Jahresrückblick 2012

Fraktionsräume der ELF Piraten, Mitte: Herbert Förster, rechts Martin KliehmFoto: CC by InsidEx

Vor kurzem war bereits das erste Drittel der Kommunalwahlperiode vorüber, weswegen wir den Fraktionsvorsitz satzungsgemäß rotiert haben. Als einigermaßen frischer Fraktionsvorsitzender widme ich mich also der Tradition des Jahresrückblicks. 😉

Die Fraktion in Zahlen

Oft wird vergessen, dass wir die kleinste Oppositionsfraktion im Rathaus sind und wir mit drei ehrenamtlichen Stadtverordneten und 2½ Vollzeitäquivalenten an Mitarbeitern bei weitem nicht die Ressourcen haben wie die anderen Fraktionen im Römer, die 15 Pirat*innen im Berliner Abgeordnetenhaus oder die 20 im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Dennoch konnten wir einige Impulse setzen.

2012 haben wir 1.771 Drucksachen bearbeitet und votiert (April bis Dezember 2011: 917 1.254), das sind 148 pro Monat. Von den 418 (Etat-) Anträgen der Fraktionen haben wir 52 geschrieben (12,4%), dabei haben wir nur 3,2% der Sitze im Parlament. Bei den Anfragen waren wir etwas weniger fleißig, von 191 stammen 6 (4,7%) aus unserer Fraktion, Fragen zur Fragestunde im Parlament hatten wir 25 von 440 (5,7%).

2012 gab es 10 Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung, 30 Fraktionssitzungen, 100 Sitzungen der 10 Ausschüsse und acht der Sonder- und Akteneinsichtsausschüsse, wobei jedes Fraktionsmitglied in monatlich 4-5 Ausschusssitzungen vertreten ist. Außerdem besuchten wir noch 15 Sitzungen der Ortsbeiräte und zahllose Veranstaltungen und Empfänge von Gästen der Stadt. Als einzige Fraktion haben wir am Girls Day teilgenommen.

Bei der Bewältigung der vielen Drucksachen half uns das selbstgeschriebene Votensystem. Das Programm liest die Listen aus dem Parlamentsinformationssystem Parlis aus und schreibt sie in eine Datenbank. Fraktionsmitglieder können sie sich im Browser in unserem Intranet ansehen, nach Versandwoche oder Ausschuss sortieren lassen und ihr Votum abgeben. Dabei sehen wir gleichzeitig auch die Voten und Kommentare der anderen Fraktionsmitglieder. In den Fraktionssitzungen müssen wir uns nur noch über die Drucksachen abstimmen, bei denen kein Konsens besteht, wodurch die Sitzungen wahnsinnig effizient werden. Als nächstes wollen wir die Voten als Open Data veröffentlichen.

Andere Hilfsmittel sind unser Ticketsystem Redmine, das Hessische Liquid Feedback, die Piratenpads, Mailinglisten der Arbeitsgruppen, Facebook und Twitter. Unsere Fraktionssitzungen sind öffentlich und per Chat, Telefonkonferenz oder Stream live zu verfolgen. Vielen Dank an Thorsten Wirth und die vielen ehrenamtlichen Helfer*innen, die uns bei der Einrichtung der Infrastruktur unterstützt haben.

Höhepunkte

Politik macht Spaß. Selbst als kleine Fraktion können wir Dinge bewegen, Akzente setzen oder, wie es sich für die Opposition gehört, die Arbeit der schwarz-grünen Koalition kritisch beobachten und kommentieren. Hier ganz subjektiv einige Erfolgserlebnisse und Schwerpunkte der letzten 12 Monate:

