Polizeieinsatz bei der Räumung der Krifteler Straße 84

Dringliche Anfrage der ELF Piraten Fraktion gemäß § 50 II Satz 5 HGO / §17 (3) GOS

Im Ausschuss für Recht, Verwaltung und Sicherheit schilderten in der Bürgerfragestunde am Montag, den 9. September 2013, drei Betroffene der Räumung des ehemaligen Sozialrathauses in der Krifteler Straße übereinstimmend und glaubhaft diese Vorgänge:

Fünf bis sechs martialisch aussehende Zivilbeamte, einige davon mit Glatze, Tattoos, einer mit einem Shirt der Nazimarke „Thor Steinar“, überfielen ohne Vorwarnung die friedlich vor dem Haus das Abend­essen vorbereitenden Menschen, schlugen auf sie mit Teleskopschlagstöcken ein, rannten fast eine Mutter mit Baby um und stürmten in das Haus. Die Aktivistinnen und Aktivisten glaubten an einen Überfall von Nazischlägern, versuchten die Schläge mit einer Bank abzuwehren und wandten sich hilfesuchend an die Minuten danach eintreffende uniformierte Polizei.

Mit Kletterausrüstung, Wurfhaken und Rammen ausgerüstete Beamte des SEK waren die ersten unifor­mierten Einsatzkräfte vor Ort, danach kamen mehr und mehr Kräfte der drei hessischen Beweis­siche­rungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) an den Ort. Dabei wurden die vor dem Haus befindlichen Men­schen eingekesselt, nach Augenzeugenberichten geschubst und geschlagen. Anschließend wurden ihre Personalien festgestellt, sie erhielten eine Strafanzeige wegen Haus­friedensbruchs, obwohl sie sich im öffentlichen Raum auf der Straße aufgehalten hatten, sowie einen Platzverweis.

Vertreter der Presse wurden zunächst nicht durchgelassen, die Stadtverordnete Jessica Purkhardt erhielt ebenfalls einen Platzverweis, der allerdings später aufgehoben wurde, nachdem sie sich als parlamentarische Beobachterin akkreditierte. Die Schilderungen der Presse und der Stadtverord­neten decken sich ab ihrem Eintreffen mit den Aussagen der Bürger im Rechtsausschuss. Der Leiter des Liegenschaftsamtes sowie der Polizeipräsident von Frankfurt, Dr. Achim Thiel, wurden ebenfalls vor Ort gesichtet.

Einer der Betroffenen schilderte dies am Montag schockiert in einer Rundmail ausführlicher an einen internen städtischen Verteiler. Als er versuchte, seinen im Haus befindlichen 8jährigen Sohn vor mutmaßlichen Nazischlägern zu schützen und ins Haus einzudringen, wurde er von Polizeikräften niedergeschlagen und getreten.

In einem beispiellosen Vorgang droht nun das Polizeipräsidium in einer Pressemitteilung öffentlich mit Re­pression: „Gegen den Urheber der Mail wurden von der Polizei Strafanzeigen wegen Ver­dacht der Verleumdung sowie der falschen Verdächtigung erstattet. Darüber hinaus werden wegen seines Ver­haltens am Einsatzort weitere rechtliche Schritte geprüft.“

Die tageszeitung (taz) vom 10.09.2013 bestätigt die vom Polizeipräsidium als Verleumdung diffamierten Aussagen mit sechs Zeuginnen und Zeugen.

Währenddessen verstrickt sich das Polizeipräsidium in Widersprüche. Während der Pressesprecher der Polizei im Artikel der taz zitiert wird, dass sich die Zivilkräfte „aus einsatztaktischen Gründen nicht zu erkennen gaben“, heißt es in einer Pressemitteilung von Ordnungsdezernent Markus Frank am gleichen Tag, „der Polizei­prä­si­dent Dr. Thiel berichtete, dass die eingesetzten zivilen Polizisten als solches erkannt wurden und sich auch so zu erkennen gegeben haben.“ Entweder ist der Polizeipräsident wieder einmal nicht informiert, oder man möchte eine andere Realität herbeireden.

Ein bei Indymedia veröffentlichtes Foto eines der Zivilbeamten zeigt einen muskelbepackten, stark tätowierten, kräftigen Mann mit kurzen Haaren im ärmellosen Shirt und kurzen, braunen Cargohosen, der in seiner rechten Hand einen Teleskopschlagstock zu verbergen versucht. Im Hintergrund sind die SEK-Beamten, eine Bierbank und eine zurückgezogene Menschengruppe zu sehen. Der Zivilbeamte trägt keine Armbinde, die ihn als Polizisten kenntlich machen würde.

