhein-Westfalen, ohne Provokation gleich mit Pfefferspray losgelegt und dabei auch Journalisten verletzt hat. Ein Journalist, der dabei kollabiert ist, musste eine Dreiviertelstunde auf den Rettungswagen warten, weil die Polizei auch Rettungswagen nicht durchgelassen hat. Es gab – das muss ich zugeben – in der Hofstraße drei Leuchtkugeln, die in den Büschen gelandet sind, über die die Frankfurter Rundschau geschrieben hat, das gehört in Frankfurt eigentlich zur Folklore dazu. Sie können mir nicht erzählen, dass das der Anlass war, wenn Stunden zuvor die Polizei schon dort versammelt war und es eindeutig geplant war.

Eine der ersten Durchsagen war, wenn Sie die Vermummung ablegen, dann können Sie am Main weiterziehen. Hallo? Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hat eindeutig beschlossen, dass die Demonstrationsroute an der EZB vorbei genehmigt ist. Meines Erachtens war das ein Vorwand, um eine Umleitung am Main entlang zu erzwingen. Wir haben eine einmütige Bestätigung der Presse, von der TAZ bis zur BILD, wir haben 64-jährige Gewerkschafter, die diese Vorgänge bestätigen, wir haben Fluglärmgegnerinnen und -gegner, wir haben Leute, die darüber bloggen, die zufällig in die Demonstration hineingeraten sind, die bestimmt keine Gewalttäter sind. Zu guter Letzt: Ich habe am Rande des Kessels mit Polizeidirektor Schiffler gesprochen, der mir bestätigt hat, dass die Polizei natürlich mehrere – sagte er, in diesem Punkt glaube ich ihm nicht – solcher Eingriffstellen geplant hat, mehrere solcher Fallen, wo rechts und links Häuserschluchten sind und nicht gerade Glaswände. Boris Rhein versichert immer noch, die Behauptung einer Falle sei vollkommen abwegig. Markus Frank sagt fast wortgleich, das sei abwegig. Mich interessiert nicht, was diese beiden sagen, sondern mich interessiert, was sie nicht sagen. Wenn Boris Rhein behauptet, er habe keinen direkten Einfluss auf die Polizeiführung genommen, dann frage ich mich, wer hat denn sonst Einfluss auf die Polizeiführung genommen?

(Beifall)

Warum das alles? Warum wurden 900 Menschen teilweise zehn Stunden dort festgehalten? Freiheitsentzug ist das. Warum wurden, wie die Demo-Sanitäter berichten, zwischen 270 und 320 Menschen verletzt, wovon etliche ins Krankenhaus kamen? Warum sagt die Polizei gleichzeitig – wie sie am Samstag sagte -, ihnen ist nur ein verletzter Demonstrant bekannt? Inzwischen sagen sie, ihnen sind vier verletzte Demonstranten bekannt. Gleichzeitig haben sie aber wegen einem Massenanfall von Verletzten die Frankfurter Schnelleinsatzgruppe ausgelöst. Der leitende Notarzt war vor Ort, Einsatzkräfte von den Maltesern und anderen Hilfsorganisationen haben dort ihre Stellungen aufgebaut. Warum ist die Rede von einem Massenanfall von Verletzten, wenn gleichzeitig die Polizei sagt, es gab nur einen? Diese Widersprüche müssen aufgeklärt werden.

Der Anlass: der polizeiliche Konjunktiv. Der Einsatzleiter Schneider, Abteilungsdirektor beim Polizeipräsidium Frankfurt, sagt mit Blick in seine Glaskugel: Ich bin mir sicher, dass die Gruppe etwas vorhatte. Tut mir leid, das reicht nicht für zehn Stunden Freiheitsentzug.