  • Vernetzungstreffen: Wir haben uns einzeln oder im Rahmen unserer Arbeitsgruppen mit der Integrationsdezernentin, Migrantinnen und Migranten, Gewerkschaftlern der GEW und von ver.di, dem Betriebsrat des CeBeeF, PPP– und Fluglärmgegnern, Museumsparkfreunden, Occupy Frankfurt, dem Flüchtlingscamp, Marina Weisband und der jüdischen Gemeinde, der Sozialdezernentin, dem Drogenreferat, dem Oberbürgermeister, dem Institut für vergleichende Irrelevanz, dem Stadtelternbeirat, Hackern und Datenschützerinnen, der Abendschule der Städelschule, den Freien Theatern und Bildenden Künstler*innen, der Mainova, der ABG Holding, dem Gesundheitsamt und einigen anderen getroffen, woraus oft Anträge oder einfach nur tiefere Einsichten entstanden sind. Alle Termine sind immer transparent im Kalender einsehbar.
  • Informationsfreiheitssatzung: In Hessen gibt es kein Informationsfreiheitsgesetz, weswegen wir einen Antrag auf eine Informationsfreiheitssatzung gestellt haben. Daraufhin kramte der Magistrat einen zwei Jahre alten Antrag der Flughafenausbaugegner (FAG) aus und setzte ihn endlich um. Das Resultat könnte besser sein, aber wir haben jetzt erstmal eine kommunale Informationsfreiheitssatzung!
  • Open Data: Unser Antrag auf ein Open Data Portal für die Stadt Frankfurt wurde abgelehnt, aber daraufhin hat die schwarz-grüne Regierungskoalition einen eigenen eingebracht, der angenommen wurde. Wieder so ein Beispiel, wo wir die Prioritäten der Koalition beschleunigen können. Unser ursprünglich abgelehnter Etatantrag wurde letztlich in einem Magistratsbericht sachlich bestätigt. In diesem Themenbereich haben wir mit der SPD und vereinzelten Grünen gut zusammengearbeitet. Im Rahmen eines Hackdays haben wir den städtischen Haushalt einfach selbst in Netz gestellt.
  • Städtepartnerschaft Frankfurt – San Francisco: Unser Antrag zur Begründung einer Städtepartnerschaft wurde angenommen (allerdings hatte der Fraktionsvorsitzende der CDU anscheinend auch diese Idee, ohne dass wir davon wussten, ehrlich).
  • Barrierefreiheit: Für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen haben wir ein Blindenleitsystem in der Innenstadt gefordert, den barrierefreien Ausbau von Kitas, induktive Unterstützung von Hörhilfen in städtischen Versammlungen, Inklusion in Schulen, eine personelle Aufstockung des Büros der Behindertenbeauftragten, Rücksicht auf Blinde und Sehbehinderte bei Mischverkehrsflächen, gegen Lohndumping bei den freien Trägern sozialer Arbeit uvm. Einige wurden angenommen, einige abgelehnt, auf manche hat die Verwaltung keine Lust, aber wir bleiben dran!
  • Transparenz: Ein Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung, um Film- und Tonaufnahmen zu erlauben, sowie mehrere Anträge für Streaming aus den Gremien blieben bisher erfolglos. Die Gegenargumente sind allerdings recht fadenscheinig, weswegen wir glauben, dass sich der Widerstand der Altparteien nicht ewig halten wird. Ganz ohne Antrag haben wir einfach Abgeordnetenwatch die öffentlichen Daten aller Stadtverordneten übergeben, und jetzt ist das Stadtparlament dort enthalten.
  • Diskriminierungsfreiheit: Wir haben etliche Anträge und Anfragen gestellt für ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren in der Stadt, für Kampagnen für mehr Diversität in der Feuerwehr, für die Umsetzung des Frankfurter Integrationskonzeptes, für die Stärkung der Antidiskriminierungsstelle, gegen Rassismus und Polizeigewalt, zur Situation von Asylanten in Frankfurt, zum Flüchtlingscamp uvm. In diesen Bereichen arbeiten wir mit den Linken gut zusammen. Erfolg wie oben: Vieles wird abgelehnt, aber steter Tropfen höhlt den Stein. Bei unserem Antrag gegen das generische Maskulinum dachten die Grünen erst, wir wollten sie persiflieren, weil sie das seit den 1980ern geklärt haben, aber uns war ernst damit. 😉
  • Bürgerrechte: Als parlamentarische Beobachter haben wir zusammen mit anderen Pirat*innen, darunter Johannes Ponader, mit Stadtverordneten, Landtags- und Bundestagsabgeordneten tagelang die Polizeieinsätze rund um Blockupy beobachtet und in den Ausschüssen wie auch in der Stadtverordnetenversammlung thematisiert. Wir wandten uns gegen rassistische Polizeigewalt im Fall Wevelsiep und Ackermann sowie immer wieder gegen Repressionsmaßnahmen des Hessischen Innenministers Boris Rhein.
  • Bildung: Abgelehnte Anträge und Anfragen zur kostenfreien Kinderbetreuung, kostenfreiem ÖPNV für Schülerinnen und Schüler, kostenfreiem Mittagessen in Schulen, freiem Eintritt in Museen etc. Außerparlamentarisch haben wir erfolgreich vermittelt zwischen den Hausbesetzer*innen des Instituts für vergleichende Irrelevanz (ivi) an der Uni und der Mainova für deren Strom- und Wasseranschluss. Manchmal funktioniert Diplomatie einfach besser.
  • Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP/PPP): Wir haben uns ziemlich intensiv in die Debatte gegen den Bau einer Schule als PPP-Projekt eingebracht. Natürlich hat die schwarz-grüne Koaliton trotzdem ihren Bau beschlossen, aber im Rahmen der Diskussion hat sich schließlich selbst die FDP-Fraktion gegen die intransparenten Vorgänge gewandt. Das hat Spaß gemacht!
  • GEMA: Wir haben als erste Fraktion einen Antrag gegen die GEMA-Tarifreform eingebracht, damit sich Frankfurt als immerhin fünftgrößte Stadt im Hessischen Städtetag und im Deutschen Städtetag gegen die Tarifreform einbringt (unser Antrag wurde wie üblich abgelehnt, aber der sinngemäß ähnliche Antrag der Koalition angenommen). Auch die Diskussion war sehr befriedigend. Wir konnten die lokalen Clubs dazu bewegen, ihre Situation ausführlich in der Ausschusssitzung darzulegen.
  • Verkehr: Wir haben ein recht umfangreiches Konzept zur effizienten Parkraumnutzung entwickelt auf Basis einer US-Studie, das derzeit vom Magistrat geprüft wird. Jede Autofahrt beginnt und endet mit einem Parkplatz, darum kann man über Parkraum den Verkehr sehr gut steuern, das wird nur oft übersehen. 😉
  • Oberbürgermeister-Wahlkampf: Nicht zu vergessen der Einsatz von meinem Kollegen Herbert Förster als OB-Kandidat mit zahlreichen Podiumsdiskussionen und Gesprächen, später die Vernetzung mit den anderen Fraktionen auf der Delegationsreise in unsere zukünftige Partnerstadt Eskişehir.

