Kontext: Wortprotokoll über die 35. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, den 16. Oktober 2014 (16:00 Uhr bis 23:05 Uhr), TOP 9, Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen
Stadtverordneter Martin Kliehm, ELF Piraten
Sehr verehrte Damen und Herren!
Wir haben diese Anfrage zur Videoüberwachung in Frankfurt gestellt, da als Mantra von der CDU, sowohl von Markus Frank, der jetzt auch im Saal ist – das freut mich sehr –, als auch von Boris Rhein, immer wieder kommt, wie wir es auch in diesem Magistratsbericht lesen, darüber hinaus hat sich die Sicherheitstechnik als wirkungsvolles Instrument zur Abschreckung und Aufklärung von Straftaten bewährt.
Das behaupten Sie immer wieder, aber durch die stetige Behauptung wird es leider nicht wahrer. Es ist nämlich überhaupt nicht belegbar, und schon gar nicht durch diesen Magistratsbericht. Sie bringen dort als ein Beispiel, dass jetzt die Bodycams bei der Polizei in Sachsenhausen eingeführt wurden. Sie sagen, die Polizei hat viel weniger Aggression erlebt, Sie können aber nicht nachweisen, ob dieser Rückgang von Aggression in Sachsenhausen wegen der Kameras ist, wegen dem veränderten Verhalten der Polizeibeamten, weil sie Kameras dabei haben oder vielleicht, weil die Streifengänge jetzt zu dritt gemacht werden, denn die Person mit der Kamera auf der Schulter und der Weste ist noch zusätzlich dabei. Das heißt, Sie haben keine belegbaren Ergebnisse, weswegen dieses Resultat zustande kam.
Daneben sagen Sie in diesem Bericht etliche Dinge, die eigentlich grob fehlerhaft sind. Die Datenschützer Rhein-Main waren so freundlich, es allen Fraktionen mitzuteilen. Da steht zum Beispiel, die Stadt Frankfurt hat neben den Verkehrsbeobachtungskameras selbst keine Videokameras. Das ist grob fehlerhaft. Wir haben die Auflistung von den Datenschützern Rhein-Main gesehen, die komischerweise viel vollständiger ist als die eigene Aufzeichnung der Stadt Frankfurt. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass Sie nach dem Hessischen Datenschutzgesetz eine Dokumentationspflicht haben. Wenn Sie dieser Pflicht nicht nachkommen, und wenn Sie nicht wissen, wie viele Kameras Sie haben oder wo sie installiert sind, dann ist das ein Verfahrensmangel. Insofern haben die Datenschützer Rhein-Main zu Recht den Hessischen Datenschutzbeauftragten eingeschaltet, damit er es überprüft.
Ihre Auflistung ist unvollständig. Nach über einem Jahr – wir haben diesen Antrag am 13. August 2013 gestellt – ist es Ihnen nicht gelungen, eine Liste von diesen Kameras aufzustellen. Sie sagen, dass es außer den Verkehrskameras keine anderen gibt. Die Datenschützer Rhein-Main sagen, dass es sehr wohl welche gibt, zum Beispiel hier am Römerberg.
Es gibt auch eine Dome-Kamera von der Tourismus-Zentrale in Frankfurt, die sehr wohl auch den Römerberg überwacht. Sie haben keine Dokumentation der Standorte. Entweder haben Sie sehr schlampig gearbeitet und verstoßen gegen erforderliche Datenschutzanforderungen, oder Sie haben einfach die Rechte der Stadtverordnetenversammlung auf ein Auskunftsrecht ignoriert.
Sie sagen – das finde ich eine Frechheit –, für Hinweise, wo zum Beispiel die Kennzeichnungen fehlen, wären Sie dankbar. Sie haben uns aber keine Liste beigelegt. Die Datenschützer Rhein-Main hingegen kennen das besser als Sie. Die sagen, es gibt ungefähr 300 Kameras in Frankfurt, und die allerwenigsten davon sind gekennzeichnet. Bei 30 Kameras von den 300 gibt es eine Kennzeichnung, nämlich an der Eissporthalle am FSV-Stadion. Dort ist die Kennzeichnung aber fehlerhaft. Sie müssen nur einmal mit offenen Augen durch die Stadt gehen, da brauchen Sie nicht weit zu laufen. Vor der AOK ist eine Dome-Kamera an der Ampel installiert. Diese Dome-Kamera hat keine Kennzeichnung. Gehen Sie in die andere Richtung, am Ausgang vom Theatertunnel, dort ist eine Kamera auf den Theatertunnel gerichtet, bei der ebenfalls die Kennzeichnung fehlt. Vor dem Polizeipräsidium an der Kreuzung der Miquelallee ist eine Kamera, auch hier gibt es keine Kennzeichnung.
(Zurufe)
Sie sagen jetzt „ei, ei, ei“, aber es tut mir leid, das ist kein rechtsfreier Raum. Hier geht es um unsere Grundrechte, um unsere Persönlichkeitsrechte, um die Rechte der informellen Selbstbestimmung. Das ist kein Spaß. Wenn Sie in Grundrechte eingreifen, dann gibt es dafür Regeln und Gesetze, an die Sie sich zu halten haben. Wenn Sie es nicht machen, dann bauen Sie die Dinger bitte wieder ab.