(Beifall)

Zumal der Verwaltungsgerichtshof Kassel vorher gesagt hat, für eine Einschränkung des Rechts des Versammlungsleiters auf freie Wahl des Ortes und des Verlaufs müssen nachweisbare Tatsachen als Grundlage einer Gefahrenprognose für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen, wobei die Darlegungslast und die Beweislast insoweit bei der Versammlungsbehörde liegt. Bloße Vermutungen könnten, auch wenn sie nachvollziehbar seien, nicht zur Einschränkung des Grundrechts aus Artikel 8 Grundgesetz genügen. Dazu sagte der Offenbacher Polizeisprecher, Ingbert Zacharias, in einem Interview in der Hessenschau kurz nach dem Kessel: Da hat es wohl irgendwelche, wie es aussieht, Vermummung, bewaffnete Personen oder sonst irgendeinen Grund gegeben, sodass unsere Kräfte den Zug aufgehalten haben und jetzt darüber verhandeln, dass die passive Bewaffnung und diese ganzen Sachen weggemacht werden.

Der Polizeisprecher weiß es also selber noch nicht einmal, aber die ersten Lautsprecherdurchsagen kamen Sekunden nach der Einkesselung. Klar gelogen ist, was Einsatzleiter Schneider sagt: Ziel der Polizei ist es stets gewesen, dass die Demonstranten ihren Aufzug auf der vorgesehenen Route fortsetzen können. Man hatte angeboten, verbotene Gegenstände abzulegen und sich durchsuchen zu lassen.

Wie ich gerade schon sagte, sehr früh kam die Durchsage, man könne am Main entlangziehen. Die Durchsage gab es nicht nur beim Kessel, sondern auch hinten beim Gewerkschaftsblock. Wir waren auch Demonstrationsbeobachter am 1. Mai, wo ein Polizeikessel mit 700 bis 800 Personen auf dem Gleisbett war. Wir haben gesehen, dass die Personalienfeststellung und das Durchsuchen der Personen fünf Stunden gedauert hat. Es gab dabei übermäßige Polizeigewalt, insbesondere von der Bundespolizei und von einigen Einsatzkräften aus Baden-Württemberg. Es gab zig Verletzte, davon einige Schwerverletzte. Zu behaupten, nach Feststellung der Personalien hätten die Demonstranten weiterziehen können, ist einfach ein Hohn und verachtet das, was am 1. Mai geschehen ist.

(Beifall)

Gleichzeitig wurde § 19 des Versammlungsgesetzes herangeführt. § 19 dient dem Schutz der Versammlung, nicht ihrer Blockade oder Auflösung.

Ich könnte noch einiges mehr sagen über Angriffe auf die Presse, Journalisten im Krankenhaus, Angriffe auf Sanitäter, Blockade des Rettungsdienstes, Behinderung von Anwälten und Abgeordneten in ihrer Mandatsausübung, über die Klage von Blockupy. Wieder werden Gerichte entscheiden, dass die Platzverweise ordnungswidrig waren. Ich möchte aber mit einer Frage von einer Freundin schließen, die gerade in Istanbul ist. Sie fragte: „Was ist da in Frankfurt am Main passiert? An wen wende ich mich in Zukunft, wenn ich Hilfe brauche? An die Polizei wohl nicht, an Anonymous?“

Stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Renate Wolter-Brandecker:

Kommen Sie bitte zum Ende.

Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten:

(fortfahrend)

Wir müssen das Vertrauen in die Polizei wiederherstellen, und das geht nur mit einer eindeutigen Aufklärung in der Stadt wie auch im Land, wie so etwas in Zukunft vermieden wird.

(Beifall)

[…]

Stadtverordneter Martin Kliehm, Piraten:

Wir haben noch sechseinhalb Minuten Redezeit, deshalb wollte ich noch einmal darauf eingehen, was Herr Dr. Seubert und Herr Schenk gesagt haben. Natürlich habe ich mich darauf auch vorbereitet und ich würde Ihnen empfehlen, nicht nur das Versammlungsgesetz zu lesen, sondern auch die Kommentare dazu.

Wir haben für den nächsten Samstag, 8. Juni, 12.00 Uhr, am Baseler Platz wieder eine solche Demonstration angemeldet, zu der, so wie es aussieht, sehr viele Menschen kommen werden. Wir haben dazu die Aussage des Einsatzleiters, dass er bei Vermummung sofort einschreiten wird. Es gibt die Aussage von dem Einsatzleiter, Herrn Schneider, vom vergangenen Wochenende: Ich würde es jederzeit wieder so machen. Lassen Sie mich ein bisschen was zum Vermummungsverbot und zur Schutzbewaffnung sagen, wobei von Ihnen sofort reflexartig die Reaktion kommt, dass das alles verboten ist.