In der gleichen, oben bereits erwähnten Pressemitteilung äußert sich Markus Frank wie folgt: „Ich habe keinen Grund, die Verhältnismäßigkeit polizeilichen Vorgehens in Frage zu stellen.“ Er fährt fort, die „rasche und nachhaltige“ Beendigung der Besetzung zu loben, berichtet von einer Polizeitaktik, die darauf ausgerichtet gewesen sei, „Gefährdungen für Besetzer und Einsatzkräfte auszuschließen“. Thiel wird ferner zitiert: „Von den zivilen Polizisten ging keine Gewalt aus, als diese bedroht wurden, wurde der Teleskopschlagstock lediglich als Abwehrschutz in zwei Fällen in der Hand gehalten“. Markus Frank bewertet den Einsatz positiv: „Die Beamten haben in der Einzelsituation sachgerecht reagiert und zu einer Deeskalation beigetragen.“

Wir gehen davon aus, dass die Aussagen der Betroffenen durch weiteres Video- und Fotomaterial bestätigt werden können und erwarten von der Polizei ihrerseits, die Aufnahmen der Videoteams der BFE-Einheiten ebenfalls zu veröffentlichen, um die widersprüchlichen Aussagen der Polizei­führung aufzuklären.

Dies vorausgeschickt, fragen wir den Magistrat:

  1. Teilt der Magistrat zum derzeitigen Zeitpunkt die Ansicht des Ordnungsdezernenten, dass die drei Augenzeugen im Rechtsausschuss sowie die sechs Zeugen der taz gelogen haben, dass von den Polizeibeamten keine Gewalt ausging und sie sachgerecht und deeskalierend vorgingen?
  2. In einem Artikel der F.A.Z. wird beschrieben, der Leiter des Liegenschaftsamtes habe „am Samstagabend als Vertreter der Stadt das Haus Krifteler Straße 84 aufgesucht, um den Be­setzern mitzuteilen, dass Strafantrag gestellt worden sei.“ Ist es zutreffend, dass er diese Mitteilung erst nach Beginn des Polizeieinsatzes machte?
  3. Welches Magistratsmitglied war wann vom Zeitpunkt der Räumung informiert? Wer stimmte der Räumung am Samstagabend zu?
  4. Bisher widerspruchslos ist, dass es keine Vorwarnung vor der Räumung gab. Damit liegen Ver­stöße gegen §§ 4, 5, 52 und 53 I HSOG vor, wonach verhältnismäßig zu handeln ist, unmit­tel­barer Zwang erst als letztes Mittel und nach Androhung eingesetzt werden darf, ferner gegen das im Brokdorf-Beschluss definierte Kommunikationsgebot der Polizei. Wie bewertet der Ma­gistrat eine überfall­artige Räumung durch die Polizei, ohne Menschen die Gelegenheit zu ge­ben, das Gebäude oder dessen Umfeld freiwillig zu verlassen? Betrachtet der Magistrat dies als verhältnismäßig? Seit wann definiert der Magistrat rechtswidriges Verhalten als „nachhaltig“?
  5. Hält der Magistrat den Einsatz von SEK-Einheiten mit Kletterausrüstung, die gewöhnlich gegen Schwerkriminelle und Terroristen eingesetzt werden, gegen friedliche Hausbesetzer*innen und Kinder nicht für etwas übertrieben? Nach übereinstimmenden Aussagen fuhren vor dem Ein­satz ein Kamerawagen der Polizei durch die Straße sowie kurz vorher zwei Polizeimotorräder, so dass die friedliche Einsatzsituation bekannt gewesen sein muss.
  6. Wie bewertet der Magistrat die widersprüchlichen Aussagen des Polizeipräsidiums zur Kenn­zeich­nung der Zivilkräfte? Findet es der Magistrat angesichts des Fotos von dem Tätowierten abwegig, an einen Überfall durch Hooligans oder Neonazis zu denken? Würde der Magistrat in einer solchen Situation nicht versuchen, zu den eigenen Kindern vorzudringen, um sie zu beschützen?
  7. Wie bewertet der Magistrat den beispiellosen Vorgang, dass die Pressestelle des Polizeipräsi­diums mutmaßlichen Opfern von Polizeigewalt per Pressemitteilung weitere Strafanzeigen öffentlich androht? Könnte dies als Einschüchterungsversuch zu verstehen sein?
  8. Teilt der Magistrat die Auffassung des einen Sprechers von Planungsdezernent Cunitz, „wir haben unter dem Strich mehr Wohnraum. Es findet [im Gallus] keine Verdrängung in dem Sinne statt“, oder die des anderen Sprechers des Planungsdezernenten, „dass in dem Stadtteil derzeit ein großer Druck auf dem Wohnungsmarkt herrsche“?
  9. Wann wird die erste Kita in der Krifteler Straße 84 einziehen? Wann wird es dort ein Ober­stufen­gymnasium geben, nachdem alle entsprechenden Anträge des Ortsbeirates und unserer Fraktion bislang immer abgelehnt wurden?

Anfragesteller:

Stadtv. Martin Kliehm
Stadtv. Luigi Brillante
Stadtv. Herbert Förster

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