(Beifall, Zurufe)
Welche Kameras wo eingreifen, das haben wir gefragt, und das kann uns der Magistrat nach über einem Jahr nicht sagen. Der Magistrat sagt uns in diesem Bericht, dass man keine Ahnung hat, was die Dinger gekostet haben. Sie haben keine Ahnung, wie lange dort etwas gespeichert wird oder wer dort etwas speichert. Sie haben keine Ahnung, was die Bildauflösung angeht. Sie können uns keine Auskunft darüber geben, ob eine Lesbarkeit von Kfz-Kennzeichen technisch möglich ist. Die Datenschützer Rhein-Main hingegen sagen, nach Auskunft der Verkehrsleitzentrale ist das sehr wohl möglich. Sie können uns keine Auskunft darüber geben, was die Privatsphäre angeht, beispielsweise das Schwärzen von Hauseingängen oder Fenstern. Ich darf Sie daran erinnern, dass beispielsweise in Hamburg auf der Reeperbahn diese Kameras inzwischen abgebaut wurden, da sie erstens geschwärzt werden mussten, wenn sie auf Hauseingänge gerichtet sind, und zweitens wurde in Hamburg festgestellt, dass diese Kameras auf der Reeperbahn zur Bekämpfung von Straftaten kaum etwas beigetragen haben. Das ist nicht nur in Hamburg so. In Hannover beispielsweise mussten die Verkehrskameras nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover abgeschaltet werden, weil sie nicht gekennzeichnet wurden. Das steht Ihren 78 Verkehrskameras demnächst auch bevor. In Berlin sagt der ehemalige Polizeipräsident Glietsch, Kameras können Gewalt nicht verhindern. Das sagt der Polizeipräsident. Ein anders Zitat sagt, diejenigen, die für Videoüberwachung sind, wollen nicht Verbrechen verhindern, sondern sie möchten sie abends im Fernsehen sehen. Genau das erreichen Sie dadurch. Kameras verhindern keine Verbrechen, sondern sie sorgen dafür, dass die Straftäter abends in den Nachrichten oder im Videostream der BILD-Zeitung ihre 15 minutes of fame haben.
Was Sie versäumen, wozu Sie rechtlich verpflichtet sind: Sie liefern keine Einzelfallbegründung, warum Sie die Kameras dort aufgestellt haben. Sie haben keine Ahnung davon, welcher Personenkreis dort eine Zugangsberechtigung hat. Sie erzählen immer das Märchen von der ständigen Überwachung dieser Bildschirme. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten permanent auf diese Monitore starren. Wenn dort tatsächlich irgendwelche Straftaten geschehen, dann wird niemand aufgrund dessen, was irgendwo auf einem Monitor in einer Ecke läuft, Hilfe schicken. Das können Sie vergessen.
Was Sie tatsächlich benötigen, ist mehr Präsenz vor Ort. Sie haben als Beispiel angeführt, dass von 2002 bis 2012 die Drogendelikte im Bereich der Konstablerwache zugrückgegangen sind, laut Daten vom Polizeirevier ehemals Albusstraße, jetzt Zeil. Auch da nennen Sie aber die Ursache nicht. Es kann ja innerhalb von zehn Jahren durchaus sein, dass sich der Drogenkonsum verändert hat. Ich weiß nicht, ob heutzutage Ecstasy noch in Mode ist. Die Leute sind ja nicht doof, die dealen nicht auf der Konstablerwache. Wir müssen jetzt einen Runden Tisch einrichten, weil sich im Allerheiligenviertel massiv viele Drogendealer aufhalten. Am Ende erreichen Sie dort nur eine Verdrängung. Was Boris Rhein behauptet, dass die Gruppe von Kameras an der Konstablerwache und im Kaisersack Drogendelikte verhindern oder die Drogenszene verstreuen würde, das glaube ich auch nicht. Wenn Sie nur einmal in den Kaisersack gehen, dann sehen Sie viele verelendete Menschen, die dort augenscheinlich Drogenkonsumenten sind.
Ich kann nur noch einmal sagen: Durch ständige Wiederholungen, dass Ihre Kameras angeblich Straftaten verhindern, wird die Aussage nicht wahrer. Sie haben dort erhebliche Verfahrensmängel. Immerhin – das muss man Ihnen zugutehalten – rudern Sie zurück, was die Ausweitung der Kameraüberwachung angeht. Die ehemalige stellvertretende Polizeipräsidentin hat noch angeregt, am Römerberg, an der Hauptwache und am Bahnhof Sportfeld Kameras zu installieren, aber das vertreten Sie jetzt nicht mehr. Ich bin zufrieden, dass Sie die Fußballfans am Bahnhof Sportfeld nicht weiter kriminalisieren möchten, aber die Auskunft, die Sie uns geliefert haben, ist eine Bankrotterklärung, dass Sie nicht wissen, wie sich die Videoüberwachung in Frankfurt darstellt und dass Sie auch keine Ahnung von den gesetzlichen Grundlagen haben und dagegen verstoßen.
(Beifall)