Kontext: Wortprotokoll über die 39. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, den 26. Februar 2015 (16:00 Uhr bis 22:36 Uhr), TOP 6, Unterbringung von Flüchtlingen
Stadtverordneter Martin Kliehm, DIE LINKE. im Römer:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe GRÜNE!
Vielen Dank für die Reformulierung unseres Antrages.
(Zurufe)
Es ist eine frappierende Ähnlichkeit festzustellen, wenn man diese beiden Anträge, unserer datiert vom Oktober 2014, Ihrer datiert vom Februar 2015, gegenüberstellt. Sie haben die Absätze in gleicher Reihenfolge, teilweise mit fast gleicher Formulierung übernommen. Wenn Sie sich an einzelnen Formulierungen von uns gestört haben, werden die Juristen von Ihnen bemerkt haben, dass wir es als Soll Bestimmung formuliert haben, das heißt also, der Magistrat wäre frei gewesen, das ohnehin so zu machen, wie er es möchte. Von daher ist Ihr Antrag, auch wenn er erst nach vier Monaten kam, nicht der schlechteste.
(Zurufe)
Weswegen wir so einen Antrag brauchen und weswegen wir ihn gestellt haben, zeigt sich zum Beispiel an einem Bericht aus der Zeitung Neues Deutschland von heute sehr passend, und auch wenn er aus der Zeitung Neues Deutschland ist, muss ich Ihnen sagen, die LINKE.-Fraktion hat ihn nicht lanciert.
(Zurufe)
Da geht es um Asylunterkünfte in Berlin. Sie wissen, in Berlin ist alles ein bisschen anders, die sind viel ärmer. Ich weiß, wir sind in Frankfurt. In dem Artikel heißt es über Berlin, dass im Jahr 2010 noch 85 Prozent der Flüchtlinge in Wohnungen gelebt haben. Zum Stichtag 1. Januar 2015 waren es von 21.000 Flüchtlingen nur noch 5.500 Flüchtlinge, das sind 28 Prozent. Der Rest ist mittlerweile in einer von 52 Unterkünften, davon 22 Notunterkünfte, einquartiert worden. Das ist der Unterschied zwischen 2010 und 2015 in Berlin. Deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt Standards verschriftlichen, damit eine gleichbleibende Qualität eingehalten werden kann.
(Beifall)
Frau Professor Birkenfeld ist unter anderem auf die finanziellen Belastungen eingegangen. Ich möchte das nicht finanziell betrachten, sondern kurz erläutern, warum Menschen heutzutage flüchten. Die Hauptflüchtlingsländer derzeit, neben dem Kosovo, was jetzt spontan zugenommen hat, sind beispielsweise Syrien und Irak, Eritrea, Afghanistan oder Somalia. Sie wissen alle, wie es in diesen Ländern aussieht, was für Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen dort herrschen. Ich kann niemandem übel nehmen, dass er dort sein Heil in der Flucht sucht.
Derzeit sind weltweit 50 Millionen Menschen wegen kriegerischen Auseinandersetzungen, Vertreibungen, Verfolgungen, Menschenrechtsverletzungen oder existenzbedrohlichen Notlagen auf der Flucht. An dieser Stelle muss ich noch einmal die sozialen Menschenrechte erwähnen. Zum Teil kommen diese Menschen aus Failed States. Diese Staaten haben versagt, denn es gibt ein Menschenrecht auf Arbeit, angemessene Unterkunft, Nahrung, Bildung, Kultur sowie Schutz vor Verfolgung und Diskriminierung. Wenn Menschen dies nicht haben, ist es ihr gutes Recht, woanders ihr Glück zu suchen. Das ist leistbar. Vor 15 Jahren gab es doppelt so viele Asylsuchende in Deutschland als heute, die Gesellschaft kann es leisten.
Wenn ich gestern im Jahresbericht von Amnesty International gelesen habe, dass der Libanon in den letzten drei Jahren 715 mal so viele Menschen aufgenommen hat, wie die gesamte EU, dann denke ich, ist noch viel Potenzial in der EU und auch in Deutschland.
(Beifall)
Wir werden die FREIEN WÄHLER noch erleben, ich muss ihnen aber vorab schon einmal insofern widersprechen, dass die meisten Flüchtlinge ausgewiesen würden. Dem ist nicht so. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass derzeit 48,5 Prozent aller Asylanträge anerkannt werden. Zusätzlich zu den abgelehnten Anträgen ist noch jede zehnte Klage erfolgreich. Von den 45.000 Aufnahmeersuchen an andere Länder erfolgt nur bei 13,4 Prozent eine Überstellung und Sie wissen selbst, wie die Situation für Flüchtlinge in Griechenland oder in Lampedusa vor Italien ist. Dort gibt es keine menschenwürdigen Umstände und ich kann nur gratulieren, wenn diese Länder nicht in einem angemessenen Zeitraum reagieren und die Menschen eine Chance haben, in Deutschland zu bleiben.
Wir haben derzeit Anerkennungsquoten von 99 Prozent der Asylsuchenden aus Syrien und dem Irak. Wir haben eine Anerkennungsquote von 70 Prozent für Flüchtlinge aus Eritrea, Afghanistan und Somalia.
Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Ulrich Baier:
Darf ich bitte um mehr Ruhe bitten!
Stadtverordneter Martin Kliehm, DIE LINKE. im Römer:
(fortfahrend)
Wir können und müssen davon ausgehen, dass die Mehrzahl der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, eine lange Zeit hier bleiben und ihren neuen Lebensmittelpunkt haben werden. Darauf müssen wir uns auch bei unseren sozialen Maßnahmen einstellen. Sie hatten gerade den Kosovo genannt, natürlich, der Krieg im Kosovo ist 15 Jahre her, aber im Kosovo gibt es auch heute noch jede Menge Korruption, Bandenkriminalität, Armut, Diskriminierung von Roma und eine 60-prozentige Jugendarbeitslosigkeit. Ich kann nur noch einmal betonen, dass ich jeden verstehen kann, der hierherkommt. Ein Asylantrag ist hier vielleicht der falsche Weg, aber dann brauchen wir eine vernünftige Einwanderungspolitik in Deutschland. Das bedeutet nicht, die Menschen an den EU-Außengrenzen abzuweisen.
Was wir auch brauchen, sind kürzere Bearbeitungszeiten, das dauert derzeit zu lange. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer eines Asylantrags beträgt momentan zehn Monate, für Menschen aus Afghanistan 14,3 Monate, bei Äthiopiern sind es sogar 20,2 Monate. Ausgerechnet bei Minderjährigen sind die Bearbeitungszeiten noch länger, dabei müssten doch gerade diese Anträge Priorität haben.
Wir brauchen Mindeststandards, nicht nur, weil es eine EU-Richtlinie gibt, sondern auch aus Gründen der Menschenwürde – ich habe es Ihnen erklärt -, denn die Mehrheit wird dauerhaft hier bleiben. Allein aus gesellschaftlichem Interesse sollten diese Menschen so schnell wie möglich Eingliederungshilfe bekommen. Dazu gehört eben auch Hilfe beim Spracherwerb, bei der Arbeitssuche und eine schnelle und faire Prüfung der Asylanträge.
(Beifall)
Die Mindeststandards betreffen aber auch – das haben wir am Beispiel von Berlin gesehen – die Unterbringung und die Ausgestaltung der Aufnahme. Auch dort gibt es soziale Rechte, wie zum Beispiel eine psychosoziale Betreuung gerade für traumatisierte Menschen. Beide Anträge haben das aufgegriffen. Wir brauchen auch eine vernünftige Infrastruktur, wir können Flüchtlinge nicht irgendwo in Gewerbegebieten unterbringen, es braucht eine vernünftige Verkehrs- und Internetanbindung, um den Kontakt mit der Familie zu Hause erhalten zu können. Wir brauchen Schulnähe, Einkaufsmöglichkeiten, Kultur-, Sport- und Freizeitangebote. Die verschiedenen karitativen Organisationen formulieren das schon seit Jahren.
Was wir nicht brauchen oder was wir einschränken sollten, ist der Aufenthalt in Gemeinschaftsunterkünften.
Stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Ulrich Baier:
Darf ich noch einmal um Ruhe bitten, das gilt für mehrere Fraktionen, für die SPD, für die GRÜNEN und andere.
(Zurufe)
Stadtverordneter Martin Kliehm, DIE LINKE. im Römer:
(fortfahrend)
Dies muss so kurz wie möglich sein, denn Gemeinschaftsunterkünfte schränken die Privatsphäre ein, sie beeinträchtigen die Psyche sowie die sozialen Kontakte und das Familienleben leidet ebenfalls darunter. Deswegen sollten insbesondere Familien nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Wohnungsunterbringung ist die Alternative, aber wir wissen alle, wie angespannt der Wohnungsmarkt in Frankfurt ist. Deswegen müssen gerade Asylsuchende im Fokus kommunaler Wohnungsförderung stehen. Der Oberbürgermeister hat es gesagt, wir müssen bauen, bauen, bauen, die Stadträtin sagt, wir brauchen mehr, mehr, mehr. Dies kann ich nur unterstützen. Bauen Sie mehr Wohnungen, wir können einfach nicht genug davon haben.
Die Gemeinschaftsunterkünfte müssen die Ausnahme bleiben und wir brauchen verbindliche Mindeststandards, weil es zum Beispiel in Hessen noch keine gibt. Es gibt zwar eine Regelung für besonders Schutzbedürftige, diese ist immerhin im Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün auf Landesebene erwähnt, aber eben keine Mindeststandards für Flüchtlingsunterkünfte. Wir brauchen eine Verschriftlichung, wie ich anfangs schon gesagt habe, um eine Konsistenz für die Jahre 2010 bis 2015 und für die Zukunft zu haben. Auch eine Konsistenz über die verschiedenen Träger hinweg, damit es hier nicht in einigen Jahren so ist, wie heute in Berlin.
Deswegen möchte ich Ihnen allen abschließend noch einmal für Ihre Bemühungen und für Ihre Anträge danken. Mir ist es ehrlich gesagt egal, von welcher Fraktion oder welcher Partei der Antrag ist, ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Vielen Dank!
(Beifall)