Dazu empfiehlt es sich, wie ich gesagt habe, eben auch die Kommentare zu lesen. Die Frage: Ist ein Fahrradhelm eine Schutzbewaffnung? Wenn Sie ein Fahrrad dabei haben, ist es keine Schutzbewaffnung. Wenn Sie von der Presse sind, ist es keine Schutzbewaffnung. Schutzbewaffnung ist nur für Demonstrationsteilnehmer verboten und nicht für Presse oder Sanitäter, die definitiv nicht an der Demonstration teilnehmen.

Der Verfassungsrechtler Hoffmann-Riem sagt: Bei militanten Gegendemonstranten, wenn sie Antifa sind, umringt von Nazis, sind Helme keine Schutzbewaffnung, sondern Schutzgegenstände und damit erlaubt, denn sie dienen ihrer Demonstrationsfreiheit. Dann wird auch gesagt, dass die Polizei eingreifen muss, aber das Vermummungsverbot und auch die Schutzbewaffnung sind keine strafbewehrten Sanktionsnormen; sie haben also Ermessensspielräume. Insbesondere können sie präventiv polizeiliche Maßnahmen durchführen. Das heißt also, wenn die Polizei, wie berichtet, beobachtet, dass von Lastwagen Styroporplatten abgeladen werden, dann kann sie eingreifen, aber nicht eine halbe Stunde später. Sie haben aber auch vielleicht in der FAZ gelesen, dass der Staatsrechtler Gusy sagt: Styroporplatten als Schutzwaffe sind nicht geeignet, es ist eher eine Karikatur einer Schutzwaffe. Also, Schutzwaffen, halten wir fest, müssen auch dazu geeignet sein, als Schutzwaffe eingesetzt zu werden.

Warum sind Schutzwaffen überhaupt verboten? Der Gesetzgeber unterstellt bei Schutzwaffen aufgrund ihres martialischen Erscheinungsbildes eine offenkundige Gewaltbereitschaft und eine aggressionsstimulierende Wirkung, sagt Roman Herzog. Grundlage dieses Verbots von Schutzwaffen ist das Uniformierungsverbot auf Demonstrationen, eben wegen des martialischen Erscheinungsbildes. Ich kann Ihnen garantieren, wenn Sie sich die Bilder ansehen, dass der bunte antikapitalistische Block ganz bestimmt nicht martialisch war.

Zum Vermummungsverbot: Der eben zitierte Staatsrechtler sagte auch, dass Sonnenbrillen und Regenschirme definitiv keine Vermummung sind. Sie sind sogar legitim, sofern sie dem Schutz vor unvermeidbarer Verfolgung und Diskriminierung dienen, das sagt die Bundestagsdrucksache 10/3580. Das wurde zu einer Zeit geschrieben, als noch kein systematisches Filmen von allen Demonstrationen geschah. Deswegen muss dies auch jetzt durch die anstehenden Klagen von dem Ermittlungsausschuss auch einmal für Demonstrationen heutzutage geklärt werden. Ferner sind Masken zu künstlerischen Zwecken keine Vermummung. Wir haben auf den Polizeifotos eine Karnevalsmaske mit lila Glitterhaaren gesehen. Das ist keine Vermummung, das ist ein Fastnachtskostüm.

Und zu guter Letzt, noch einmal etwas zur Verhältnismäßigkeit. Die Polizei kann auf eine Verfolgung oder auch auf Maßnahmen verzichten, wenn andere Maßnahmen besser geeignet sind, die Demonstration durchzuführen oder wenn die Durchsetzung der Maßnahmen erst zu einer Eskalation führen würde. Dieser Staatsrechtler Gusy sagte zum Beispiel: Wenn dem so wäre, dass das Anzünden von ein paar Bengalos dazu führt, dass eine Demonstration mit 10.000 Menschen festgesetzt werden kann, dann müsste man auch, wenn im Fußballstadion drei Leuchtkugeln hochgehen, 10.000 Fußballbesucher unter Arrest stellen. Ich glaube, das wollen Sie alle nicht. Vielen Dank!

(Beifall)

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