Diese Liste ließe sich noch lange fortführen, es war ein ereignisreiches Jahr. Die eindrucksvollste Begegnung für mich war aber das Treffen mit den Teilnehmer*innen des Besuchsprogramms für jüdische und andere ehemals verfolgte Frankfurter*innen. Das Programm wurde inzwischen ausgeweitet auf deren Nachkommen, wovon viele das erste Mal die Heimatstadt ihrer Eltern sahen und erleben konnten, warum diese auch im Exil oft wehmütig von Frankfurt sprachen. Ich hatte die Gelegenheit, mich bei mehreren Terminen mit einigen von ihnen zu unterhalten, was mir nachhaltig in Erinnerung bleiben wird.

Das Erstaunliche an dem Zusammentreffen der Leute, die aus vielen verschiedenen Ländern angereist waren, ist doch die Tatsache, wie schnell sich die Gruppe zusammen fand. Dazu trug natürlich auch der erste Abend bei.

Für mich schmerzlich ist, wie sehr die Leute, besonders auch die zweite Generation, ihre Verbundenheit mit Frankfurt zeigen und um ihre deutschen Wurzeln kämpfen. Was haben wir an großartigen Leuten verloren!

Teilnehmerin des Besuchsprogramms

Dass mir das Mandat als Stadtverordneter die Gelegenheit bietet, vielfältige Menschen aus allen Bereichen kennenzulernen, mit ihnen zu reden, sich auszutauschen und voneinander zu lernen, ist eine große Bereicherung.

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